Bieler Fototage 2009 mit 20 Positionen

Gemeinschaften zwischen Freiheit und Schicksal

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 4. September 2009

Das Thema der 13ten Bieler Fototage ist „Bande à part“, widmet sich Menschen die freiwillig oder schicksalshaft ein Kollektiv bilden. Die 19 Portfolios überzeugen. Heute ist Vernissage.

Für Hélène Joye-Cagnard und Catherine Kohler, die Co-Direktorinnen der jährlich stattfindenden Bieler Fototage, war von Anfang an klar: Die Gleichzeitigkeit mit „Utopics“ muss sich im Thema der 13ten Ausgabe spiegeln. Mit „Bande à part“ ist ihnen dies vortrefflich gelungen. Während „Utopics“ die Visionen von Mikronationen und anderen Gesellschaften in den Raum stellt, beobachten die 20 Fotografen, Fotografinnen und Fotogemeinschaften die Menschen, welche unter unterschiedlichsten Umständen eine Gemeinschaft bilden. Sei es in figürlichen oder raumbezognen Aufnahmen, sei es in neutralen, anteilnehmenden oder gar subversiven Reportagen beziehungweise persönlichen Interpretationen.

Die Thematik überzeugt nicht nur als Ergänzung zu Utopics, sie erweist sich auch als „Gefäss“, das sich in verschiedenster Art und Weise manifestiert, und dabei doch eine Einheit bildet. Anders ausgedrückt: Den Kuratorinnen gelang es, viele Aspekte aufzugreifen, ohne dass ihnen die Inhaltlichkeit zerflattert wäre. Insbesondere die Differenz zwischen freiwilligen Gruppierungen – sei es im Freizeitbereich oder in weltanschaulichem Kontext – und zufälligen Zwangsgemeinschaften, die sich aufgrund sozialer oder ökonomischer Parameter bilden, ist eindrücklich herausgeschält. So findet man zum Beispiel ebenso eine Serie mit Berg-Touristen (Oliver Lang) wie die letzten Angestellten der einstmals blühenden „Kodak City“ in Rochester in den USA (Catherine Leutenegger). So ist ebenso die religiöse „Theatergemeinschaft“ des mexikanischen Karfreitag (Nicolas Righetti/Francis Traunig) vertreten wie arbeitslos gewordene Japaner in behelfsmässigen, blauen Plastik-Unterkünften am Stadtrand von Tokio (Andri Pol).

Das Berührende, das sich als roter Faden durch die 20 respektabel grossen Ausstellungen an den sieben Ausstellungsorten vom Photoforum bis zur Alten Krone zieht, ist das Individuelle. Es bricht sich „Uniformen“ im wörtlichen oder übertragenen Sinn zum Trotz Bahn, und seien es auch nur braune oder blaue Augen, die unter den mächtigen Kopfbedeckungen der englischen Königsgarde hervorschauen (Charles Fréger).

Es erweist sich heuer neben den stadtweit angelegten Utopics als sinnvoll, dass die Austellungsorte auf das Museumsquartier und den Ring in der Altstadt konzentriert sind. Glücklich ist insbesondere, dass das Photoforum erstmals mit der „Art-Etage“ eine offene Einheit bildet, sodass hier nicht weniger als neun Ausstellungen zu sehen sind. Unter anderem die zuvor schon mehrfach präsentierte Video-Installation „Los Invisibiles“ der im Atelier Robert in Biel lebenden Ingrid Wildi oder auch das zugleich hautnahe wie vielgestaltige Portfolio der jungen Bernerin Anja Schori, das sich mit dem ungewöhnlichen Thema von Boxerinnen befasst. Mag sein, dass die Intimität eine Folge davon ist, dass Schori selbst zu ihnen zählt.

Dass „Bande à part“ nicht zwingend einer figürlichen Darstellung bedarf, zeigt zum Beispiel „Intimacy“ aus der Folge „System Research“ des Zürchers Alexander Odermatt: Eine Reihe billigster Nachttischchen mit wenigen persönlichen Gegenständen, aufgenommen in diversen Asylunterkünften. Die Art und Weise wie hier Anonymität und Individualität im Kleinstformat aufeinander stossen, berührt.

Eine andere Blickweise lenkt die Bildwahl des Waadtländers Matthieu Gafsou in „Espaces Nomades“. Er porträtiert nicht einfach Gemeinschaften, die abseits der Zivilisation campieren, sondern reflektiert in einer Art „Bildgeschichte“ über unsere Vorstellung von „unberührter Natur“. Beachtung erfahren wird zweifellos Fabian Biasio mit seiner erstaunlich aussagekräftigen Langzeitstudie „Die Mitte des Volkes“, die Mitglieder der Schweizerischen Volkspartei (SVP) porträtiert; hier in ihrer zuweilen überraschenden Wohnumgebung sowie mit einem Bild der von ihnen genannten Lieblingslandschaft.

Eine interessante Sonderstellung nimmt schliesslich  „Singled Person“ ein, eine Gruppe von Fotografen unter anderem aus Japan und Deutschland, die sich als Gemeinschaft fotografierender Individuen in einer Zeit der Allgegenwärtigkeit der Fotografie versteht. Sieben Diaprojektionen mischen die Bildwelten zu einem kaum durchschaubaren Potpourri – so wie wir es unseren Alltag bis zur Bedrohlichkeit mitbestimmt.

Die insgesamt 26 Fotokünstler stammen mehrheitlich aus der Schweiz und sind – mit Ausnahme von Heini Stucki  – zwischen 27 und 48 Jahre alt. Bewusst machen die Fototage aber auch einen Schritt in Richtung Internationalität, umsomehr als der Franzose Charles Fréger mit seinen Zeichen aus kolonialistischer Zeit im Themenkontext geradezu ein Must sind. Dass es den Veranstaltern ohne finanzielle Anreize oder Mitfinanzierungen von neuen Portfolios gelang, so viel Qualität nach Biel zu holen, ist eigentlich das grösste Kompliment für die Low Budget-Veranstaltung und gewiss auch Ausdruck der langjährigen Bemühungen Biels um die Fotografie (das Photoforum feiert heuer sein 25-Jahr-Jubiläum).

Bilder (von oben nach unten): Charles Fréger, Meinrad Schade, Alexander Odermatt