„Distant Memory“ – Kunstverein – Kunstmuseum Solothurn 2010

Die Erinnerung als Inspiration

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 21. Juni 2010

Beauftragt vom Kunstverein Solothurn hat das Bieler Kuratorenduo Hélène Joye-Cagnard und Catherine Kohler „Distant Memory“ realisiert; eine anspruchsvolle Ausstellung mit zehn jungen Kunstschaffenden.

Soll eine Gruppenausstellung erfolgreich sein, muss sie drei Klammern haben: Eine thematische, eine atmosphärische und eine die genannten Punkte übergeordnet vernetzende. Die inhaltliche Forderung erfüllt die von Hélène Joye-Cagnard und Catherine Kohler kuratierte Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn ohne Zweifel. Zum einen illustriert „Distant Memory“ (Entfernte Erinnerung) ein Thema, das im zeitgenössischen Kunstschaffen breite Aktualität hat, zum anderen  fächert es dieses breit aus und ist doch stringent aufgebaut. Es ist durchwegs nachvollziehbar wie sich in den Werken der zehn zwischen 1966 und 1979 geborenen Kunstschaffenden memorierte Bilder aus der Kunstgeschichte, dem Alltag, der Volkskultur, den Medien in neue visuelle Formen wandeln.

Der Waadtländer Didier Rittener zum Beispiel hat in mehreren Arbeitsgängen eine aus der Vision des Bauhauses, der Moderne, aber auch weiter zurückliegenden Versatzstücken, eine graphit-geschwärzte Bild-Tapete geschaffen, die nun quasi einen geistigen Raum auskleidet. Es ist eine der überzeugendsten Umsetzungen.

Die atmosphärische Klammer, die einem aufgrund formaler, farblicher und anderer visueller Momente gleichsam von Wand zu Wand, von Raum zu Raum ziehen würde, ist weniger gelungen. Zwar schaffen mehrere Wandbilder grosszügige Verläufe, doch optisch bleibt es beim Nebeneinander, was der Ausstellung ein Minus an Sinnlichkeit gibt.

Die Qualität der einzelnen Positionen in sich tangiert dies indes nicht. Positiv erwähnt seien zum Beispiel Ana Roldans zu konstruktiven Bildern gefaltete Fahnen von Ländern, in denen die ursprünglich aus Mexico stammende Berner Künstlerin schon gelebt hat. Oder Valentin Carrons bildhafte Nachbildungen von alten, handgeschmiedeten Metallgittern, die mit subtilen Unregelmässigkeiten eine Gebrauchs-Komponente in die handwerkliche Tradition einbringen.

Der von Roswitha Schild engagiert geführte Solothurner Kunstverein tritt alljährlich mit einer eigenen Ausstellung im Museum an die Öffentlichkeit. „Distant Memory“ ist hierbei nach „Flüchtiger Horizont“ (2006) und „Real Estate“ (2008) die dritte fremdkuratierte Themenausstellung. Dabei geht es klar darum, Werke von Kunstschaffenden, die in der Region leben oder zu in Beziehung zu ihr stehen, in herausfordernde, grössere Kontexte zu stellen. Spannend ist, dass sich so, um zum Ziel zu gelangen, die Thematik quasi aus der Region heraus entwickeln muss. Tatsächlich ist denn auch auffällig, wie gut sich die drei am deutlichsten als Solothurner Kunstschaffende Geltenden – Lex Vögtli, Omar Alessandro und Nancy Wälti – in die Thematik einfügen.

Die Malerin Lex Vögtli ist eine Meisterin im Verweben von Versatzstücken aus Grossmutters Bildspeicher zu surreal anmutenden Bild-Erzählungen. Die Objektkünstlerin Nancy Wälti lässt Alltagsgegenstände – gelb-grüne Reinigungsschwämme zum Beispiel – formal wie funktional in neue Bedeutungen schlüpfen, ohne die ursprünglichen ganz zu verneinen. Omar Alessandro ahmt den Kunstbetrieb nach indem er sich dessen Methoden aneignet und neu formuliert. Aktuell indem er von Pascal Staub gezeichnete Porträts seiner selbst in Form vergrösserter Fotografien präsentiert und damit ein Vorgehen des italienischen Künstlers Rudolf Stingel variiert.

Nicht unerwähnt bleiben darf Pawel Ferus, der Solothurn seit seiner Steinbildhauerlehre in Grenchen verbunden ist. Er ist der Spieler im Ausstellungsteam, zeigt unter anderem eine aufblasbare Supermarkt-Version von Joseph Beuys „Schlitten“;  statt mit Fett-Stücken ist  er mit Energy-Drinks beladen. Von ihm stammt auch das wunderbar polierte, weisse Marmor-„Phantom“: eine Burka-Trägerin in Form einer antiken Büste.

Weitere Arbeiten steuern Monica Germann & Daniel Lorenzi, Pascale Favre und Jorge Pedro Núñez bei.

Info: Ausstellungen bis 8. August 2010. Beide mit Begleitkatalogen. 

Links: www.kunstverein-so.ch   www.kunstmuseum-so.ch

Bilder (zvg):

Nancy Wältis Werk „Absorbent“ besteht  aus 468 Reinigungsschwämmen.

Pawel Ferus nutzt Erinnerung für subversiven Wandel: „Phantom“, 2010, weisser Marmor.