Pierre Edouard Hefti, Interview

Gibt es in Biel eine frankophone Kultur?

Annelise Zwez, Bieler Tagblatt, 05. Januar 2008

Die frankophone Kultur liegt Pierre-Edouard Hefti, Adjunkt der Abteilung Kultur der Stadt Biel, besonders am Herzen. Gibt es eine solche überhaupt und wie zeigt sie sich?

Pierre-Edouard Hefti: Engagiert sich beruflich und privat für ein bi-kulturelles Biel / Bild: René Villars
Ob es um den Bieler Kulturpreis oder um Mitglieder in Kulturkommissionen geht, immer wieder bricht unter den «Alémaniques» Panik aus, weil einmal mehr «nur» Deutschschweizer auf der Kandidatenliste stehen. Was gibt es für eine Erklärung hiefür?
Die frankophone Kultur ist in Biel präsent und engagiert. Aber die Zahl möglicher Vertreter in Kulturgremien ist leider relativ klein. Das bringt es mit sich, dass immer dieselben angefragt werden und diese an ihre Grenzen stossen. Von daher kommt die Schwierigkeit, Leute zu finden, die sich nicht nur mit der frankophonen Kultur in Biel identifizieren, sondern auch bereit sind in zweisprachigen, bi-kulturellen Strukturen mit zuarbeiten.

Es reicht zweifellos nicht, frankophon lediglich mit französischsprachig gleichzusetzen, denn da steht ja ein ganz anderes kulturelles Erbe dahinter. Wie spüren Sie als Romand die Denk-Differenz zu ihrem über weite Strecken germanophilen Kultur-Umfeld?
Ich denke, persönlich, es gibt in Biel tatsächlich eine Konfusion dahingehend, dass die Unterschiede auf den Bilinguisme reduziert werden. Ich spreche darum lieber von Bi Kulturalismus, von Kohabitation, das heisst der gleichzeitigen Anwesenheit von zwei Kulturen. Für mich ist es wichtig, dass sowohl die frankophone wie die alemannische Kultur sich in Biel eigenständig entwickeln können und von da aus Beziehungs-Brücken geschaffen werden. Man darf die Beherrschung einer oder eben zwei Sprachen nicht gleichsetzen mit den dazugehörenden Kulturhintergründen, darum bedeutet bilingue nicht automatisch bi-kulturell.

Heisst das, auf den Punkt gebracht, dass es gar keine bilingue Bieler Kultur gibt?
Es ist zwar so, dass in jeder Sprache der Kulturhintergrund wirkt, aber selbst in Kulturformen, die nicht sprachabhängig sind, wie zum Beispiel die Musik oder die bildende Kunst, und trotz der internationalen Vernetzungen bleibt eine Sensibilität für die frankophone respektive die germanophile Kultur bestehen. Diese Sensibilität führt hier und dort zu unterschiedlichen Referenz-Systemen, die sich auf die Äusserung auswirken. Man ziehe nur schon in Betracht, dass der Romand ein verlängertes Wochenende vermutlich lieber in Paris verbringt, während der Deutschschweizer für ein paar Tage nach Berlin reist. Dennoch kann man von einer spezifischen Bieler Situation sprechen, denn die ständige Präsenz der je anderen Kultur beeinflusst die eine und die andere Seite unweigerlich.

Per 2008 wurde der städtische Beitrag ans französische Theater in Biel aufgestockt, um die frankophone Kultur zu fördern. Aber, da geht es weitgehend um Gastspiele. Sollte nicht eher in Biel Entstehendes unterstützt werden?
Diese Subventions-Erhöhung an das französischsprachige Theater ist langfristig gedacht und ist Resultat einer Zusammenarbeit mit dem Kanton und wird, was begrüssenswert ist, auch von der überwiegend deutschsprachigen Kulturkonferenz mitgetragen. Indes reicht auch der neu zur Verfügung stehende Betrag bei Weitem nicht für ein in Biel produziertes Theaterschaffen analog Dem Theater Biel Solothurn. Aber die verstärkte Institutionalisierung des Gastspielbetriebes unterstützt die Möglichkeit der Identifikation der französischsprachigen Minderheit mit ihrer Kultur in Biel.

Noch einmal, sollte die Stadt nicht mehr dafür besorgt sein, die Exponenten einer eigenschöpferischen frankophonen Kultur zu fördern?
Die Förderung einer Minderheit benötigt immer einen grösseren Teil an Mitteln in Bezug auf die Proportion, die sie repräsentiert. Dies kann ungerecht erscheinen, ist jedoch nötig. In Biel haben die Romands, was Beiträge an kulturelle Projekte betrifft, exakt denselben Zugang zu den zur Verfügung stehenden Mitteln wie die Deutschschweizer. Quoten jedweder Ausrichtung gibt es keine, überproportionale Subventionen somit auch nicht.

Welches sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Kulturschaffenden französischer Sprache?
Von ganz grosser Bedeutung ist zweifellos das Festival du film français, das nun wirklich eine durch und durch frankophone Veranstaltung ist und, was ganz wesentlich ist, dazu beiträgt, dass Biel auch in der Romandie für einmal als Ort der Frankophonie wahrgenommen wird. Das ist nämlich nicht der Fall; in der Romandie regiert der Léman-Zentrismus. Das kann so weit gehen, dass man mir in Lausanne sagt: ‹Du spricht aber gut französisch für einen Bieler›. Und sich erst dann erinnert, ach ja, in Biel gibt es ja eine französischsprachige Minderheit. Das ist im Übrigen mit ein Grund für die von Deutschschweizern immer wieder mit etwas Ärger angemahnte Übersensibilität der Romands in Biel, zum Beispiel mit dem zu weilen etwas nachlässigen Umgang mit der französischen Sprache im öffentlichen Raum. Es fehlt den Romands an Identifikations-Orten in Biel – man bedenke zum Beispiel, dass mit Ausnahme des französischen Theaters alle ‹grossen› Institutionen Deutschweizer Direktionen haben, was selbst bei Anerkennung der bilinguen Situation kulturell prägend ist (gemeint sind das Theater Biel Solothurn, das Symphonie-Orchester, die Museen, die Stadtbibliothek – Anm. der Red.).

Es leuchtet ein, warum das Festival du film français so wichtig ist, aber es ist eine Kultur Veranstaltung, nicht Bieler Kulturschaffen frankophoner Prägung. Darum nochmals die Frage: Wer sind die wichtigsten französischsprachigen Kulturschaffenden in Biel?
Zu nennen sind hier sicher die bildenden Künstler, von denen es nicht wenige gibt. Gefreut habe ich mich dieser Tage zum Beispiel über den Ankauf einer Arbeit der jungen Milica Slacanin durch die Städtische Kunstkommission in der Weihnachtsausstellung.
Dann zweifellos die Fotografie – ich denke da etwa an Marco Paoluzzo oder Mirei Lehmann. Auch in der Musik sind die Romands nicht wegzudenken – genannt seien als Beispiele Sara Gerber oder auch die Pianistin Rada Petkova – sowie in der Literatur Thierry Luterbacher. Zu erwähnen sind auch die wenigen, wirklich bi-kulturellen Kulturschaffenden, zum Beispiel Walter Kohler-Chevalier, das Theater de la Grenouille oder, bis vor Kurzem, die Künstlergruppe ‹relax›; auf der Ebene der Vermittlung auch die ‹Kulturtäter›. Ich habe indes den Eindruck, dass die frankophone Kulturszene in letzter Zeit an Kraft gewonnen hat.
Viele Deutschweizer Kulturschaffende zelebrieren die bikulturelle Atmosphäre der Stadt geradezu als Wunder von Biel, nennen es als Grund, warum sie hier wohnhaft bleiben wollen oder warum sie überhaupt hierher gezogen sind. Warum gilt das nicht analog für die Romands?
Für die Deutschweizer ist Biel trotz der Anwesenheit von Romands eine deutschschweizerische Stadt, mit der sie sich identifizieren können. Für die Minderheit der Romands gilt das auf  kultureller Ebene nicht im selben Mass. Es ist auch nicht wegzudiskutieren, dass die Alémaniques offener sind gegenüber den Welschen als umgekehrt. Das wiederum hat mit der erwähnten Sensibilität der Minderheit zu tun und mit zuwenig Orten, die als wirklich frankophon empfunden werden. Lange hoffte man, das Palace-Theater würde dieser Ort sein. Indes, sein vorherrschendes Dasein als Kino, die exorbitanten Nutzungskosten und das Fehlen eines Treffpunktes, welcher den Besuch des Theaters und das Ausgehen in sich vereinen würde, ermöglichen dies kaum. Darum ist Biel alles inallem für welsche Künstler nicht im selben Mass attraktiv wie für deutschschweizerische.

Neben der eigenschöpferischen Kultur gibt es die Kulturvermittlung. Trotz Ihrer Einwände scheint mir, da sehe es gut aus – wir sprachen vom Französischen Theater, vom Film-Festival, dann gibt es das Programm der bi-kulturellen ‹Kulturtäter›, in den Museen findet man beide Kulturen, die Fototage und die Plastikausstellung werden von Romands geleitet. Wieso reicht das nicht?
Um Kulturschaffende anzuziehen, braucht es einen Pool von Aktivitäten. Um mit einer kritischen Masse ins Welschland ausstrahlen zu können, brauchen wir eine starke, frankophone Plattform in Biel. Man kann als Beispiel die Fototage nennen, die ursprünglich aus einem frankophonen Umfeld heraus entstanden und plötzlich eine Vielzahl von Besuchern aus der Roman die anzogen, die verwundert zur Kenntnis nahmen, dass so etwas
in Biel möglich ist. Biel muss den Zugang zu beiden Kulturen ermöglichen. Biel hat dabei durch aus Qualitäten: Ich erinnere an Marc Olivier Wahler, der die Plastikausstellung 2000 leitete und sagt, in Biel habe er eine Offenheit erlebt wie nirgends sonst.
Aber zurzeit ist die Situation so, dass Biel nicht im engeren Sinn welsche Künstler anzieht. Mit anderen Worten, es gibt den Bi-Kulturalismus fast gar nicht? Nein, das kann man nicht sagen. Die Biennois und die Bielerinnen lieben den Bilinguisme, den Bi- Kulturalismus. Darum treffen sie sich an Orten, wo beide Sprachen gepflegt werden, auch wenn das zu einer gewissen Verarmung des sprachlichen Ausdrucks führen kann. Das heisst, die beiden Kultur begegnen sich durchaus und sei es auch nur aus Notwendigkeit, weil die Strukturen so angelegt sind. Seitens der Behörden gibt man sich diesbezüglich sehr Mühe. Bei den Verhandlungen zur Zukunft des Französischen Theaters zum Beispiel war das deutschsprachige Theater mit integriert. Aber das löst für die Romands weder das Problem der Minderheit, noch hebt es die Trennung von der Romandie auf. Kürzlich hat der neue Bernjurassische Rat sein Kulturkonzept veröffentlicht und dabei als eine Zielsetzung den Austausch mit Biel formuliert.

Was denken Sie, haben die Brüder Pierre Yves Moeschler (Kulturchef Biel) und Jean-René Moeschler (Kulturbeauftragter des Berner Juras) über die Festtage ein frankophones biel-bernjurassisches Kulturprogramm ausgeheckt?
Man kann es nur wünschen – sicher ist, dass beide sehr engagiert sind im Brückenbauen. Beim interjurassischen Kultur-Konzept, das von den Kantonen Bern und Jura unterstützt wird, geht es darum, alte Beziehungen auf kultureller Ebene zu erneuern. Die Situation ist nicht einfach – die Frankophonie, die frühereine Einheit von Biel bis zur französischen Grenze bildete, ist heute in drei Sektoren aufgeteilt, den Kanton Jura, den Berner Jura und die frankophone Minderheit Biels. Darum braucht es neue Identität stiftende Verbindungen.

Ist das französischsprachige Biel denn da integriert?
Für das frankophone Biel ist die Situation in der Tat heikel, ist die Stadt doch nicht im Bernjurassischen Rat vertreten. Als Ausgleich wurde in Biel der ‹Conseil des affaires francophones› gegründet, denn es darf weder sein, dass das in Aussicht genommene und mit finanziellen Mitteln ausgestattete Amt für interjurassische Kultur die Stadt Biel ausgrenzen würde, noch dürfte es Biel in zwei Teile trennen, noch ist es denkbar, dass die frankophone Kultur Biels als einzige direkt vom Kanton Bern abhängig wäre. Das alles ist ein bisschen wie die Quadratur des Kreises. Es muss hier eine Lösung gefunden werden, die dem bi-kulturellen Charakter der Stadt Biel nicht nur gerecht wird, sondern diese Situation spezifisch fördert. Das erwähnte Austausch-Programm ist da nur ein kleiner Teil.

INFO: Das Interview wurde zweisprachig geführt und die französischen Teile von der Autorin frei ins Deutsche übersetzt.

Pierre-Edouard Hefti
• 1952 in Biel geboren
• 1972 Matura am französischen Gymnasium in Biel
• 1972–79 Architekturstudium in Lausanne
• 1982–1998 Partner respektive Mitarbeiter in verschiedenen Architekturbüros in Biel und Bern, darunter (1983 und 1986 bis 96) des Atelier 5.
• Seit 1998 Adjunkt respektive Stellvertreter der Abteilung Kultur der Stadt Biel
• Pierre-Edouard Hefti ist Vater zweier Söhne in Ausbildung und lebt mit seiner Partnerin Alexandra Talmann in Biel. Seine Freizeit geniesst Hefti gerne mit Freunden bei einem guten, teils selbst gekochten Essen in einem Bieler Lokal respektive in seiner Bieler Altstadtwohnung. Im Übrigen überschneiden sich Beruf und Hobby in der aktiven und engagierten Teilnahme an Biels Kultur.

Hefti Pierre Edouard Interview 108 [0.14 MB]