Jan Pieter Terwey (1883-1965) Seebutz 2009

Auf den Spuren eines „verlorener“ Bielersee-Malers

 www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in „Seebutz“ – Kalender für das Seeland, 2009


Bei Kunst-Auktionen in der Schweiz und in den Niederlanden wurden in den letzten Jahren mehr als 100 Bilder gehandelt. Aber es gibt keine einzige Fotografie des Künstlers. Das ist die paradoxe Ausgangslage für diesen Text zum Bielersee-Maler Jan Pieter Terwey (1883-1965).

Nicht wenige im Seeland erinnern sich: „Ach, bei uns zuhause in der Stube hing einst auch eine Landschaft von Terwey“.  Der holländische Maler, Sozialist und Anhänger einer christlich-anarchistischen Gruppe kam 1913 ein drittes Mal in die Schweiz. Man sagt, er habe Verwandte in Zug und Freunde in Zürich gehabt, jedenfalls bereiste er – mit Farbe und Malkarton im Gepäck –  von da aus verschiedene Landesgegenden, darunter auch das Seeland. Ab 1914 herrschte Krieg in Europa, an eine Rückkehr nach Holland war nicht zu denken, sass er dort doch 1903/04 wegen Dienstverweigerung kurzzeitig im Gefängnis. So blieb er, letztlich für sein ganzes Leben in der Schweiz, im Seeland. 1917 heiratete er in zweiter Ehe die Bielerin Hanna Rosina Rauber, mit welcher er drei Kinder hatte: Gertrud (1918-1997), Joachim (1921-2001) und Helmut (geb. 1928).

Jan Pieter Terwey kam als professioneller Maler in die Schweiz. Er hatte eine Lithographenausbildung, war Absolvent der Reichsakademie, der Reichsschule für Künstlerförderung in Amsterdam und einem weiteren Kunstinstitut in Bussum (1897-1902/1905).

Leider – und das erschwert die Charakterisierung seines Oeuvres enorm – hat der Künstler seine Bilder wohl signiert, aber NIE datiert. So beruhen alle Einschätzungen bezüglich Früh-, Mittel- und Spätwerk auf Vermutungen, umsomehr als es ausser den Bildern selbst keine Quellen gibt, auf die man sich abstützen könnte. Bei seinem Tod 1965 oder allenfalls beim Tod seiner Gattin 1981 wurden mit grosser Wahrscheinlichkeit alle persönlichen Dokumente vernichtet. Der künstlerische Nachlass ging, da die Nachkommen das Erbe (wegen vorhandener Schulden?) ausschlugen, an die Gemeinde Dotzigen, wo die Familie seit 1936 gelebt hatte. Nach einer Verkaufsausstellung 1994 übergab die Gemeinde den Nachlass einem Bieler Kunsthändler, der das Konvolut dem Terwey-Sammler Jean-Pierre Nemeth aus Worben verkaufte. Diese Sammlung wiederum war der Grundstock für die Ausstellung „Jan Pieter Terwey“ im Rebbaumuseum in Ligerz von Mai bis Oktober 2009. Diese machte schmerzlich bewusst, dass das anderen Bielersee-Malern derselben Generation gleichwertige Werk des Holländers bisher nie in seiner Bedeutung gewürdigt wurde. Es ist nicht einmal in dem ansonsten praktisch vollständigen „Biografischen Lexikon der Schweizer Kunst “ des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft aufgeführt.

Ausgangspunkt für die von der Historikerin Heidi Lüdi kuratierte Ausstellung in Ligerz war einerseits die mündliche Überlieferung, dass die Familie Terwey in den 1920er-Jahren in Ligerz und von ca. 1929-1934 auf der Sonnenfluh in Twann wohnhaft gewesen sei. Andererseits war da die anhand des malerischen Werkes leicht zu beweisende Tatsache, dass der berühmte Blick auf die Ligerzer Kirche, den See und die Petersinsel, der Blick hinunter auf Twann, den See und weiter oder die Sicht von der Petersinsel ans Ufer den Künstler faszinierte und zu unzähligen Bildern anregte.

Etwas eingegrenzt werden kann die Faktenlage durch die Tatsache, dass Gertrud 1918 in Lugano, Joachim 1921 in Biel geboren wurde, während der Geburtsort von Helmut 1928 unbekannt ist. Aufwändige Recherchen könnten hier Weiteres ans Licht bringen.

Wesentlicher ist ein Blick auf die Frühzeit des Künstlers. Ein auf Karton gemaltes, in dunklen Tönen gehaltenes Intérieur mit liegendem Frauenakt in der Sammlung Nemeth verweist auf die akademische Ausbildung des Künstlers um 1900. Zwei Tusch- sowie mehrere Bleistift-Skizzen (eine datiert 1902) dokumentieren Meeres-Landschaften und Segelschiffe als Motive. Terwey träumt indes – wie viele damals –  von einer besseren Welt und knüpft Kontakt zu einer Gruppe, die durch Vegeta-rismus, christlichen Glauben und Enthaltsamkeit neue Lebensformen sucht. 1904 lernt er Otto van Rees (1884-1957) kennen, der damals in dem von Georges Seurat (1859-1891) begründeten Stil des Divisionismus (die Fläche in einzelne kleine Striche auflösend) malt. Rees führt ihn in den Blaricum-Kreis ein und 1905 heiratet Terwey dessen Tochter Mies van Rees. Gemäss einer Biografie über die „Sozialistische Arbeiterbewegung in den Niederlanden“, malt Terwey in dieser Zeit zwar – einer Erwähnung folgend könnten es christliche Themen gewesen sein – doch beschäftige er sich vor allem mit der Herausgabe von Publikationen. Vermutlich stammen auch die nemethschen Tusch-Zeichnungen aus Blaricum.

Ab 1908/09 ebbt das Feuer für die neue Welt-Vision ab, was übrigens zeitgleich auch für den Blaricum verwandten Kreis ob Ascona feststellbar ist. Terwey begibt sich – nun klar als bildender Künstler –  auf Reisen, nach München, London, Rom und in die Schweiz. Im Rahmen einer internationalen Ausstellung in Rom, so kolportiert eine nicht im Detail belegte Biografie von 1975, soll Terwey gar mit dem „Prix de Rome“ ausgezeichnet worden sein. Im Nachlass gibt es eine Reihe von Pastell-Zeichnungen auf „Tizian“-Papier, welche figürlich-symbolische Darstellungen zeigen, zum Beispiel Eva mit der Schlange, eine Allegorie auf den Tod, die Geburt der Venus usw. Es ist wahrscheinlich, dass es sich hierbei um Arbeiten aus dieser Zeit handelt, entsprechen sie doch dem Zeitgeist zwischen Akademismus und Aufbruch. Trotz atmosphärischer Qualität zeigen sie indes, dass Terwey kein virtuoser Zeichner ist. Seine Stärke wird sich im Licht der Landschaft entfalten. Er wusste das wohl selbst auch, denn durchs ganze Oeuvre hindurch werden figürliche Darstellungen die Ausnahme bleiben und da wo er Figuren einsetzt, wie in der „Gänselisel“zum Beispiel, bleiben sie seltsam vereinfacht.

So gut man über Terweys holländisches Leben orientiert ist, so blank ist die Biografie ab dem Zeitpunkt, da er in der Schweiz Wohnsitz nimmt. Da er sich 1913 auch von seiner Frau trennt, muss von einem bewussten Bruch mit der vorherigen Zeit ausgegangen werden. Klar ist jedoch, dass Terwey auch in der Schweiz keiner anderen Beschäftigung nachging, die Malerei stets im Mittelpunkt seines Lebens stand. Selbst wenn das Geld nicht mehr für das Nötigste für die Familie reichte, schaffte er es immer, Farbe und Leinwände zu kaufen, um malen zu können. Dem Druck der Verpflichtung als Familienvater folgend, verwehrte er sich kommerziellen Aspekten jedoch nicht gänzlich. Er schuf eine Vielzahl von postkartenähnlichen Radierungen mit beliebten Sujets wie der Kirche Ligerz, der Gemeinde Twann, der Altstadt von Biel, dem See mit der Insel, die er einzeln und in voneinander abweichender Manier kolorierte. Mündlicher Überlieferung folgend, wurden die Kinder damit in die Stadt geschickt, um sie daselbst auf der Strasse für ein paar Franken zu verkaufen. Zuweilen veranstaltete er auch selbst Graphik-Ausstellungen in Biel.

Jan Pieter Terwey lebte in einer ökonomisch sehr schwierigen Zeit. Kaum hatte sich die Wirtschaft vom ersten Weltkrieg etwas erholt, kam die Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre und daraufhin der 2. Weltkrieg. So wundert es nicht, dass es Terwey als zugezogener Holländer nicht gelingen konnte, sich im Seeland mit dem Verkauf von Kunstwerken einen existenzsichernden Markt zu schaffen. Umsoweniger als die Zahl der „Bielersee-Maler“ in dieser Zeit überproportional gross war.Man denke an Ernst Geiger, an Fernand Giauque, an Otto und Walter Clénin, an Traugott Senn, an Oskar Binz, an August Jaeger , an Karl Hänny u.a.m. Soweit bekannt, hatte Terwey kaum Kontakte mit seinen Maler-Kollegen, obwohl er  in der Ligerzer- und Twanner-Zeit fast Tür an Tür mit ihnen lebte. War er unwillkommene ausländische Konkurrenz?

Wie eingangs erwähnt, ist es sehr schwierig Terweys Malerei zu datieren. Gesamthaft kann man aber doch postulieren, dass es eine Entwicklung hin zu Licht und Leichtigkeit hin gibt. Und dass seine Malerei im postimpressionistischen Umfeld seiner Zeit stärker von Frankreich beeinflusst ist als von den expressiven Tendenzen Deutschlands. Das heisst die Formen sind im Allgemeinen weicher, fliessender die Flächen stärker in einzelne kleine Pinselzüge aufgelöst, die Farben transparenter gehalten und die Kontraste stärker zurückgenommen als zum Beispiel bei Ernst Geiger. Die Farbe Rot gibt es fast nur als Rosa oder als feine lineare Umrandungen respektive kleine Zweige. Auch mit Gelb ist er sparsam, es sei denn er rücke den See mal in den Hintergrund  – was eher selten war – und lasse sich von einem gelben Weizenfeld mit roten Mohnblumen verführen. Man kann auch feststellen, dass es keine Winterbilder gibt. Dominant ist das Wasser – kein anderer Maler am See hat den Bielersee so sehr zum Meer gemacht wie Jan Pieter Terwey. Das überrascht bei einem holländischen Maler natürlich nicht. Genausowenig wie die Beobachtung, dass die Weinberge, die bei seinen Kollegen oft so wichtig sind, eher selten ins Blickfeld gerückt sind. Er liebt den See, die Weite und zugleich das Einrahmende von Ufersteinen, Schilf und vereinzelten Baumbeständen – seien es Birken, Weiden oder Pappeln. Er liebt die sanfte Form der Peterinsel, den langgestreckten Heidenweg und oft verrät die  Form des Jolimont, von wo der Maler auf den See schaut.

Ab 1936 – und bis zu seinem Tod im Jahr 1965 – wohnt Jan Pieter Terwey mit seiner Familie im „Schlössli“ in Dotzigen. Aus amtlicher Korrespondenz lässt sich ablesen, dass er zuvor in Leubringen angemeldet war. Über die Hintergründe der diversen Wohnortswechsel ist nichts bekannt. Dass Finanzielles eine Rolle spielte, ist anzunehmen, denn die Familie kämpfte sich unter dem Existenzminimum durch und viele Bilder kamen nicht durch  Verkäufe zu ihren Standorten, sondern weil Rosina Terwey aufgelaufene Schulden immer wieder mit Bildern „bezahlte“. So gründet zum Beispiel die Beziehung des in Biel aufgewachsenen Sammlers Jean-Pierre Nemeth darauf, dass Rosina Terwey die Wäscherei-Rechnung bei seiner Mutter einst mit einem Bild beglich. Wesentlicher ist aber seine Erinnerung, dass man bezüglich Terwey nicht etwa von einem „armen Schlucker“ sprach, sondern von einem Künstler. J.P. Nemeths Mutter war unter anderem die Coiffeuse des Städtebundtheaters und so gingen Kulturschaffende zuhause ein und aus und wenn, so sagt Nemeth, von Terwey die Rede war, so immer von einem ihresgleichen. Terwey muss also markanter Gesprächspartner gewesen sein.

Es heisst auch, er habe in jungen Jahren zahlreiche Vorträge gehalten, sei es über Hodler in Holland oder über Van Gogh in der Schweiz.  Wenn dies auch nicht belegt ist, so weist es doch klar auf den Akademiker hin, der auch unter widrigen äusseren Umständen seine Berufung zum Künstler nie in Frage stellte und darum auch daran fest hielt Maler zu sein und nichts Anderes.

Konkret: Er nahm es lieber hin, die holländische Botschaft in der Schweiz um Unterstützung zu bitten als einer anderen Arbeit nachzugehen. Es ist dokumentiert, dass die Miete für die einfachst ausgestattete Wohnung im Schlössli  in Dotzigen von Fr. 68.50 pro Monat lange Zeit von der holländischen Botschaft berappt wurde. Die finanzielle Misere erklärt auch teilweise, warum die Terweys nie Schweizer Bürger wurden. Welche Schweizer Gemeinde hatte schon Lust „Armengenössige“ einzubürgern. Dass Rosina Terwey eine Bielerin war, zählte dabei offenbar nicht. Und dass der Ausländerstatus insbesondere auch für die Kinder in den 1930er-/40er-Jahren ein Hemmschuh war – alle kamen erst sehr spät zu einem Beruf – wurde ebenso wenig bedacht. Dieser Umstand ist zu Lebzeiten und über den Tod des Künstlers hinaus mit ein Grund für die fehlende Rezeption des künstlerischen Werkes. In Auktions-Katalogen figuriert Terwey stets als „holländischer Maler“, was richtig und falsch ist, denn die Kontakte zu Holland brechen nie ganz ab, die Sujets sind aber durchwegs schweizerisch.

Von Terwey selbst gibt es keine Äusserungen dazu. Fakt ist aber, dass, nach heutigem Kenntnis-Stand, zu Lebzeiten des Künstlers in der Region Biel-Seeland nie eine Einzelausstellung stattfand, auch nicht in den 1950er-Jahren als sich mit aufblühendem Zukunftsglauben die Situation für die Kunstschaffenden aufhellte. Terwey war damals schon 70 Jahre alt und hatte offensichtlich nicht mehr die Kraft die Chancen zu packen; zu sehr hatte er sich in den Elfenbeinturm des Schössli zurückgezogen – innerlich und äusserlich. Spricht man in Dotzigen mit älteren Menschen, so zeigt sich schnell, dass der grosse, hagere, weisshaarige Mann zwar noch „Bild“ ist, sich aber kaum jemand mehr an Worte von ihm erinnern kann.

Immerhin, es gab auch Lichtblicke. So gibt es einen Text, in dem Baumeister und Nationalrat Hans Müller (1893-1971) aus Aarberg als „Mäzen“ bezeichnet wird;  treffender ist wohl, dass er einige Werke kaufte. Jedenfalls hingen in dem ihm gehörenden Restaurant zur Krone in Aarberg lange Jahre zahlreiche Bilder Jan Pieter Terweys. Auch die Künstlerin susanne muller (geb. 1953), Tochter des die zweite Juragewässer-Korrektion leitenden Robert Müller (1908-1987), erinnert sich an mehrere Terweys zuhause in Bellmund und interessanterweise auch an den Besuch einer Ausstellung in Interlaken um 1975 (also 10 Jahre nach dem Tod des Künstlers). Auch andernorts mehrten sich die Terweys in den guten Stuben. In der Sammlung der Stadt Biel befinden sich vier, zum Teil repräsentative Werke, allerdings ohne Vermerk zum Zeitpunkt der Ankäufe.

Versucht man das Oeuvre von Jan Pieter Terwey qualitativ zu orten, so kann man zunächst sagen, dass es den Aufbruch in die Moderne erst spät nachvollzieht. Aus den 1950er-Jahren gibt es zahlreiche, zum Teil erstaunliche, teilweise datierte abstrakte Experimente auf Papier, welche eine Auseinandersetzung mit Mondrian, Klee, aber auch islamischer Ornamentik verraten. Sein Hauptwerk ist indes nachimpressionistischer Natur und hier Teil einer breiten, kunstgeschichtlich verspäteten Strömung in der Kunst in der Schweiz in dieser Zeit.

Wie viele Werke zeigt es qualitative Unterschiede. Es gibt Bilder, die für eine mögliche Käuferschaft produziert wirken, es gibt aber auch viele Bilder, in denen Terwey seiner Künstlerschaft nachlebt und Malerei im besten Sinne des Wortes verwirklicht. Zu nennen sind da insbesondere die Seestücke mit und ohne Segelschiffe, aber auch farblich wagemutige (oft grüne) Uferpartien mit weitem Blick ins Blaue; vereinzelt auch Kompositionen mit Gewitterstimmungen. Typisch ist Terweys Bedürfnis des Einrundens der Komposition in ein harmonisches Ganzes; darin insbesondere kann man eine gewisse Nähe Terweys zu Hodler spüren, der in seinen Landschaften immer auch spirituelle Horizonte sah.

Dieser Text kann nur einen vorläufigen Stand der Dinge einkreisen. Es ist zu hoffen, dass der Ball, den Ligerz der Kunst im Seeland zugespielt hat, bald aufgegriffen und vertieft wird und das Werk von Jan Pieter Terwey damit bleibend in die Bielersee-Malerei der 20er- bis 50er-Jahre eingereiht wird.

In der Ausstellung von 1994 erwarb die Gemeinde Dotzigen das Bild, das daraufhin längere Zeit im Gemeindehaus hing. Als jedoch 2001/02 der Enkel des Malers, Pierre-Yves Petit-Terwey (ein bei seiner Geburt 1955 zur Adoption freigegebener, unehelicher Sohn von Gertrud Terwey) auf Spurensuche nach Dotzigen kam und im abgebildeten Mädchen seine Mutter erkannte, gab die Gemeinde das Bild zum Erwerb durch P.Y.P-T frei.

Es wäre eine Untersuchung wert, was den Bielersee in dieser Zeit so attraktiv macht für Maler. Ist es das „Schroffe und das Liebliche“, wie Andreas Meier einmal formuliert, ist es der in die Natur eingebettete See mit der Insel als Charakteristikum, ist es das Andere und doch Ähnliche im Vergleich mit Hodlers Genfersee, jenem Maler, den sie alle bewunderten?