9 Dragon Head Symposium in Korea und China 2010

Die Neun-Drachen-Köpfe und die Schweiz

www.annelisezwez.ch    

Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 30. Juli 2010 (Vorschau) und 6. September 2010 (Rückblick)

Zuweilen wird Süd-Korea als die Schweiz Asiens bezeichnet. Die Beziehung zeigt sich zum Beispiel im Kultur-Austausch. Am  Nine Dragon Head-Symposium in Seoul werden erneut Bielerinnen mit dabei sein.

Dass es zwischen der Schweiz und Südkorea rege interkulturelle Kontakte gibt, weiss man im Seeland schon länger. Erinnert sei an die Ausstellung mit koreanischen Kunstschaffenden im Museum Pasquart im Jahr 2006, aber auch an die Zweit-Station von Art Canal, der Freilichtausstellung entlang der Zihl,  in Südkorea vor 4 Jahren. Und last but not least vertritt susanne muller (Prêles) das Seeland seit 2003 am  Nine Dragon Head-Symposium in Seoul; seit 2009 zusammen mit Daniela da Maddalena (Biel).

Das  Nine Dragon Head-Symposium wurde vor 15 Jahren vom koreanischen Künstler und Kurator Park Byoung-Uk (stets in orangem Arbeiter-Überkleid; hier in Dunhuang/China ad hoc mit einer Strassenwischerin) lanciert.

Der in der koreanischen Kunst tief verwurzelten Beziehung von Kunst und Natur entsprechend hat das alljährliche internationale Kunst- und Performance-Symposium eine klare Vision: Es will Kunstschaffende aus allen Kontinenten versammeln, um Kunst zu schaffen, zu zeigen, zu diskutieren, die sich intensiv mit Umwelt-Themen befasst.

Und zwar nicht in einem vordergründig politischen Sinn, sondern einem poetisch-differenzierten Dialog von Mensch und Natur.  Mit dem Ziel die existentielle, auch spirituelle, Verbundenheit  von Umwelt und Menschheit zum Ausdruck zu bringen und dadurch Bewusstseins-Prozesse auszulösen.

Im Laufe der Jahre gelang es Park Byoung-Uk nicht nur die Veranstaltung im Kunstbetrieb Süd-Koreas zu verankern, sondern auch die diplomatischen Vertretungen in Korea mit ins Boot zu holen. So sind die Botschaften zahlreicher Länder auch „Botschafter“ von Nine Dragon Heads; darunter, und dies mit grossem Engagement, die Schweiz. Neben susanne muller und Daniela da Maddalena gehören auch der in Wien lebende Luzerner Bildhauer Max Bühlmann und die Innerschweizer Künstlerin Ursula Stalder (Bild) zum wechselnden Teilnehmerfeld des Symposiums.

Die Kunstschaffenden aus Europa, Asien, Australien und – etwas weniger – den USA schaffen ihre Werke vor Ort; allerdings aufgrund vorgängig eingereichter Konzepte und mitgebrachten Elementen. Und auch die Performances –  ein wichtiges Instrument der unmittelbaren künstlerischen Kommunikation – finden ihre Form vor Ort. Das Symposium ist ja nur bedingt eine Ausstellung; integral dazu gehört die „Nomadic Party“ – das heisst eine gemeinsame Reise.

Diese führte in den vergangenen Jahren nicht nur auf zwei Korea vorgelagerte Inseln, sondern 2006 auch an die Demarkationslinie zu Nord-Korea, wo bekanntlich seit Jahrzehnten Schweizer „gute Dienste“ leisten. Dieses Jahr wird die Gruppe nach China reisen, um auf der einstigen „Seiden-Strasse“ über Handelswege einst und jetzt, über Kommunikationsformen und die Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur nachzudenken und in spontanen Aktionen zum Ausdruck zu bringen.

Eine dieser Aktionen wird direkt im Bieler Tagblatt stattfinden. susanne muller wird – so denn die Technik mitmacht – vom 9ten bis 18ten August täglich einen kurzen Videofilm an die Redaktion senden, welcher tags darauf fotografisch auf der Kulturseite und als Video auf  BT-Online veröffentlicht wird.

Vorab wird aber in der ARCO-Galerie (dem Zentrum für zeitgenössische Kunst) in Seoul quasi die gemeinsame Basis gelegt. Aus Anlass des 15-Jahr-Jubiläums werden heuer ausschliesslich Kunstschaffende mit von der Partie sein, die früher schon mit dabei waren. Susanne muller wird – ähnlich wie bei der Installation im Bahnhof-Parking– mit einer „falling camera“ arbeiten, welche das Gleichgewicht der Welt temporär aus den Angeln zu heben scheint.

Daniela da Maddalena wird, wie schon 2009, mit 100% ökologischen Plastiksäckchen arbeiten, die sie mit Luft gefüllt dem Wind aussetzt oder mit Wasser  in weich modulierbare Form bringt – beides mit „Hilfe“ der Besuchenden. Dass die beiden auch in der Schweiz als „Botschaterinnen“ betrachtet werden, dokumentieren die Reise-Beiträge welche die Stadt Biel, der Kanton Bern, die Gemeinde Prêles und andere Institutionen hiezu gesprochen haben.

Nächstes Jahr soll die „Nomadic Party“ in die Schweiz führen – bereits laufen Verhandlungen mit dem Marzili-Bad in Bern, das Standort für die Installationen und Performances sein könnte.

 

Die Seidenstrasse –  nurmehr eine Fata Morgana?

Den ganzen August hat susanne muller (Prêles) das BT mit Online-Videos und Fotos am Neun Dragon Head-Symposium in Korea und China teilhaben lassen. Ein Reisebericht.

Das vom Südkoreaner Park Byung Uk kuratierte Neun Dragon Head Symposium war auch in seiner 15ten Ausgabe Präsentation, Performance und „Nomadic Party“ der Teilnehmenden aus aller Welt; darunter einer 6köpfigen Schweizer Delegation. Sie kamen als Individuen  ins Arko-Kulturzentrum in Seoul, zeigten  zum Auftakt in ihren künstlerischen Sprachen Installationen zu globalen Umwelt- und Gesellschaftsthemen. Die traditionelle „Nomadic Party“ führte sie dann gemeinsam über Peking auf einer der  einstigen „Seidenstrassen “ nach Urumqi, der Hauptstadt der vorab von Uiguren bewohnten Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas.

Was unterscheidet eine Künstlertruppe von einer  Touristengruppe, wenn sie mit dem Bus durch Wüstengebiete fährt, auf Kamelen reitet, unter Pergolas mit Weintrauben Reis, Gemüse und Huhn mit Stäbchen isst und Bier trinkt? Wenig und viel. Auch die Kunstschaffenden realisieren blitzartig, dass von der Beschreibung Marco Polos, wie sie susanne muller an der Vernissage in Seoul vortrug (Bild), nicht viel übrig blieb, Autobahnen, Energieproduktion und Industrie das Bild bestimmen, Bewässerungsanlagen städtische und ländliche „Oasen“ generieren und Romantik auf touristische Event-Parks reduziert ist.  Doch die Kunst-schaffenden reagieren nicht etwa mit Ärger, sondern mit Neugierde, Spürsinn und Rollenspiel.

Vieltausendfach klicken Kameras, filmen Cam-Corder, beherrschen „Schauspieler“ die Szene. Die Lust an der  Umkehrung, das Offenlegen von Kehrseiten, die stupende Fähigkeit visuell zu verdichten, aus Nichts Charakteristisches herauszufiltern ist beeindruckend.

So trägt die als „Sammlerin“ bekannte Luzerner Künstlerin Ursula Stalder nicht Spuren vergangener Zeiten zusammen, sondern Handschuhe von Bauarbeitern entlang des mit endlosen Baustellen durchsetzten Highways. Und wenn sich der Kamelritt in den Dünen von Kumtag als Touristen-„Zirkus“entpuppt, setzen die Künstler noch einen oben drauf – der Türke Denizhan  Ozer performt als Ottomanen-König, Gabriel Adams (USA) meditiert vor seiner aus Vermont mitgebrachten Eiskrem-Maschine (Bild). Dass ausgerechnet er danach von „seinem“ Kamel abgeschüttelt wird, ist eine andere Geschichte.

Bereits im Vorfeld überlegten sich einige Kunstschaffende, wie sie ohne gemeinsame Sprache mit Ortsanässigen in Kontakt kommen könnten. Das überzeugendste Konzept setzte die Bielerin Daniela da Maddalena um. Sie nahm – den Handelsgedanken der Seidenstrasse aufnehmend – ein gutes Dutzend von einer Bieler Firma gesponserte „Swiss Army Knifes“ mit und tauschte sie „mit Händen und Füssen“ gegen vielerlei Tücher, um damit ihr mitgebrachtes Zelt – ihre Nomaden-„Jurte“ – auszukleiden.

 

Überraschender war, als sich in den „Southern Mountains“ unweit von

 Urumqi einige Frauen zu der vor Ort zeichnenden susanne muller setzten und in der „Sprache“ von Linie und Form ein herzlicher Dialog entstand.



 

Abstrakter, aber nicht weniger eindrücklich setzte der in Wien lebende Luzerner Max Bühlmann Kommunikations-Akzente. Im traditionellen Gewand der Koreaner gab er täglich eine Klarinetten-Performance, wobei sich jene in der offenen Wüste als besonders eindrücklich erwies.

In den abschliessenden Präsentationen in China respektive im Arko, dem Sitz des Symposiums in Seoul, konzentrierten die Kunstschaffenden ihre Symposiums-Arbeiten; die Bosnierin Gordana Andelic trat als „Fata Morgana“ in Gestalt von Marilyn Monroe auf (Bild), der Neuseeländer Phil Dadson faszinierte mit Klang-Improvisationen, die er vor Ort gefundenen Steinen entlockte, susanne muller drehte ihre „floating camera“ auf dem Dach des Arko vom Park zum „Brunnen“ der Kühlanlage und wies mit den via Beamer in die Ausstellung transportierten Bildern auf die existentielle Verbindung von Wasser und Leben.

 

Link: www.9dragonhead.com