Jörg Mollet Retrospektive Kunsthaus Grenchen 2009

Dem Sehen einen Körper geben

www.annelisezwez.ch      Annelise  Zwez in Bieler Tagblatt vom 6. März 2009

Der Solothurner Jörg Mollet hat im Kunsthaus Grenchen Stationen seiner Lebens- und Künstlerreise zu einer Retrospektive vereint. Sie spiegelt die Sinnlichkeit seines Sehens.

„Dem Sehen einen Körper geben“ ist die 2003 erschienene Monographie zu Leben und Werk des 1946 in Olten geborenen Solothurner Künstlers Jörg Mollet überschrieben. Der Titel fokussiert die zentrale Triebfeder, das sinnliche Sehen in dem von Reisen nach Indien, Marokko, Japan, China, Tripolis geprägten malerischen, zeichnerischen und druckgraphischen Werk.

Den Eingang zur Ausstellung im Kunsthaus Grenchen ist von einer Tunnel-Passage bestimmt, auf deren Boden und Wände der Künstler arabische Graffiti, Druckmuster und eine Art Höhlenzeichnungen appliziert hat. Wichtiger als das Entziffern ist das emotionale Bewusstwerden mit dem leicht geduckten Durchschreiten des röhrenartigen Kanals in einen künstlerischen Werk-  und Zeit-Körper von 1976 bis 2009 einzutreten.

Dass dies nicht nur ein szenischer Einfall ist, zeigt die dem Frühwerk der 1970er-Jahre gewidmete Saal-Ecke. Da findet man unter anderem zeichnerische Reflektionen zum flämischen Renaissance-Anatomen Vesalius, der als erster den menschlichen Körper aufschnitt, um ihn von innen zu betrachten.

Die Überlegung, dass alles Körperliche stets ein Aussen und ein Innen hat, dass Sichtbares und Unsichtbares stets gleichzeitig präsent sind, wird zum Leitfaden für das gesamte, vielfältige Werk von Jörg Mollet. Das Empfinden zeigt sich bereits in den aufgeschnittenen und zu Reliefs geformten „Landkarten“-Zeichnungen von 1976. „Schon immer wollte ich diese Zeichnungen einmal bauen“, sagte der Künstler an der Pressekonferenz, „nun sind sie in der ‚Passage’ gut 30 Jahre später begehbar geworden“.

Die 1980er-Jahre sind schmal vertreten in der Ausstellung. Damals galt Mollet als einer der „Wilden“ der Schweiz. Gerade das Frühwerk dokumentiert indes, dass der Künstler nicht aus dem Nichts auf den damals höchst erfolgreichen „wilden“ Zug aufsprang, sondern in einer eigenen Entwicklung vorbereitet hatte. Entsprechend glaubwürdig ist auch die in Grenchen breit gezeigte Serie der „Leib-Räume“, die Ausdruck von Mollets persönlicher Auseinandersetzung mit asiatischer Philosophie im Vorfeld seines Aufenthaltes in China (1993) sind.

Die grossformatigen, auf reissfestes, hautähnliches Shoji-Papier gemalten Körper-Gefässe gehören zu den Highlights im Werk des Künstlers und der Ausstellung. Sie sind in ihrer Farbigkeit den chinesischen Jahreszeiten nachempfunden, in ihrer Essenz aber dem Energieaustausch, dem „kochenden“ Körper im Raum hingegeben.

Ausdruck zwischen Anderem und Eigenem, Fremdem und Vertrautem sind auch die jüngeren Arbeiten Mollets, die sehr stark auf das Thema der Wüste reagieren. Mollet reiste schon 1987 erstmals nach Nordafrika, doch sind es vor allem die Aufenthalte in Lybien im Rahmen eines Unesco-Projektes zur Erforschung von Höhlenzeich-nungen (ab 2005), die Mollet zu seinen neuen Bildern zwischen Kargheit und Sehnsucht, Weite und Licht, Leben und Tod angeregt haben.

Überzeugend sind vor allem jene, neu teilweise in den Raum ausgreifenden Arbeiten, welche Erzählung vermeiden und sich ganz dem Phänomen des Überlebens, des Wartens und ersehnten Blühens konzentrieren. Raffiniert wendet der Künstler dabei ein Doppelverfahren an. Er tränkt die Shoji-Papiere mit Inkjets von gefundenen Stoff- oder Pflanzenmustern, welche gleichsam für die Imprägnierung der Erde mit Zeitgeschichte stehen. Darauf zieht der Künstler mit seinem Lebens-elixier – der Farbe und dem Pinsel – gestische Züge sinnlicher Gegenwart und evoziert so Metaphern für die Kraft der Erneuerung des Lebens.
 
Nur angedeutet ist in der Ausstellung Mollets Bedeutung für die Performance-Kunst in der Schweiz um 1980; ein von Annatina Graf zu einem kurzen Loop kompiliertes Video von Mollet auf einem Floss in der Aare bei Olten weist immerhin darauf hin.

Die Ausstellung ergibt, obwohl bruchstückhaft, ein eindrückliches Ganzes. Sie macht bewusst, dass der Solothurner in vielen Bereichen ein Pionier war. In der Region ist das auch bekannt, aber dass die Grenchner Ausstellung die erste Museums-Einzelschau seit Olten 1989 ist, zeigt auf, dass seine Bedeutung – nicht zuletzt im Bereich Körperlichkeit aus männlichem Empfinden – gesamtschweizerisch bisher nicht eigentlich wahrgenommen wurde. Immerhin sind seine Galerie-Ausstellungen seit jeher zahlreich und sein Werk in wichtigen Sammlungen gut vertreten.

Info: Ausstellung bis 26. April. Führungen, Workshops etc.: www.kunsthausgrenchen.ch. Katalogvernissage und Künstlergespräch: Sonntag, 29. März, 11.15 Uhr.

Bildlegende:
Jörg Mollet: „Leib-Raum-Dunkel“, Acryl auf Shoji-Papier, genäht, 180 x 254 cm, 1992. Bild: Jiri Vurma

Jörg Mollet

1966-1970 Schule für Gestaltung in Basel
1971-73 Aufenthalt in Indien
1984 Initiant des Kunsthallen-Projekts „Im Hammer“ in Olten
1985/86 Ausstellung und Aufenthalt in Japan
1987-90  Lehrauftrag an der Schule für Gestaltung in Luzern
1988  Preis für Malerei des Kantons Solothurn
1993  Aufenthalt und Ausstellung in Wuhan, China
2002/03 Aufenthalte in Algerien, der Sahara und Mali
2005/06/08 Expeditionen nach Lybien (zur Zeit gestoppt, da Schweizer keine Visa für Lybien erhalten).
Vertreten durch die Galerien Margit Haldemann, Bern, Werner Bommer, Zürich, Carla Renggli, Zug und andere.    (azw)

Heimatbilder – Sehnsuchtsbilder

azw.  Im Altbau des Kunsthaus Grenchen  ist parallel zu Jörg Mollet im Neubau eine Sammlungsausstellung zu sehen. Ausgehend von den Reisen Mollets, seiner Auseinandersetzung mit dem Fremden und dem Eigenen, sind unter dem Titel „Heimatbilder – Sehnsuchtsbilder“  idyllische Landschaften des 19ten und 20ten Jahrhunderts aus dem Beständen der Kunsthaus-Stiftung ausgestellt. Während die graphische Sammlung Grenchens nationale Bedeutung hat, sind die Bestände im Bereich Malerei lokal und selbst da mit wenigen Ausnahmen nicht hochkarätig. Auf die Frage, warum sie so viel Mittelmass überhaupt aus dem Depot hole, meinte Direktorin Eva Inversini: „Mir scheint es wichtig, die Realität des Zeitempfindens in der Region nicht zu verstecken, sondern zu zeigen“. Das ist durchaus eine valable Argumentation, und sei es auch nur, um darauf aufmerksam zu machen, dass auch die meisten der heute aktiven Künstler dereinst vergessen gehen werden. Entsprechend diesem Umstand, sind nur wenige der vertretenen Künstler heute noch ein Begriff, etwa Albert Lindegger, Carl Liner, Rosa Wiggli oder jüngere wie Heinrich Bürkli, Roman Candio, Ueli Studer. Wer aber erinnert sich noch an Landschaftsmaler wie Arthur Girard, François Gos, Johann Schmucki, Albin Stebler, Anneli Müri-Marti?