Lorenzo lekou Meyr Biel Portrait 2009

Ich mag nicht alles sehen

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 13. März 2009

Kaum eine Künstlerinitiative in Biel ohne Lorenzo lekou Meyr. Man kennt ihn. Kennt man auch seine Kunst? Warum malt er wider das Sehen? Ein Gespräch und ein Blick nach Bern.

Letzten Sommer in Schüpfen: „Jetzt Kunst 08“. Lorenzo lekou Meyr zeigt zwei freistehende „Bienenhäuser“ auf Stelzen. Das An- respektive Abflugloch ist mit einem weichen, an einen ausgestülpten Aug-Apfel erinnernden Cocon verschlossen. „Strange home“ betitelte er die Arbeit. Man wusste nicht recht, ist drinnen ein wohliger Raum oder ist es ein Gefängnis.

Solcherart Ambivalenz ist gleichsam das Substrat der Kunst von Lekou Meyr. Es oszilliert zwischen Sehen und Nichtsehen, Sehen und Nichtsehenwollen, zwischen der Angst zu viel zu sehen und der Lust zu blenden, weil die Spiegelung so schön ist.

In der aktuellen Ausstellung im Kunstkeller Bern zeigt der 42-Jährige Bieler Bilder mit Titeln wie „Lichtung“, (Licht)-„Erscheinung“, „Luftwurzel“ oder „Unsichtbare Zeichen“.  Es ist Malerei, der in gewissem Sinn die Erde, das Greifbare, die fassbare Kontur fehlt.  Sie ist hell und meint doch eher die Nacht oder das wattige Nichts eines Nebeltages. Sie ist nicht bedrohlich, im Gegenteil, es ist angenehm im Schauen das Abheben der Füsse vom Boden zu spüren; wenigstens einen Moment lang, dann kippt das Gefühl möglicherweise in Unsicherheit.

Wie es dazu komme, dass er seine Bilder immer irgendwie „dazwischen“ ansiedle, zwischen Schärfe und Unschärfe, zwischen Tag und Nacht, zwischen Lesbarkeit, Zeichenhaftigkeit und Abstraktion, fragen wir ihn. Die Antwort ist überraschend. Lekou sagt: „Ich bin seit meiner Schulzeit kurzsichtig, aber ich trage keine Brille, ich sehe in der Welt nicht alles scharf und ich mag das so“. Schon bei Goya fragte sich die Kunstgeschichte, ob dessen gelängte Köpfe einem Konzept oder einem besonderes Sehen entspringen.

Fakt ist, dass Lekou Meyr seine Bilder so malen kann, weil ihm Unschärfe in hohem Mass vertraut ist. Aber das ist nur eine Seite, die andere steckt im Satz: „Ich mag es so“. Das heisst nichts anderes, als dass dem Äusseren auch eine psychische Komponente innewohnt. „Ich mag nicht alles auf einmal sehen“, sagt er. Er fahre auch lieber mit dem Velo als mit dem Zug. „Je langsamer, desto besser“, meint er.

Schaut man in die 1990er-Jahre zurück, so tragen ganz andere Bilder die Signatur „lekou“; erzählerische, gegenständliche, wobei die Gefässe, Lichtstäbe, Hände und Köpfe im oder auf dem Hintergrund zu schweben scheinen. Sieht man genau hin, ging es aber auch damals ums Sehen, um die Unmöglichkeit mit einer Taschenlampe in eine Amphore zu leuchten, zum Beispiel.

Später reduziert der Künstler die Bildanlage, indem er den flirrenden Hintergrund zum Vordergrund macht und die Dinge quasi dahinter versteckt. Auch eine grosse, kürzlich überarbeitete Serie von Augen respektive deren Sehfelder entsteht. Und dann schleicht sich auch die Fotografie ein; wie sieht die Kamera und wie sieht der Maler, fragt er sich.

Seine Vorgehensweise wird immer raffinierter, nicht nur wird es schwierig zwischen Ink-Jet-Print und Malerei zu unterscheiden, da sind in Bern auch Bilder, die sind auf Baumwolle gemalt, dann aber mit einem schleierähnlichen Stoff überzogen und partiell ein zweites Mal bemalt, sodass die Realität nun nicht mehr nur motivisch, sondern auch malerisch entrückt scheint.

Was Lekou Meyr macht, wirkt nie „verbissen“, sondern lustvoll, poetisch gar und vielfach mit Humor unterlegt. Das gilt insbesondere für die neueren Objekte, bei denen er reale Gegenstände – Teekannen, aber auch ausgestopfte Vögel, Blumen oder einen kleinen Buddha – mit transparenter Folie umwickelt oder verbindet. Die Folie übernimmt hier die Funktion der Unschärfezonen, die immer auch etwas von einer Aura, einem vom Gegenstand gelösten Energiefeld in sich tragen.

Deutlicher noch als in den Bildern wird hier die Ambivalenz von Meyrs künstlerischem Ansatz, denn die Folie bindet an, dichtet ab, verunmöglicht Bewegung. Sie lässt nur noch Träume zu. Meyr spricht denn auch bezüglich der Objekte von „Geklebten Träumen“.

Lorenzo lekou Meyr ist stark mit Biel verbunden. Er ist hier aufgewachsen, hat hier die Schule für Gestaltung besucht und tritt bereits in den 1980er-Jahren als Künstler in Erscheinung. Er hat das Glück in Dorothe Freiburghaus eine Galeristin zu haben, die sein Werk regelmässig in Bern zeigt. 1994 und 2004 wurde er mit dem Bieler Anderfuhren-Stipendium ausgezeichnet.

Über den Kanton Bern hinaus ist sein Schaffen indes kaum bekannt, was gewissermassen im Werk selbst angelegt ist. „Ich reise nicht gerne“, sagt der Künstler, „lieber hätte ich bei mir an der Quellgasse ein Hotel-Zimmer, wo Fremde absteigen“. In gewissem Sinn hat er diese Idee verwirklicht, gewährte er als „kou’rator“ doch seit 2006 insgesamt 23 Kunstschaffenden Gastrecht in seinem auf Spielzeug-Ebene realen und im Internet virtuell einsehbaren Puppenstuben-„mouseum“.

Info: Ausstellung Kunstkeller Bern, bis 28. März. Zusammen mit Katrin Wirz. Mi-Fr 15-18.30, Do 15-20, Sa 14-17 Uhr. Apéro: 22. März 11-13 Uhr. www.kunstkellerbern.ch, www.lekou.ch, www.mouseum.ch

Lorenzo lekou Meyr

1984-1989 Besuch der Schule für Gestaltung in Biel
Ab 1986 Mitglied der „Polstergruppe“ (mit M.S. Bastian, Hannah Külling u.a.)
1987 Mitbegründer des „Kunstmuseums“ (später Kunstmausoleums) an der Spitalstrasse (mit Edi Aschwanden, M.S. Bastian, u.a.)
Seit 1989 freischaffender Künstler und Grafikdesigner.
Seit 1991  Mitglied der Künstlergesellschaft „visarte“, Sektion Biel. Seit 1997 im Vorstand.
Seit 1996 zu 25% als „Magaziner“ in der Stadtbibliothek tätig.
2006 Initiant des virtuellen Kleinstmuseums „mouseum“.
Seit 2008 Co-Leiter des Espace libre (mit Monika Loeffel und Pat Noser).

Bilder:

Lorenzo lekou Meyr in seinem Atelier an der Quellgasse 8 in Biel. Foto: Peter Samuel Jaggi

„Erscheinung“ und „Falle“ – Werke in der aktuellen Ausstellung im Kunstkeller Bern. Foto: azw