Binding Stiftung unterstützt Pasquart 2009

Buch Hannes Brunner

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 16. März 2009

Dieser Tage erschien der Katalog zur Ausstellung von Hannes Brunner im Museum Pasquart. Es ist die erste Bieler Publikation im Programm von „Binding Séléction d’Artistes“.

„Es freut mich natürlich sehr, dass gleich unser erstes Gesuch um Unterstützung von „Binding Séléction d’Artistes“ angenommen wurde“, sagt Dolores Denaro, Direktorin des Museums Pasquart. Seit fünf Jahren fördert die Sophie und Karl Binding-Stiftung die Herausgabe monographischer Publikationen von Schweizer oder in der Schweiz lebenden, ausländischen Kunstschaffenden. Und zwar nicht in Eigenregie, sondern in enger Zusammenarbeit mit der Vereinigung Schweizer Kunstmuseen (VSK). Das heisst, die Museen unterbreiten der Stiftung Anträge für die Herausgabe massgeb-licher Publikationen zum Schweizer Kunstschaffen. Vier bis sechs Bewerbungen pro Jahr haben eine Chance berücksichtigt zu werden.

Nachdem das Museum Pasquart letztes Jahr in die 1999 vom Winterthurer Museumsdirektor Dieter Schwarz initiierte und bis heute präsidierte Vereinigung aufgenommen wurde, konnte es 2008 erstmals ein Gesuch einreichen und erhielt auf Anhieb 40 000 Franken an das Projekt „Hannes Brunner – à la recherche du temps gagné“. Das deckt zwar nur einen Teil der Gesamtkosten, aber das Label „Binding Séléction d’Artistes“ ist je länger je mehr auch eine Auszeichnung. In den breit gefächerten Aktivitäten der Stiftung figuriert das Programm als „Schwerpunktprojekt“ und soll, so Geschäftsführer Benno Schubiger, trotz Finanzkrise vorläufig nicht reduziert werden.

Obwohl sich die Stiftung in keiner Weise in die künstlerischen Konzepte einmischt, jeder Katalog ein anderes Gesicht hat, ist der Einfluss der Stiftung auf die Museumsprogramme, ja gar die Schweizer Kunstgeschichte, nicht zu unterschätzen. Denn das Kriterium, dass eine Publikation sowie die dazugehörende Ausstellung retrospektiven Charakter haben muss – sei es bezüglich des Gesamtwerks oder Aspekte davon – fördert Museumsprojekte, die Schweizer Kunstschaffende mit umfassendem Werk ins Rampenlicht stellen. „Binding Séléction d’Artistes“ ist mit dieser Ausrichtung auf geschaffene Werte, etwas pointiert formuliert, eine Art Anti-Mainstream-Programm. Denn Aktualität und Rückblick zählen, nicht nur der Hype der Gegenwart. Überdies signalisiert es eine Wertschätzung wichtiger Schweizer Positionen, die im Modetrend des „Global Village“ in den letzten Jahren vielfach unter die Räder kamen.

Ein Blick in die Publikationsreihe zeigt das deutlich: Zu nennen ist zum Beispiel das Buch zur Retrospektive des Berners Vaclav Pozarek in Winterthur, die Publikation zur eindrücklichen Rückschau von Thomas Huber im Aargauer Kunsthaus Aarau, die sorgfältigst gestaltete Edition „Weltgesichte“ von Cécile Wick im Kunstmuseum Bern oder der fast schon als Künstlerbuch konzipierte Katalog zur Ausstellung Daniela Kaiser im Kunstmuseum Solothurn (das BT berichtete). Bei all diesen Beispielen wurde von der Jury honoriert, dass die Publikationsprojekte mehr sind als reine Dokumentation, mehr sind als die Verdoppelung einer Website. Gerade dieser Nachhaltigkeits-Aspekt ist für das „Branding“ von „Binding Séléction d’Artistes“ wichtig.
In diesem Jahr fördert die Stiftung neben Hannes Brunner auch das Buch zu Jules Spinatsch im Kunsthaus Zug, eine umfassende Auslegeordnung sämtlicher Textarbeiten der letzen 20 Jahre von Alex Hanimann (aktuell im Aargauer Kunsthaus Aarau). Ferner die Publikationen zu den Ausstellungen von François Boson in Sion, Peter Radelfinger im Kunstmuseum Bern und Corsin Fontana in Chur.  Das Beispiel des in der Deutschschweiz fast gänzlich unbekannten François Boson (geb. 1949) zeigt, dass die Stiftung eine wichtige Aufgabe, nämlich das Zusammendenken der verschiedenen Landesteile, in Zukunft vermehrt berücksichtigen will (sofern entsprechende Gesuche eintreffen).

Link: www.binding-selection.ch

C’est le temps qui fait la musique

Dem 168 Seiten starken Buch „Hannes Brunner – A la recherche du temps gagné“ ist ein leicht, aber signifikant verwandeltes Sprichwort vorangestellt: „C’est le temps qui fait la musique“ (temps anstelle von ton). Dieses zugleich zeitlich-philosophische wie poetisch-musikalische Bonmot weist auf das doppelte Anliegen des Künstlers. Er will fundamentale Parameter des Mensch-Seins in Raum und Zeit erkunden, dies visuell aber nicht illustrieren, sondern in sinnlich erfahrbare Kompositionen umwandeln.

Entsprechend ist auch das Buch zum einen (zu) dicht gedrängter Lesestoff mit intellektuellem Anspruch, zum andern randabfallend gedrucktes Bilder-Buch mit knappen Erläuterungen und nahe herangezoomten Spiegelungen. Schön, wie das trockene Papier für die Buchstaben und das glänzende für die Bilder das aufnehmen. Was etwas verloren geht, ist das „Trashige“ der Hardware, die immer nur Moment im Zeitfluss des Denkens sein will.

Spannender als in der Ausstellung ist  das retrospektive Moment der Publikation. Es werden sämtliche Installationen und Projekte in Wort und Bild vorgestellt, von den „Zementwerken“ (1985) und „Maschinen zwischen Haustür und Gartentor“ über „Bank und Statisten“ (1993) bis zur Internet-Bildschirm-Arbeit „search engine’s bodily reply“ (2008).

Der Ablauf ist dabei nicht chronologisch, sondern erneut ein brunnersches Denk-Modell.  Es wird deutlich wie der Künstler das Arbeiten in Modellen seit den 80er-Jahren konsequent einsetzt und dabei überraschenderweise häufiger gesellschaftliche und urbanistische Themen verfolgt als es in der Pasquart-Ausstellung zum Phänomen von Zeitqualitäten zunächst scheint.  Das heisst: Die Lektüre verändert die Optik und das ist gut so.

Dolores Denaro übernimmt im Buch die schwierige Aufgabe die philosophisch-intellektuelle Ebene Brunners auf allgemeine Verständlichkeit hinunterzubrechen; es gelingt ihr dies soweit überhaupt möglich. Sympathisch ist das Interview mit Beatrix Ruf, das Gespräch und Reflektion verbindet. Den Künstler selbst kreist ein Text von Hubertus von Amelunxen ein.
Info: Hannes Brunner – A la recherche du temps gagné, 168 Seiten (d/f), Verlag Moderne Kunst Nürnberg. Im Museum Sfr. 30.-

Die Sophie und Karl Binding Stiftung

Die Stiftung wurde 1963 gegründet. Sitz ist Basel.
Sie ist eine der grössten, gemeinnützigen Stiftungen der Schweiz.
Ihr Vermögen stammt primär aus der ersten Ehe von Sophie Hübscher (1902-1989) mit Hans von Opel, der seit dem Verkauf der deutschen Opel-Werke an General Motors (1929) in Liestal lebte und früh verstarb.
1951 heiratete die Witwe den Juristen Karl Binding (1911-1994).
Die Stiftung ist in den Bereichen Umwelt, Soziales, Bildung und Kultur tätig.
Sie vergibt jährlich mehrere Millionen Franken.
Aufgrund der Finanzkrise musste das Budget 2009 um 15% gekürzt werden. (azw)

Bilder: Drei Beispiele aus der Binding Séléction d’Artistes: Daniela Kaiser, Alex Hanimann, Hannes Brunner.   Foto: azw

Zeitskulptur (Ausschnitt) von Hannes Brunner. Foto: azw