Ausstellung „Die andere Sicht“ Kunst Textil Ligerz 2009

Häkeln Männer anders als Frauen?

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 18. Sept. 2009

„Die andere Sicht“ ist die achte Kunst Textil-Ausstellung im Aarbergerhus in Ligerz überschrieben. Gemeint ist der Umgang männlicher Künstler mit textilen Techniken und Materialien.

Kunst mit textilen Materialien in Techniken wie Weben, Sticken, Nähen sind eine Domäne der Frauen. Auch heute noch. In den acht Kunst Textil-Ausstellungen im Aarergerhus in Ligerz seit 2002 war bisher nie auch nur ein einziger Künstler vertreten. Kein Wunder war da die Lust der Veranstalter, dies einmal zu überprüfen und nur Männer einzuladen.

Jürg Altherr, Roland Jung, Claude Frossard, Ficht Tanner und Jürg Benninger sind der Einladung des Komitees gefolgt, stellen sich der „gwundrigen“ Frage, was sie denn anders machen. Die fünf sind nicht etwa Jung-Künstler, die alte Zöpfe abgeschnitten haben und frisch von der Leber weg mit jenen Materialien Kunst schaffen, die sie faszinieren, unabhängig von altbackenen Traditionen. Nein, sie sind  zwischen 43 und 74 Jahre alt. Interessant ist es darum, ihre „andere Sicht“ und/oder andere Arbeitsweise unter die Lupe zu nehmen.

Der Appenzeller Ficht Tanner (geb. 1952) kommt aus einer Gegend, in der die Stickerei zur kollektiven Identität gehört. Lange verstand er sich als Zeichner, doch als er eines Tages eine Nach-Stickmaschine erwerben konnte, änderte sich das. In kurzer Zeit wurde er zum Maschinen-Stick-Meister – fast wie auf der Bassgeige – seinem zweiten „Instrument“. Inhaltlich blieb er dabei wo bisher schon – im Land der fantastischen Natur, die sich streckt und reckt, lippenförmig weitet und vielarmig verschliesst.  Bis in die letzte Ecke bestickt, ergeben die vegativen respektive körpernahen Versatzstücke ein buntes Kaleidoskop. Das „Versäubern“ der Arbeit überlässt der Herr der Stickmaschine allerdings seiner Lebenspartnerin: „Nähen kann ich nicht.“

Was, so staunt man, hat Jürg Altherr (geb. 1944), der Künstler von „Equilibre“ auf dem Bieler Strandboden, hier zu schaffen. Er nutzt den Faden, oft auch zerschnittene Strümpfe, strikte funktionell. Sie dienen ihm im Modell als „Stahlseil“  oder sie verdeutlichen, einem Gerüst übergestülpt, die äussere Form. Indirekt zeigen seine Modelle und die gewagte, raumgreifende Ketten-Balance im Hauptraum, wie umfassend die Strukturen des Textilen sind. Seine Art und Weise Skulptur als offene Form zwischen Druck und Zug zu figurieren, faszinierte seinerzeit schon Elsi Giauque (1900-1989), die Schirmherrin der Ligerzer Ausstellungen.

Der zwischen zwei und drei Dimensionen arbeitende Zürcher Künstler Roland Jung (geb. 1941) nutzte schon in den 1970ern einen Webstuhl, um semitransparente Doppelfolienbänder in eine strenge Web-Architektur einzuziehen und mit kleinen Drehungen so rhythmisieren, dass eine Art „Partituren“ entstanden. Heute arbeitet er mit vervielfachten Streckgittern, deren textile Struktur er mit den metallenen Eigenschaften kombiniert und daraus wellenförmige „Vorhänge“ schafft. Seine Beziehung zum Textilen ist somit eine primär technisch-konstruktive; dieses „Unweibliche“ mochte schon Elsi Giauque an seinen Arbeiten.

Geradezu „subversiv“ ist der Einbezug von Claude Frossard (geb. 1934) aus dem nahen St. Aubin, denn die gewobenen Papier-Texturen aus Alt-Zeitungen werden von seiner Frau Andrée gewoben, während er  sie anschliessend mit verhaltenem Farb- und Reliefeinsatz bemalt respektive prägt. Allerdings bildet das Paar eine Langzeit-Einheit, die Gendergrenzen obsolet erscheinen lässt, schon 50 Jahre dauert ihre Zusammenarbeit.

Benninger_1Der deutlich jüngste, frivolste,zeitgenössischste im Quintett ist der in Genf lebende Luzerner Jürg Benninger (geb.  1966). Er häkelt seine Figuren von A bis Z selbst und thematisiert dabei sehr persönliche Erlebnisse und Empfindungen. Von „Bräuten“, „Königssöhnen“ und anderen „Bademeistern“ ist die Rede. Er liebe „Luftmaschen“ sagt er und verweist auf die Autonomie der Fantasie, auf die Wolle als Material der Kleidung, die er mit der Haut gleichsetze und so die Schranke zwischen Innerem und Äusserem auflöse. Zu meinen, er  – der „textilste“ aller fünf Künstler – erlebe heute keine verwunderten Blicke mehr, täuscht sich. „Einen Wolladen zu betreten, ist für mich noch heute schwierig und ich werde  oft betrachtet als wäre ich ein Einbrecher“, sagt er.

Info: Ausstellung bis 27. September. Offen: Mo bis Fr 14-18, Sa/So 12-18 Uhr. Führung: 20. Sept. 15 Uhr.