Genipulation – Themenausstellung im Museum Pasquart Biel 2009

Wie weit darf man Gott spielen?

www.annelisezwez.ch        Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 12. Sept. 2009

Heute Samstag wird im Museum Pasquart die Ausstellung „Genipulation“ eröffnet. Sie befasst sich mit Gentechnik und anderen Manipulationen im Spiegel der zeitgenössischen Kunst.

Wer ein Ticket für den Besuch der diesjährigen Themenausstellung im Museum Pasquart kauft, erhält einen Stempel aufgedrückt. Es ist der Gen-Code der Hand von Pierre-Philippe Freymond. Ob der Genfer Künstler damit in die persönliche Wahrnehmung der Ausstellung manipuliert? Wer weiss.

Die 19 Positionen, welche Dolores Denaro auf die Themen-Plattform von „Genipulation“ eingeladen hat, stellen keine Behauptungen auf, beziehen nicht eindeutig Stellung zum gesellschaftlich heiss diskutierten Thema. Das wird man der Ausstellung wohl da und dort vorwerfen.  Die Installationen, Skulpturen, Fotografien, Videos stellen vielmehr Fragen, präsentieren individuelle Forschungsergebnisse zwischen Fiktion und Realität. Ästhetisch verführerische zum einen, zum Dokumentarischen hin tendierende zum andern. Die Vielfalt ist gross, das ist das Positive. Dass der Mut zur Radikalität auf der Strecke bleibt, das eher Negative.

Die Vielfalt drückt sich im Spannungsbogen zwischen schöpferischer Fantasie und labornahen Experimenten, zwischen künstlerischen Ansätzen und naturwissenschaftlichen Umsetzungen aus. Die Qualität zeigt sich dabei in der Fähigkeit der Kunstschaffenden schillernd vom einen zum andern zu verweisen, durch Form und Inhalt Erlebnis zu vermitteln und/oder zum Nachdenken anzuregen.

Ein gutes Beispiel für die Gratwanderung zwischen Wissenschaftlichkeit und deren fiktionaler Erweiterung sind die „Prototypen künftiger Lebensformen“ von Reiner Maria Matysik (Berlin). Überzeugt, dass sich der Mensch in Zukunft seine Lebensformen selbst erschaffen wird, „züchtet“ er im Labor Modelle für künftige Entwicklungen und zwar aus weichem, jederzeit verformbarem Plastilin. Erinnerungen an die Kindheit tauchen auf und stellen die ebenso naive wie hintergründige Frage, wie weit die Lust am „Gott spielen“ vom Kinderzimmer übers Künstleratelier bis zum Forschungslabor demselben kollektiven Impetus gehorcht.

Ohne Laborunterstützung sind die „Schläfer“ von Frauke Wilken entstanden. Die Kölnerin befasst sich seit Jahren mit emotionalen Körperformen. In der Salle Poma erscheinen sie als sieben riesige schwarze Figuren-Kokons, eingenäht in eine Art Hängematten. Ob und wann und wie sie sich irgendwann befreien und in die Welt eingreifen werden, bleibt offen; der Begriff „Schläfer“, der in Deutschland auch angepasst wartende Spione meint, weist darauf hin, dass dies nur vielleicht harmlos sein wird.

In weiter Distanz dazu steht die Arbeit von Pierre-Philippe Freymond. Sein „Kapital“  ist seine Erstausbildung als Naturwissenschafter mit Genetik im Hauptfach. So präsentiert er unter anderem lebende Zellen von Henrietta Lacks, die ihre Zellstruktur  um 1950 der Wissenschaft vermachte und bis heute die weltweite Vergleichsbasis für die Forschung darstellt. Sein Ansatz, das Publikum möglichst nahe an die Labor-Realität heranzuführen, mag äusserlich etwas trocken erscheinen, ist aber für die Ausstellung ganz wichtig.

Anderes und Ähnliches kann man zur überraschenden Video/Audio-Arbeit von Mireille Lehmann (Biel) sagen. „Amae“ ist eine 3fach-Projektion von Ultraschallbildern der Brüste von drei Frauen aus verschiedenen Kulturen. Sie sehen alle aus wie der Blick auf die Wasseroberfläche des Bielersees, wogend im Rhythmus eines hörbaren Herzschlages. Sie steht in der Vision der Künstlerin für die Nähe von Mutter und Kind in der ersten Zeit nach der Geburt. In „Genipulation“ ist sie ein wichtiges Memento, die Basis nicht zu vergessen. Nicht unreflektiert mit Michel Huelin in die Fantasmen des Virtuellen zu reisen. Der Genfer ist einer der Meister der vollständig mittels digitaler Software geformten „Natur“, die er über Lambda Prints realisiert. Dass sich weder er noch Matysik noch Silvia Hostettler mit ihren Wachsgebilden von den in uns gespeicherten Bilder lösen können, ist vielleicht der wichtigste Garant dafür, dass sich die Welt trotz aller Manipulationen nicht so schnell grundlegend verändern wird.

Es ist richtig, dass Dolores Denaro sich nicht auf Werke der letzten Jahre beschränkt, sondern in einzelnen Positionen auf die Themen-Pioniere verweist, das US Künstlerpaar Aziz + Cucher zum Beispiel, auf Hans Danuser und – schon fast ein bisschen exotisch – die Basler Fotografin Vera Isler, die sich bereits ab 1978 mit Gentechnik befasste und 1985 unter anderem ein Blei-Schrift-Tryptichon „Mutation – Manipulation – Frustration“ schuf.

Weitere eindrückliche Arbeiten: Patricia Piccinini (Australien), Duo Wiedemann/Mettler (siehe Bild), Art Orienté (Marion Laval-Jeantet u. Benoît Mangin/ Montreuil Fr), Olga Kisseleva (St. Petersburg/Paris), Orlan (Paris/New York).

Katalog: Erscheint im Oktober mit Sonderedition von Michel Huelin

Details zu Kunstvermittlung, Filmmatinée, Vortrag (fr), Nocturnes, Führungen (d/fr): www.pasquart.ch                            


Bilder: Matysik, Wilken, Piccinini  (azw)