Luo Mingjun in der Fondation Louis Moret in Martigny, 2009

Déchiffrer

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Kunstbulletin, Mai 2009

Anlässlich ihrer ersten Ausstellung in China (2007) nähte die in Changsha zur Malerin ausgebildete Luo Mingjun (geb. 1963) in einer Performance ihre schweizerische und ihre 1987 ungültig gewordene, chinesische Identitätskarte zusammen.

Die Öffnung Chinas erlaubte es ihr nach 20 Jahren als französisch-sprachige Künstlerin in Biel ihre Identität wieder als Ganzheit zu erleben. Malte sie einst in China „westlich-traditionell“, wurde in der Schweiz die chinesische Tusche zum wichtigsten Medium.

Bis sie vor einigen Jahren dazu fand, klassisch-westliche Werte, zum Beispiel im Umgang mit Licht und Schatten, die Subtilität chinesischer Malerei und zeitgenössisches Empfinden zu verbinden. Zuerst über Stilleben, dann über längst verblasste Fotos aus ihrer Kindheit, die ihr Motiv für feinst-schraffierte Zeichnungen zwischen Erinnern und Vergessen wurden.

Die eindrückliche Phase der Identitätsfindung, die im Zentrum ihrer Ausstellung im Centre PasquArt in Biel (2008) stand, setzte sie in fast transparent grundierten, mit kalligraphischer Souplesse bemalten und farblich auf ein helles grau reduzierten Ölbildern fort.

Die nun in der  Fondation Louis Moret sowie in der Galerie Hufschmid Staffelbach gezeigten Werke stehen an einer Wende. „Déchiffrer“ nennt sie den Zyklus, in dem Figürliches, ihre eigene Person, nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Motiv sind ihr nun in Fragmente zerfallene Architektur, eine Bachlandschaft, ein kleinteilig überwachsenes Ufer, Wohnblocks am Horizont einer Tümpelbrache.

Beibehalten hat Luo Mingjun hingegen die subtile an Tusch-Bilder erinnernde Öl-Malerei zwischen hell und dunkel, doch es scheint, als würde der Mond, vielleicht auch eine ferne Strassenlaterne, die hellen Stellen beleuchten.

Nicht der Realität gilt die Suche, sondern dem melancholischen Erkennen von Zerfall als Basis für Wachstum; eine junge, an eine Bretterwand lehnende Frau ist gleichsam Symbol für den Blick der Künstlerin auf den Prozess ihrer eigenen Entwicklung zur Weltbürgerin. In diesen Kontext stellt sich auch eine grossformatige Zeichnung, welche eine Hochzeit im Wallis zeigt, indes nicht das Fest zelebriert, sondern in der Reduktion auf die Lichtstellen auch da nach Auflösung und Neufindung fragt.

Fondation Louis Moret, Martigny, 25. April bis 31. Mai
www.fondationlouismoret.ch
Galerie Hufschmid Staffelbach, Zürich (zus. m. Biberstein, Freisager, Hächler, Heezen, Steiner, Strba)  16. Mai bis 11. Juli
www.galeriestaffelbach.ch

Bildlegende:
Luo Mingjun: „Soleil“, Öl auf Leinwand, 110 x 150 cm, 2008. Photo: Jinjing Bo