Christian Gonzenbach in der Abbatiale de Bellelay 2009

Warum nicht in die Haut des andern schlüpfen?

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 23. Juli 2009

Christian Gonzenbach aus Genf hat für die Abbatiale de Bellelay das Skelett eines Ozeanriesen gebaut. Und einen Hund, der sein Fell nach innen trägt, dazugesellt.


Kein Gotteshaus weit und breit, dessen Raumvolumen den Begriff des „Kirchenschiffs“ so augenfällig macht wie die Abbatiale de Bellelay. Der 34-jährige Genfer Künstler Christian Gonzenbach nahm das Wort beim Namen und baute für die Sommeraus-stellung ein riesiges Schiff ins Schiff.  Die Form lässt diesbezüglich keinen Zweifel offen, obwohl eigentlich nur das Skelett zu sehen ist und bis zur Fahrtüchtigkeit noch einiges an Arbeit anstünde. Doch diese überlässt der Künstler den Kirchgängern, die sie in Gedanken vollziehen sollen. Vielleicht machen sie dabei den Barock-Raum zwischen Himmel und Erde  zum „Luft-Schiff“ und öffnen so das Tor zur Welt der Möglichkeiten und Mutationen wie sie das Werk des Künstlers in grösserem Rahmen kennzeichnen.

Die erste Irritation löst der fleischrote Hund aus, der mit treuen (Glas)-Augen, aber äusserst ekliger Hautoberfläche neben dem grossen „Schiff“ Wache hält. Die Werkliste verrät des Künstlers Methode: Er hat einen Hund mit dem Fell nach innen ausgestopft. Da und dort sieht man Haarbüschel, die es bestätigen. Warum soll sein, was immer ist, scheint der Künstler zu fragen. Es könnte ja auch anders sein.

Den Vogel Strauss in der Vitrine hinter dem Gitter zeigt er nicht ausgestopft, sondern als Versammlung aller Skelett-Teile – jedes Gelenk, jeder Wirbel eine kleine Skulptur. Doch der Künstler kann das Gruseln nicht lassen – die hochgestelzten „Beine“ im Chor sind echte Straussenhaut-Stiefel. Warum soll Leder immer verbergen, was es ist?  Der kurze in einen Kleiderschrank eingebaute Animations-loop am Schluss des Rundgangs bringt eine mögliche „Moral von der Geschicht“:  Wer sich streitet, zieht am besten seine Haut aus und wechselt sie mit dem Gegenüber, genau so wie das Huhn und Wiesel im Film machen.

Die diesjährige, erstmals vom Kulturgüterschutz-Fachmann René Koelliker kuratierte Ausstellung reiht sich würdig in die Reihe der seit einigen Jahren qualitativ gesteigerten Inszenierungen. Trotz des deutschen Namens ist Christian Gonzenbach ein junger, beachteter Romand, 1975 in Genf geboren und heute Dozent an der dortigen Fachhochschule für Kunst und Design. Angesichts der Ausstrahlung der Bellelay-Ausstellungen, könnte die aufwendige Präsentation auch für ihn zum Brückenschlag Richtung Deutschschweiz werden.

Allerdings ist sein Werk differenziert zu betrachten. Allzu viel Philosophie und Welt-Vision darf man nicht in sein Schaffen projizieren. Obwohl geprägt von zum Teil gewagten Mutationen, bleibt einem das Lachen darob nicht im Hals stecken. Vielleicht ist das ein Charakteristikum für die in den 1970er-Jahren Geborenen, welche, animiert vom Computer, das Fluide, das von einer Sicht in eine andere wechseln, als selbstverständlich betrachten. Somit kann sich, im Fall Gonzenbach, eben auch ein Schienbein aus Gips, Torf und Leim in einen Dinosaurier-Knochen vergrössern, um den Dimensionen des Ausstellungsraumes Rechnung zu tragen.

Markus Binder schreibt im Katalog treffend, Christian Gonzenbach schaffe Kunst für Kinder, auch wenn diese schon erwachsen seien. Seine Dinge seien sich selbst und doch etwas anderes, ähnlich wie in kindlichen Rollenspielen. Was entstehe sei eine Art „Kunst der Zwischendinge“.

Dass Gonzenbachs Sprache dennoch eigenständig ist, liegt unter anderem am Materialbewusstsein des Künstlers. Dieser ist von seiner Erstausbildung her Keramiker und er sagt von sich ungern er sei ein Künstler, lieber ist ihm auch nach dem „Master“ am Chelsea College of Art and Design in London (2005) die Bezeichnung „Gestalter künstlerischer Werke“. Sein handwerkliches Sensorium, sein Formbewusstsein macht es möglich, dass er zwar mit Konstruktionsplänen, basierend auf heutigen Ozean-dampfern, nach Bellelay kam, schliesslich aber intuitiv und raumbezogen Änderungen vornahm, sodass sich Raum und Raum, Schiff und Schiff in Mass und Zahl verbanden und so ermöglichen, dass sich  die materiellen Parameter in immaterielle Dimensionen weiten.

Die handwerkliche Sicherheit schafft auch das Multimediale, sei es die spürbare Liebe zum Knochigen, sei es die Wandlung von Radiergummis in „Feuersteine“, eines Strausseneis in einen Totenkopf oder, wie erwähnt, das Spiel mit Haut und Körper beim „Meilleur ami de l’Homme“ (dem Hund) oder der Animation mit Huhn und Wiesel.

Info: Ausstellung bis 12. September 2009. Täglich 10 – 18 Uhr. Umfangreicher, zweisprachiger Katalog. Link: www.abbatialebellelay.ch

Bildlegenden:

Schiff im Schiff:Christian Gonzenbachs Skelett eines „Ozeanriesen“ im Kirchenschiff der Abbatiale de Bellelay. Bilder:  azw

Ausgestopft: Wachhund mit nach innen gewendetem Bernhardinerfell.

Abbatiale de Bellelay

Die Klosterkirche wurde in ihrer heutigen Form im frühen 18. Jahrhundert erbaut.

Nach Napoleon Fremdnutzung und Zerfall.

Gründung einer Stiftung und Renovation in den 1960er- und -90er-Jahren.

Seit 1968 jeden Sommer Kunstausstellungen

1999 erste orstspezifische Installation durch Beatrix Sitter, Bern

Stiftungsratspräsident: Henri Mollet, Architekt, Biel

Kuratoren: Valentine Raymond (Moutier), Caroline Nicod (Biel), René Koelliker (Crémines).

Juni 2009: Einweihung der renovierten Bossart-Orgel. Konzertreihe (jeden Sonntag, 17 Uhr), veranstaltet von Bernhard Heiniger (ehemals Biel).

Juni 2010:  Die Ausstellung vom kommenden Jahr ist zurzeit öffentlich ausgeschrieben (siehe Homepage).