Ueli Studer im Kontext von Land- und Audio-Art BT 8/2010

Vocis terra – Klanginstallation von Tüscherz bis Ligerz

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 3. August 2010

Noch knapp drei Wochen bis Vocis terra, die Stimme der Erde, den Jura-Süd-Fuss zur Raum-Klang-Installation machen wird. Wie neu ist die Idee, woher kommt „Land Art“ und seit wann gibt’s die Audio-Art?

Die Kunstgeschichtler seufzen; der Begriff „Land Art“  muss für jeden Ast, den jemand auf einen Acker legt und von Kunst spricht, hinhalten. Mit „Land Art“ meint die Kunst-Wissenschaft aber eigentlich nur jene aus der amerikanischen Minimal-Art hervorgegangene Bewegung der späten 1960er-Jahre, die aus Protest die Museen verliess und die Landschaft zum Ort und die Erde zum Material der Kunst kürte; und zwar radikal, nicht einmal fotografieren war anfänglich erlaubt. Mit Naturbewusstsein und Umweltkritik hatte Land Art wenig zu tun. Europa projizierte diese Werte in den 1970er-Jahre auf Kunst in und mit der Natur und bis heute werden Werke in Freilichtausstellungen vielfach als „Land Art“ bezeichnet.

Auch Ueli Studer, der „Viniterra“ und nun „Vocis terra“ realisiert, wird gängig als „Land Art“-Künstler bezeichnet. Was höchst ungenau ist, denn das Material, mit dem er arbeitet, war nie die Erde, sondern bei Viniterra das Licht und jetzt bei Vocis terra ist es der Klang. Und trotzdem sind Ueli Studers Visionen näher beim berühmten „Lightning Field“ (Blitz-Feld) von Walter de Maria in der amerikanischen Wüste als etwa beim hölzernen Umweg-Treppchen, das der Bieler Künstler Korda Kosta eben im Walliser Binntal realisiert hat. Da er mit nicht greifbaren Elementen reale Natur-Räume bewusst werden lässt. Der entscheidende Unterschied zur „Land Art“ im kunstwissenschaftlichen Sinn ist, dass Studer die Kultur des Menschen mit einbezieht und nicht die unberührte Natur fokussiert, dass er den Kreuzpunkt von Mensch und Landschaft sicht- respektive hörbar machen will.

Hörbar; das ist das zweite Stichwort, das dem „Land Art“ – Künstler widerspricht. Die Audio-Kunst ist aber ebenfalls aus der Minimal Art herausgewachsen und lässt sich ab den frühen 1970er-Jahren greifen, sei es in Museums-Installationen, die nur mit Klängen Raum evozieren oder mit Klängen in den öffentlichen Raum dringen. Gerade heute, da Kunst im öffentlichen Raum von Vandalismus bedroht ist, greifen Kunstschaffende nicht selten zum Medium des Klangs. Bezüglich Biel sei zum einen an die Aufforderung „à table“ erinnert, die täglich um 12 Uhr über den Burgplatz schallt (Chiarenza/Hauser 1993) oder an Nika Spalingers Beitrag zu „Transfert“ (Bieler Plastikausstellung 2000), der durch einen Schacht im Kongresshaus-Park den bereits realisierten West-Ast der N5 evozierte. Auch Beispiele von Audio-Arbeiten in Freilichtausstellungen gäbe es zu nennen (z.B. von Geneviève Favre Petroff).

Die Audio-Art wird in der Wissenschaft als ein Hybrid zwischen visueller Kunst und Klang-Kunst bezeichnet. Indem sie durch Töne, Geräusche oder Klangfrequenzen architektonische respektive landschaftliche Räume „baut“. Ueli Studers Vocis terra ergänzt diese Definition um den Faktor Mensch; sein Projekt könnte man demnach als Sozio-Audio-Art bezeichnen. Gerade mit diesem sozialen Aspekt spannt vocis terra den Bogen zur zeitgenössischen Kunst, die seit den 1990er-Jahren immer seltener abstrakt agiert, sondern über Fotografie und Video sehr stark auf den Menschen ausgerichtet ist; meist den städtischen Menschen, sei es als Individuum oder als Kollektiv. Da nimmt Ueli Studers Vocis terra eine andere Position ein, indem er nicht einseitig den heutigen Menschen im Visier hat, sondern die Kulturgeschichte des Menschen von der Jungsteinzeit bis heute. Er integriert damit einen Tausende von Jahren beinhaltenden Zeitfaktor in die Vocis terra-Vision  eines mit menschlichen, instrumentalen und technischen Tönen „gebauten“ künstlerischen Landschaftsraumes.

Die Frage, ob Vocis Terra in seiner Struktur erst- und einmalig sei in der Kunst-Geschichte, ist nicht einfach zu beantworten. Was kommt einem in den Sinn? Die von sphärischer Musik von Mich Gerber begleiteten Wüsten-Aufnahmen des Fotografen Balthasar Burkhard. Das berühmte Video von Kim Sooja, das ein mit farbigen Stoffbündeln beladenes Fuhrwerk zeigt, das auf kurvenreicher Strecke in die koreanischen Berge fährt. Oder, ganz anders, Koch/Schütz/Studer, die mit ihrer elektronischen Neuen Musik den Elfenaupark in Biel in einen Natur-Klang-Raum verwandeln. Nichts will passen. Nichts hat die Dimensionen von Vocis terra. Nichts ist so lokal und greift zugleich nach den Sternen. Nichts ist so sehr da und übersteigt zugleich unsere gängige drei-dimensionale Welt.

Zusatz:
Drei Wochen vor Vocis terra (Nacht vom 21./22. August) steigt die Spannung. Wird es gelingen, die Vision umzusetzen? Werden die Besuchenden bereit sein, von der Seh-, auf die Hörperspektive umzuschalten, die Landschaft als Klangraum wahrzunehmen? Werden sie den zweistündigen Spaziergang als künstlerisches Gesamtbild wahrnehmen? „Ich fühle die Spannung aber ich habe ein gutes Gefühl“, sagt Ueli Studer. Die Zeit des Suchen, des noch einmal und noch einmal Anpassens ist vorbei. So ist zum Beispiel entschieden, dass die Solostimmen auf der Achere nun nicht technisch, sondern mit Profi-Stimmen live interpretiert werden.  Dank dem Engagement neuer Leute konnte auch endlich eine knapp genügende Anzahl Blechbläser (Station Twann) gefunden werden, sodass das Konzept nicht verkleinert werden musste. Auch die weiteren Wechsel von Live-Klängen und technischen Tönen haben im Ablauf ihre Form gefunden. Der definitive Flyer zeigt den Parcours mit Zeiten und Wegen als wäre er eine Landschafts-Partitur; darüber freuen sich der Künstler und seine Partnerin. Aber, so Ueli Studer, es bleibe die Herausforderung, insbesondere auch für die Klang-Mitwirkenden, die nicht als Musizierende auftreten, nicht mit Rhythmen und Melodien dem Ort etwas entgegensetzen sollen. Ihre Aufgabe sei es vielmehr mit ihren Tönen die orts- und themenspezifisch vorgegebenen Klangfarben als Hör-Bilder, als Hör-Räume, als Landschaft zu „zeichnen“ und das sei keineswegs einfach.

Bildlegende:

„Ich fühle die Spannung aber ich habe ein gutes Gefühl“ sagt Ueli Studer drei Wochen vor der Inszenierung von  Vocis terra. Foto: Alain Stouder.