Boycotelettes_Maja Rieder Kunsthaus Grenchen 2010

Frisch und frech – kühl und konzentriert

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 2. Juni 2010

 

Ohne grosse Worte macht Eva Inversini das Kunsthaus Grenchen mehr und mehr zum Museum der Solothurner Kunst. Aktuell zeigt sie zwei beachtenswerte junge Positionen und parallel Altmeister Franz Anatol Wyss.

 

Ähnlich wie der Kanton Bern ist auch Solothurn mit den städtischen Kunstmuseen von Olten, Solothurn und Grenchen ein an Kunsthäusern reicher Kanton. Olten hat ein starkes Standbein in der Kunstgeschichte, Solothurn ist bekannt durch Übersichten zu Schweizer Kunstschaffenden. Für Grenchen kann es also sinnvoll sein, sich neben dem Standbein Druckgrafik der Kunst von Solothurner Künstlerinnen und Künstlern zu widmen; nicht im Sinne eines einengenden Konzeptes, aber mit Lust und offenen Augen.

 

Genau dieses Profil bestimmt denn auch die aktuelle Ausstellung mit der 1979 in Niederbipp geborenen Maja Rieder und den 1976 in Solothurn respektive im aargauischen Brugg geborenen Melanie Fischer Fadera und Lara Schwander, die unter dem Label „Boycotelettes“ auftreten.

 

Die zeichnerisch-malerischen Arbeiten Rieders und die scherenschnittartig collagierten Folien von Boycotelettes geben dem Neubau zum einen  ein frisch-fröhliches Gesicht, zum andern ein konzentriert mit Licht und Raum spielendes.

 

Interessant ist, dass alle drei Künstlerinnen seit Jahren in Basel leben; somit weder „zuhause“ noch im Mekka Zürich. Das  ist für den geographisch eng mit Baselland und damit auch Baselstadt verflochtenen Kanton Solothurn nicht untypisch. Auch nicht dass es Künstlerinnen sind, denn das Potential der Kunst von Frauen ist in der Schweiz sehr hoch.

 

Rieder wie Boycotelettes wurden 2009 mit einem Werkbeitrag des Kantons Solothurn ausgezeichnet; Rieder im Bereich Bildende Kunst, Boycotelettes hingegen für Design. Fischer und Schwander tanzen auf zwei Hochzeiten respektive sie nutzen die Aufweichung der Grenzen zwischen freier und angewandter Kunst. So treten in ihrer street-art-ähnlichen Hauptinstallation aus geschnittenen und bedruckten Plotterfolien unter anderem vier Figuren auf, die Kleider des Fashion-Labels Boycotelettes tragen. Ihr Auftritt ist hier aber jener jugendlicher Menschen in einem aus Versatzstücken von Werbebildern, Plakaten und Graffiti komponierten Bildkosmos. Die Scherenschnitte aus der Bilderflut der Gegenwart wirken weder aggressiv und schon gar nicht sozialkritisch. Die aus monochromen Teilen collagierte Wand zeigt sich viel mehr als lustvolle Inszenierung, ergänzt mit romantischen Elementen wie gelben Sternen, grünen Kaketeen und wilden Pferden. Intellektuellen Tiefgang hat die Arbeit nicht, aber sie spiegelt jugendliches Zeitgefühl  virtuos und ist damit Ausdruck von Jetztzeit. Es wundert darum nicht, dass das Team schon mehrere Wandarbeiten in privaten und öffentlichen Gebäuden ausführen konnte.

 

Maja Rieder ist im Vergleich eine klassische Position. Ihre Arbeiten mit Graffit auf Papier sind gleichsam zeitlos. Was ihre Qualität ausmacht, ist die Rückführung von Fotografie in malerisch-zeichnerischen Ausdruck. Sie fotografiert Architektur in städtischem Umfeld,  in Helsinki ebenso wie in Olten. Sie vergrössert die Aufnahmen und überträgt die zweidimensionale, perspektivisch verzerrte Situation auf aneinander gereihte Papierbahnen, die oft vom Boden bis zur Decke reichen. Mit Abdeckstreifen zeichnet sie Teile der linearen Strukturen nach und füllt die Zwischenräume partiell mit Graffit-Staub.

 

Es ist ein Prozess der Aneignung, des subjektiven Bewusstwerdens von Raum, Licht und Schatten, von Mauern, Glasfassaden und Baumformen. Dabei wird das Anonyme durch die sichtbar belassenen Arbeitsspuren zum persönlichen Ausdruck, das Konstruktive durch das tätige Handwerk mit emotionalen Werten aufgeladen. Die Architektur, der städtische Raum sind Gegenwartsthemen in der bildenden Kunst. Verbunden mit einer sehr eigenen Umsetzung, stossen Maja Rieders Arbeiten in den letzten Jahren zu Recht immer wieder auf Echo; so zeigte sie zum Beispiel auch der Kunstverein Olten letztes Jahr als „Entdeckung“.

 

Die Termine

Maja Rieder & Boycotelettes: Ausstellung in Grenchen  bis 25. Juli.

Mit Publikation. Buchvernissage: Do 1. Juli 18.30 Uhr.

Gleichzeitig: Ausstellung im Künstlerhaus S11 in Solothurn (4. Juni bis 4. Juli)

Franz Anatol Wyss:Das druckgrafische Werk  in Grenchen bis 31. Oktober. Ferien: 26. Juli bis 27. August. Malerei und Zeichnungen respektive Neueste Arbeiten ab 29. August im Kunstmuseum und im Stadthaus Olten.

Öffnungszeiten Grenchen: Mi – Sa 14 – 17 Uhr, So 11-17 Uhr

Link: www.kunsthausgrenchen.ch

Bildlegenden:

Das Girl-Duo Boycotelettes spielt in der Grenchner Wandinstallation „Von Früchten und Viechern“ mit den Usanzen von Street-Art und Graffiti.  Bild: zvg

Die Vorlage für diese Zeichnung Maja Rieders entstand in Otsolahtik in Finnland.