Sind wir nicht alle männlich und weiblich?   Bieler Tagblatt vom 24. März 2007

Das Bieler  Festival „Transformer 2“ fragt nach Sehnsüchten, nach dem Mann in der Frau und der Frau im Mann und allem, was dazwischen ist. Unter anderem in Ausstellungen.

Annelise  Zwez

Von der Kunst ist man sich gewohnt, dass sie Randbereiche, Kehrseiten und Hintergründe thematisiert. Darum ist das Motiv der Sehnsucht, nicht Mann sondern Frau, nicht Frau sondern Mann oder alles in einem zu sein, keineswegs neu. Wenn das zweite Bieler Transformer-Festival  Ausstellungen in Kunstinstitutionen – konkret im Photoforum und in der Galerie Quellgasse – miteinschliesst, so müssen diese der Kunst-Geschichte Stand halten.

Es war Jean-Christoph Ammann, der 1974 im Kunstmuseum Luzern die erste Ausstellung mit dem Titel „Transformer“ veranstaltete. Und sie schlug in einer Zeit als  Travestie noch ein Tabu war, entsprechend ein. Ist es Zufall, dass erst kürzlich  die einzige Arbeit einer Frau, die damals gezeigt wurde – die Mann-Frau-Porträts von Katharina Sieverding – in vergrösserter Form rekonstruiert wurde („About Feminism“ – migros museum Zürich, 2006)?  Die Bieler Ausstellungen sind sich des Luzerner Erbes bewusst, ist doch im Photoforum unter anderem die Offset-Serie von Urs Lüthi von 1974 zu sehen, die den damals jungen Mann als verführerische Frau zeigt.  Und da ist auch eine neue Serie von Manon, die damals in Luzern an der Seite von Urs Lüthi realisierte, dass jetzt die Zeit der Frauen gekommen sei.  Die Originale aus dem Buch „Einst war sie Miss Rimini“ (2005) sind eine tragi-komische, hintergründige Befragung der (eigenen) Identität zwischen Realität und Fiktion.  Auch in den Bereich der Geschichte gehören die eindrücklichen Aufnahmen von Walter Pfeiffer („Was ist männliche Schönheit?“)  sowie – eine Entdeckung! – die Fotos, die Liva Tresch (geb. 1933 in Hergiswil) 1963/67 im „Barfüsser“ machte und zu Fr. 2.50 an die Doppelgänger-Kundschaft verkaufte. Ihre Aufnahmen  gehören heute dem Sozialarchiv in Zürich.

Die Fragilität des Geschlechts

Die jüngeren Künstler und Künstlerinnen müssen der damaligen Zeit etwas Substantielles hinzufügen, um ausserordentlich zu sein. Das tun nicht alle. Die Aufnahmen der französischen Fotografin Alexandra Boulat eines jungen Iraners respektive einer jungen Iranerin, die ihre geschlechtliche Identität mit dem Segen Khomeinis offiziell gewechselt haben ( was bei hormonellen Störungen erlaubt ist), mögen zwar inhaltlich interessant und überdies attraktiv sein, bleiben aber beim äusseren Bild. Die  Maskerade von Giuseppe Pocetti (geb. 1969 in Lausanne) mit dem Titel „Quand je ne me reconnais pas, je m’adore“  hat zwar die Kraft, den inneren Antrieb fühlbar zu machen, ist aber halt einfach die x-te Variante eines vielbespielten Themas.

Anders die Fotos der jungen Zürcherin Judith Schönenberger (geb. 1977),

die in einer Ganzkörper-Porträt-Serie eindrücklich zeigt, wie fragil Geschlechteridentität  sein kann, wie das Thema heute eigentlich nicht (mehr) Mann oder Frau heisst, sondern beides in einem befragt  Es mag eine Option des eigenen Blickwinkels sein, aber diese Aufnahmen, so subtil sie sind, packen einem und fragen unausweichlich nach der eigenen Identität. Wo stehe ich? Auch Schönenbergers zweite Serie gehört zum Besten im Photoforum. Sie zeigt nicht  eine Reihe von Drag Queens, wie sie längst bekannt sind, sondern ein Konvolut von Drag Kings. Da zeigen Frauen ihre sichtliche Lust, für einen oder mehrere Abende öffentlich in die Haut eines Mannes zu schlüpfen und die andere Seite lustvoll zu spielen; Schnauzbärte, Strümpfe und ähnlich Künstliches sind da nicht nötig – der Kohlestift reicht für die Bart-Fantasie vollauf. Treffend der Titel: „The privilege to imagine more“.

Comic und mehr in der Quellgasse

Die Auswahl in der Galerie Quellgasse zeigt  Zeichnerisches und Malerisches auf Papier sowie  Objektkästen der Zürcher Mode-Fachfrau Ursula Rodel, des Schwulen-Comic-Künstlers „Tom de Pékin“ (Paris) und des brasilianischen „Michelangelo“ der Szene, José Cueno (Paris). Während die – leider etwas zusammengewürfelten – Arbeiten von Rodel die Frauen-Aufbruch-Generation mit toulouse-lautrecscher Nonchalance in Szene setzen (wer sagt hier, wo es lang geht?), setzen Pékin und Cuéno auf Illustration. Ihre Arbeiten sind nett und witzig und lustig und in der Transen-Szene sicher Top-Lose, aber mehr  als ein bisschen Voyeurismus befriedigen die kleinen Sumo-Ringer-Zeichnungen Pékins nicht. Eher in Erinnerung bleiben die romantisch-ironischen Theater-Kästen Cuénos, der  es sich nicht nehmen liess, auch den Bieler Zentralplatz einschlägig zu bevölkern, ganz wie es Pékin in einem Interview sagte: „Es gibt Jungs, die sind trans-female-to-male und gebären Kinder. Es gibt Girls trans-male-to-female und sind genetischer Vater von Kindern, deren Mutter lesbisch oder heterosexuell ist. Die Transen sind da, um uns daran zu erinnern, dass die Geschlechter und die Sexualtiäten vielfältig sind, und dass alles, was darum herum konstruierte wird, nicht unbedingt gesichert und endgültig ist.“

Info: Die Ausstellungen dauern bis zum 1. April (Quellgasse) respektive 22. April  (Photoforum). Weitere Arbeiten im Espace libre. Link: www.trans-former.ch

Infokasten

Die nächsten Tage

Samstag, 24. März: 18.30 Uhr Museum Schwab, Spektakel BDSM – ein Blick hinter die Kulissen des Kinky Sex. Vortrag/Sofagespräch mit dem Hamburger Soziologen Robin Bauer (deutsch). 20.30 Uhr ebenda,Videovortrag von Chris Regn. Kurzfilme zu den Themen Lesben, Queer, Trans, Gender aus demVideoarchiv «Bildwechsel» (deutsch). Filmpodium: 20.30 Uhr, Les nuits fauves, von Cyril Collard, Frankreich 1992 (F/d). Thema: Bisexualität und Leidenschaft im Zeitalter von Aids.
Sonntag, 25. März: 17.00 Uhr Filmpodium, Lovers Other: The Story Of Claude Cahun and Marcel Moore, von Barbara Hammer, USA 2006 (F/e). Das Leben von zwei surrealistischen Künstlerinnen unter dem Nazi-Besatzungsregime. In Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Biel. 18.30 Uhr Museum Schwab
Spielplätze und neue Territorien – Sofagespräch mit dem Hamburger Soziologen
Robin Bauer(deutsch). 20.30 Uhr Filmpodium: Orlando, von Sally Potter, Grossbritannien 1992 (E/d,f).
Montag, 26. März: 20.30 Uhr Filmpodium: Paper Dolls (Bubot Niyar), von Tomer Heymann, Israel/Schweiz/USA (Hebr/E/d,f)Berührendes Porträt philippinischer Transvestiten in Israel.

Bildlegenden:

Liva Tresch (74) fotografierte in den 1960er-Jahren im Zürcher Transvestiten-Lokal „Barfüsser“. Heute gehören ihre Aufnahmen dem Sozialarchiv Zürich. Bilder: zvg

Judith Schönenberger (30) fragt in einer Porträt-Serie nach dem Androgynen in uns.