Kein Sommerloch in den Schweizer Kunstmuseen 8/09

Van Gogh, Giacometti, Ruestung und Robe, Erni

 www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vomj 6. August 2009

Wer denkt, im Sommer sei in den Schweizer Kunstmuseen Flaute, irrt; zum Teil wenigstens. Die Nase vorn hat eindeutig Basel, aber auch Luzern lohnt den Weg.

Publikumsmagnet dieses Sommers in den Schweizer Kunstmuseen ist, wie erwartet, die Ausstellung Vincent van Vogh im Kunstmuseum Basel. Wer zur falschen Zeit kommt, erlebt, was er oder sie befürchtete: In Führungen gedrängte Gruppen, andächtig ihren Audio-Guides lauschende Frauen und Männer und dazu ein paar Alleingänger, die auch einen Blick auf die bezüglich Format dem späten 19. Jahrhundert entsprechenden Landschaften zu werfen suchen. Dies alles streng bewacht von Aufsichten, die schon fast wie Sicherheitskräfte wirken. Wer am 1. August morgens um 10 Uhr da war, hatte Glück: Sie und er hatten die Landschaften von Arles und St.Rémy (noch) fast für sich.

Die Kritik der Kunstszene an der populistischen High Budget-Veranstaltung ist zum Teil berechtigt. Van Gogh wird mit viel Pathos zelebriert. Aber: Es sind so viele Exponate aus aller Welt da, dass das Zusammensehen auch Kunstkennern etwas bietet. Und: Wer Zeit hat, hört sich vor Ort eine (alte) Sendung von Radio DRS an, die Briefe von Vincent an Bruder Theo kompiliert und so etwas vom Gemütszustand des Gefeierten einbringt.

Gut , aber nicht bedrängend besucht ist die Ausstellung Alberto Giacometti in der Fondation Beyeler in Riehen. Vielleicht ist sie nicht gar so publikumsträchtig, weil sie zusammen  mit der Fondation Giacometti im Kunsthaus Zürich konzipiert wurde und somit für Deutschschweizer Kunstliebhaber wenig Überraschendes bietet. Auch die Inszenierung ist nicht mehr als ein chronologisches Ausbreiten von der Frühzeit über die surrealistischen Skulpturen bis hin zu den berühmten Stelen; da ist kein Mut, keine emotionale Vision. Der eine Raum mit einer einzigen „Zündholzschachtel“ mit Figur auf grossem Sockel, ändert da nichts.

Interessant ist die Gleichzeitigkeit von Van Gogh und Giacometti. Beide waren an sich und der Welt Leidende und haben aus dieser Bedrängnis heraus gearbeitet. Während jedoch Van Gogh in den 1880er-Jahren den Abgrund zu überwinden suchte, um in der Farbe das Licht dessen zu evozieren, „was grösser ist als der Mensch“, sucht Alberto Giacometti um 1950 nach dem, was vom Menschen nach zwei Weltkriegen übrig geblieben ist und gibt dieser zutiefst existentiellen Frage unmittelbaren Ausdruck.

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Courant normal herrscht, was den Besucherstrom anbetrifft, im Basler Tinguely-Museum, obwohl hier bezüglich Inhalt und Inszenierung die  verrückteste  und zugleich genialste Sommer-Ausstellung zu sehen ist: „Rüstung und Robe“. Da begegnen sich männliches und weibliches Imponier-Gehabe in Form handwerklich herausragender Rüstungen aus dem 16.Jahrhundert und hundertfach gefältete, sich zu markanter Form aufplusternde Roben des Modeschöpfers Roberto Cappuci. Sie tun dies so vielschichtig und über Oskar Schlemmer, Jean Tinguely, Bernhard Luginbühl, Daniel Spörri, Niki de St.Phalle und nicht zuletzt M.S. Bastian um so viele Aspekte erweitert, dass man von Erkenntnis zu Erkenntnis geführt wird und schliesslich im grossen Saal überwältigt die Absurdität der „Ähnlichkeit“ der Choreographien von Tanz und Krieg wahrnimmt. Es ist wahrlich ein würdiges Abschiedsgeschenk, das Guido Magnaguagno da zum Abschied von „seinem“ Museum inszeniert hat.

Nicht so spektakulär, auch nicht so international, aber spannend in Bezug auf die Kunst in der Schweiz, präsentiert sich die Ausstellung Hans Erni im Kunstmuseum Luzern. Umso mehr als sie zwei Hindernisse überwinden muss: Wer den populären 100-jährigen Luzerner Künstler als virtuos-illustrativen Zeichner mythischer Pferde verehrt, ist nämlich enttäuscht, weil „sein“ Erni nur sorgsam dosiert vorkommt. Wer Erni gerade deswegen herablassend als „Grafiker“ apostrophiert, geht vielleicht nicht nach Luzern und verpasst, dass Hans Ernis Frühwerk mit den Avantgardisten seiner Zeit Schritt hält und Erni in den 1940er-Jahren einer der ganz wenigen in der Schweiz war, die den Krieg thematisierten.

Zudem ist es ein Gewinn, die erhaltenen Ausschnitte des berühmten Landi-Bildes zur Schweiz als Tourismusland von 1939 einmal im Original zu sehen.

Und sonst? Geradezu irritierend ist der Sommerschlaf des Kunstmuseums Bern, das einzig mit Sammlung und kleineren Akzenten aufwartet. Herausragend ist jedoch selbst für Kenner der „Teppich der Erinnerung – Paul Klee und der Orient“ im Zentrum Paul Klee. Die Ausstellung Katharina Fritsch im Kunsthaus Zürich hält nicht, was die Erinnerung an den grossartigen, raumfüllenden „Rattenkönig“ verspricht. St. Gallen fährt mit der Hommage an den US-Künstler Steven Parrino (1958-2005) einmal mehr auf einer sehr insiderhaften Schiene.