Utopics – 11. Schweizer Plastikausstellung in Biel 2009

Im Bann von Mikronationen und anderen Utopien

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Mittellandzeitung vom 29. August 2009

„Utopics“, die 11. Schweizer Plastikausstellung in Biel, gewährt Staatsideen und anderen Wunschträumen für 8 Wochen Asylrecht – mit Standorten quer durch die Neu-Stadt. Heute und morgen ist Vernissage.

„Totgesagte leben länger“, heisst es. Die 1954 initiierte „Schweizer Plastikausstellung“ in Biel beweist es. Nach der 10. Ausgabe und einigen Skandälchen im Jahr 2000 tot geschrieben, ist sie jetzt mit Simon Lamunière dem Direktor der „Art Basel Unlimited“ als Leiter auferstanden. „Utopics“ nennt sie der Genfer und meint damit nicht einfach Utopien, sondern eine Verkürzung von U (you) – Topic – Utopia – Pics (Pixel). Das heisst, es geht um ebenso reale wie fiktive oder virtuelle Gemeinschaften – seien es Pflanzen wie beim „Invasoren“-Projekt des Schweizer Duos Steiner/Lenzlinger oder gusseiserne Dohlen-Deckel des „State of Sabotage“ von Robert Jelinek, die ein weltweites Kanalsystem markieren.

Lamunières Vision kommt man am nächsten, wenn man die ursprünglichsten Definitionen von Utopie heranzieht, nämlich „Nicht-Ort“ und „Glücklicher Ort“. Die meisten „Mikronationen“ und anderen Staats-Insignien – Fabrice Gygis Fahne auf dem Volks-Haus zum Beispiel –  die Biel wie ein Rhizom durchwachsen, zielen nämlich anarchistischer Elemente zum Trotz auf Ideale, auf die Verwirklichung von Träumen, von „sozialen Plastiken“.

Dass Joseph Beuys und Fluxus-Künstler Robert Filliou Pate standen, ist offensichtlich. 13’720 cm2 von Fillious „Genialer Republik“ sind gar in Biel ausgestellt. Die Rückbindung an die 1960er-/70er-Jahre zeigt sich nicht zuletzt daran, dass einmal mehr versucht wird, den Kunstbegriff zu erweitern. Zum Teilnehmerfeld gehören nämlich auch der grüne „Parzifal“, der seit Jahrzehnten für Esperanto als Weltsprache wirbt oder die Zöllner der 1947 gegründeten „République du Saugeais“.

Dass „Parzifal“ mit einem Tisch-Set, das in Restaurants ausgelegt ist, sowie sonntäglichen „Sonnentheater“ präsent ist, zeigt, dass „Utopics“ nicht auf spektakuläre Inszenierungen ausgerichtet ist, sondern sich – Biel durchaus entsprechend – eher subversiv eingenistet hat. Allerdings kann klein auch fein sein – so ist Carsten Höllers „Brille“, die einem die Welt upsidedown zeigt, nicht einfach ein Gag, sondern ein helmartiges Gerät, das den Besuchern von einer Optikerin angepasst wird, und die eigene Körperlichkeit blitzartig „auf dem Kopf stellt“!

 

 

 

Tatjana Trouvé

Glücklicherweise war sich Lamunière der Problematik von Aktionen, von denen viele über dieses Wochenende stattfinden, von Konzepten und visuellen Ansprüchen seitens des Publikums bewusst und hat trotz nicht erreichtem Sponsoren-Budget eine gelungene Mischung von Greifbarem, Denkbarem und nur von einem PC aus Einsehbarem gefunden. Von den Aktionen sei zum Beispiel auf Nedko Solakovs ironischen Test des schweizerischen Demokratieverständnisses hingewiesen; der Künstler sammelt heute und morgen Unterschriften gegen das Initiativrecht.

Eine für das Thema virulente Arbeit stammt von der Genferin Mai-Thu Perret. Die 33-Jährige gründete vor Jahren eine teils reale, teils fiktive Frauen-Arbeitsgemeinschaft in Lateinamerika, die eine Antithese zur heutigen Welt verkörpert. In Biel erzählt eine Schrift-Arbeit von ihren Erlebnissen. Eine lebensgrosse Marionette verweist dabei zugleich auf die Netzwerke der Welt wie auf den fiktionalen Charakter als Kunst-Werk. Insgesamt umfasst die „Plastikausstellung“ knapp 50 Positionen.

„Utopics“ ist nicht direkt vergleichbar mit den Freilichtausstellungen wie sie seit 1979 allüberall stattfinden. Die Differenz zeigt sich vor allem im betont urbanen Charakter; so sind die Projekte denn auch nicht in der Altstadt angesiedelt, sondern in der Neu-Stadt, in den Entwicklungsgebieten, rund um Baustellen, in der Industriebrache; da, wo sich Städtisches wie überall auf der Welt zeigt. Und sie dehnen den Skulptur-begriff deutlich in die Gegenwart. So ist die chinesische Künstlerin Cio Fei mit einer grossformatigen Bau-Tafel am Rand einer Baustelle präsent, die auf die futuristische RMB-City hinweist, welche sie in „Second Life“ baut und betreibt. Auch Fabiana de Barros, lässt ihren lange real genutzten Kulturkiosk im

                                                                                         Carsten Höller

Jura-Wald verschwinden, da auch er seinen Standort nun im World Wide Web hat.

Info: Samstag/Sonntag 29./30. August Vernissage. Ausstellung bis 25. Oktober. Offen: Di – Fr 12-18, Sa/So 11-18 Uhr. Empfang: Bahnhofplatz. Eintritt: 10 Franken inkl. Kurzführer (notwendig!). Katalog (engl.): 49 Franken.

 

Bilder: azw