Efrat Gommeh – Gastkuenstlerin in Biel 7/09

Leben ist mehr als eine virtuelle Idee

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 31. Juli 2009

Während sechs Monaten lebt die Industrie-Designerin Efrat Gommeh in Biel. Sie ist die Gewinnerin des Artist in Residence-Stipendiums der Bernischen Stiftung für angewandte Kunst.

1 640 000 Treffer listet Google unter dem Stichwort „Lock-Cup“ auf. Die abschliessbare Tasse mit einem Loch und einem Schlüssel dazu ist eine Erfindung von Efrat Gommeh. Der stilsicher gestaltete Cup soll verhindern, dass in Gemeinschaftsküchen Unbefugte aus einems Becher trinken. Der versteckte Humor ist charakteristisch für die Arbeitsweise der jungen israelischen Designerin, die seit dem 10. Juli mit ihren Partner Eran Bar-oz in der Wohnung des Kantons Bern in der Bieler Altstadt lebt.

Die Keramik-Tasse trug ihr 2004 eine „Honorable Mention“ bei einem Design- Wettbewerb in Mailand ein, machte aber vor allem in Web-Blogs Furore, wo die Tasse sich gleichsam vervielfältigte, bis hin zu Fälschungen. Während es der 34-Jährigen trotz weit vorangeschrittener, schliesslich aber gescheiterter Verhandlungen mit einer deutschen Firma nie gelang, die Tasse in die Produktion überzuführen, kann man sie inzwischen in deutlich banalerer Ausführung bei www.erfinda.de bestellen. Ein Faktum, dass ihr – weil die Website in deutscher Sprache verfasst ist und Efrat Gommeh nur hebräisch und englisch kennt – erst gerade jetzt durch Recherchen des Bieler Tagblatts bekannt wurde.

Während dieses wohl nicht untypische Beispiel auf die Problematik des Internet hinweist, hat der Netzwerk-Charakter des World Wide Web ihr andererseits das Bieler Stipendium gebracht. Eines Tages erhielt sie via ihre Website ein Mail von Magdalena Gerber, einer experimentellen Keramikerin, die Mitglied der als kantonalbernische Kommission wirkenden Bernischen Stiftung für angewandte Kunst ist. Darin wurde ihr vorgeschlagen, sich doch um einen halbjährigen Aufenthalt in Biel zu bewerben. Da die in Tel Aviv lebende Designerin, die 2008 ihr Master-Studium an der „Bezalel Academy of Art and Design Jerusalem“ abschloss, noch nie berufsbezogen im Ausland weilte, gab sie flugs ein Dossier ein…und gewann die Ausmarchung.

Was soll denn ein solcher Aufenthalt, wo sich „das Leben“ doch offensichtlich im Internet abspielt? „Oh, das kann man nicht vergleichen, weg von zuhause zu sein, öffnet den Geist und gibt Raum“, sagt Efrat Gommeh. Sie hat ihren Aufenthalt allerdings gut vorbereitet; so fand sie – im Internet, wo denn sonst – die Bieler Firma „creaholic“ und fragte an, ob sie eventuell bereit wäre, ihr Unterstützung zu geben bei der Entwicklung eines neuen Projektes. Elmar Mock, langjähriger CEO von „creaholic“, stieg auf das Ansinnen ein, sodass die Designerin nun im obersten Stock des „Seifi-Areals“ an der Zentralstrasse für einige Monate einen Freelancer-Platz hat. Wenn auch erst gut zwei Wochen vergangen sind, so ist sie heute schon begeistert von der kreativen Denk- und Arbeits-Atmosphäre, der sie da begegnet.

Schaut man sich auf der Website von Efrath Gommeh um, so sieht man, dass ihr spezfisches Interesse der Umwandlung respektive der Kombination mehrer Elemente oder Funktionen gilt; zum Beispiel ein Nacht-Tisch, der zugleich eine Lampe ist oder eine Kaffeetasse  mit einem Geheimfach für die Schokolade dazu.  Allerdings sind die Beispiele allesamt Prototypen oder in kleinen Serien produzierte Objekte, die über Design-Läden Absatz finden; eine kommerzielle Verwertung gelang bisher noch nicht.

Jetzt möchte sie Abfall, welcher Art auch immer, finden, der sich auf raffinierte Weise in ein neues Produkt verwandeln lässt. Sie denkt dabei weniger an Recycling als an überschüssiges Material aus industrieller Produktion. Dass ihr „creaholic“ dabei ihr Netzwerk an Kundenkontakten öffne, sei toll, sagt Gommeh. Zuhause hat sie ihre Projekte oft in einer Art Ping Pong-Spiel mit befreundeten Designern entwickelt.

Während bei „creaholic“ die englische Sprache kein Problem ist, staunen die beiden, dass in den Strassen Biels englisch eine echte Fremd-Sprache ist.  Anders als zum Beispiel in Zürich, der Hauptstadt des Früh-Englisch, konzentriert man sich in Biel halt auf den innerschweizerischen Bilinguismus. Das trübt aber nicht die Freude an der Region, auch wenn die erste Wanderung im Jura, so erzählen sie lachend, schon mal ins Niemandsland geführt habe statt auf den Chasseral…

Noch haben die Gäste erst wenig Kontakt zu Biels Gestalter-Szene gefunden. Wegen der Ferienzeit wird der zum Residence-Programm gehörende Willkommens-Anlass erst in einigen Wochen stattfinden. Bisher fühlten sie sich jedoch wohl hier, betonen die beiden; das sei nicht selbstverständlich, als Israeli sei man längst nicht mehr überall willkommen, obwohl man ja nicht für die Politik des Landes verantwortlich sei.

Website: www.gommeh.com

Efrath Gommeh

Geboren 1975 in Holon in der Nähe von Tel Aviv

Wählt schon in der High-School „Design“ als Freifach.

1993-1995 obligatorischer, zweijähriger Militärdienst

1996 ein-jährige Low-Budget-Weltreise nach Indien, Nepal, Burma, China (Tibet).

1997-2002 und 2006-2008 Ausbildung zur Industrie-Designerin

Eigenes Studio in Tel Aviv

Beteiligung an Wettbewerben und Ausstellungen in Israel, Italien und den USA.

Unterrichtet am „Kibbutzim College of Education, Technology and the Arts“.

Lebt in Partnerschaft mit dem Computer-Supporter Eran Bar-oz.    (azw)

Bildlegenden:

Efrat Gommeh arbeitet während ihres Aufenthaltes als unabhängige Freelancerin bei der Bieler Innovationsfirma „creaholic“.      Bild: Olivier Sauter

Aus Efrat Gommehs Sortiment: „Lock-Cup“ und  „Lamp Nightstand“ (mit Yuval Tal). Bilder: zvg