Anne-Mie van Kerckhoven im Kunstmuseum Luzern

Eine Romantikerin mit multimedialem Kleid

ww.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Aargauer Zeitung vom 19. Sept. 2008

Kunst im Kunstmuseum Luzern zeigt die Belgierin Anne-Mie van Kerckhoven  eine faszinierende Schau  sich duchdringender Bild- und Wissenswelten.

Anne-Mie van Kerckhoven, geboren 1951 in Antwerpen, ist eine Pionierin. Bereits in ihrem zeichnerischen Werk der 1970er-Jahre spiegelt sie Sigmund Freuds männerlastige Sexual-Thesen  als lustvoll-kritischen, surreal-feministischen, comicartigen Maschinenpark. Kopulationen aller Art  stehen darin für das sich Durchdringen verschiedener Welten. Die Struktur des einen im andern nimmt sie ab den 1980er-Jahren mit in die virtuellen (Denk)-Räume ihrer animierten und bald darauf schon computerbearbeiteten Filme. Sie wird damit zu einer frühen Forscherin im Bereich der sich öffnenden digitalen Freiräume.

Die von Susanne Neubauer kuratierte Ausstellung im Kunstmuseum Luzern zeigt Arbeiten von 1974 bis 2007. Dennoch ist sie weniger eine Retrospektive als ein facettenreiches Porträt der Multimedia-Künstlerin, die sich als Person im Spannungsfeld von Romantik, Symbolismus und Moderne sieht. Im Vergleich zu Anne-Mie van Kerckhovens erstem Schweizer  und von Luzern befremdlicherweise verschwiegenem Auftritt in der Kunsthalle Bern (2005) ist die aktuelle Schau  weniger technisch, stattdessen näher am ganz persönlichen Weltbild der Künstlerin. Das ist eine Bereicherung.

Es sei für sie von Bedeutung, so schreibt sie im Tagebuch „Belgische Schwermut“, die Dinge um sie herum auszutragen, sie mit allen erhältlichen Bestandteilen wie Zeit, Hintergrund, wissenschaftliche und menschliche Errungenschaften zu verbinden. Tatsächlich ist das Ausserordentliche die Vernetzung von  historischen, mythischen, technischen, sinnlichen, malerischen Aspekten, die sie mit den Mitteln der Überlagerung, der Auflösung, der Metamorphose in ein bewegtes Ganzes verwandelt. In einem animierten filmischen Frühwerk von 1984, einem 16mm-Streifen von 6 Minuten, zum Beispiel untersucht sie, sehr persönlich nach dem Bösen fragend, die Exerzitien des Jesuiten Ignatius von Loyola, die da sind „Tod, Prüfung, Hölle, Göttliche Glorie“: geisterhaft, unwirklich, zeichnerisch, „bis zum kotzen“.

Der Hang zum Spirituellen, zum Immateriellen des digitalen Raumes, in dem sie die Codes der Welt auflösen und in neue Räume einfliessen lassen kann, durchzieht ihr, notabene schwieriges, Werk wie ein roter Faden. Nicht  im Sinne schwärmerischer Esoterik, sondern eher romantisch, als eine Art Befindlichkeit des Schwebenden. Sie selbst schrieb 2005 in eine Zeichnung: „Es gibt einen Intellekt der Welt und einen Körper der Welt und dazwischen ist die Seele der Welt.“

2007 weilte Kerckhoven, die seit einigen Jahren mehr und mehr internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht, mit einem DAAD-Stipendium in Berlin und schuf daselbst in Kombination mit früheren Filmsequenzen, das technische, filmische und inhaltliche  Opus Magnum der Luzerner Ausstellung: Den 18-Minuten-Film „Let’s find out what goes on in the male barracks“. In dieser Computer-Animation spielt sie anhand ornamental-geometrischer, figürlich-erzählerischer und historisch-architektonischer  Sequenzen die komplexen Brüche zwischen Romantik, Symbolismus und Moderne aus.

Das hindert sie indes nicht daran, fast zeitgleich ihre Liebe zur sinnlichen Satire aufblitzen zu lassen, etwa in einer metamorphotischen Film-Hommage an die obszöne Göttin Baubo, die „durch ihre Brustwarzen blickt, durch ihre Vagina spricht und so vulgär tanzt, dass sie alle depremierten Frauen wieder glücklich macht“.

Dieses Schillernde, das sich dem Kurzbesucher der Ausstellung wohl kaum öffnet, sich dem intensiv auf das Werk Eingehenden aber wie eine Wundertüte öffnet, ist Anne-Mie van Kerckhovens „Wonderland“.

Info: Bis 23. November. Ende September erscheint ein Katalog.