Lokal-int Biel 3 Monate nach dem Umzug 2010
Da darf ich machen was ich will!
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 8. November 2010
Im August zog das Lokal-int – Biels Off-Space für Kunst, Musik und Literatur vom Kiosk hinter dem Bahnhof in die gepflegtere Umgebung auf der Stadtseite der SBB. Ist das nur gut für schräge Kultur?
Dem in Zürich lebenden Berner Künstler Nino Baumgartner (geb. 1979) ist mit seinen mobilen Raum-Skulpturen der Sprung zu Katz Contemporary, das heisst, in die Zürcher Galerienszene Level A gelungen. Dennoch stellte er im Lokal-int in Biel aus, zeigte gar ein eigens für die Ausstellung erstelltes Projekt: Ein Video, das den Lauf der Schüss vom Bieler Seebecken zurück zur Quelle im Raum La Chaux-de-Fonds verfolgt; naturnah, romantisch und mit englischem Kommentar. Aha, wittert man, da hat einer die Welt im Visier. Jein, meint der Künstler, alle Videos seien englisch kommentiert, schulenglisch, betont er, da müsse er Komplexes herunterbrechen und das sei gut so. Aber klar, gerne würde er das Video auch im Ausland zeigen.
Warum er so viel Aufwand für das Lokal-Int betreibe, fragen wir ihn. Ich habe gute Erinnerungen an Biel, sagt der Skater, der als Jugendlicher jeweils von Bern nach Biel pilgerte, weil es hier die besseren Angebote gab. Und: Ich liebe Off-Spaces, da kann ich machen was ich will, da kann ich mein Auto aufgebockt vor die Türe stellen… Und last but not least: Es stellen doch alle aus hier.
Tatsächlich ist dem Lokal-int, Raum für zeitgenössische Kunst der Sprung in die nationale Off-Space-Szene gelungen. Die Liste jener, die seit 2006 ausstellten, hat die Marke von 150 überschritten, die Literaten und die Musiker nicht einmal eingerechnet. Das Internet-Archiv hält sie in Wort und Bild präsent. Und dies alles ohne dass Geld fliesst. Das heisst, die Künstler erhalten nichts für ihren Aufwand, müssen aber auch nichts bezahlen. Preislisten gibt es keine; Verkäufe auch nicht, obwohl Kunstsammler natürlich schon willkommen wären. Für die Mietkosten kommen Sponsoren auf vorläufig, seufzt Chri Frautschi.
Hartnäckig behauptet Frautschi, nicht Kurator zu sein, sondern lediglich Lokal-Betreiber. Tatsächlich erhalten die Künstler und Künstlerinnen eine Carte blanche; Netzwerker, der einlädt, animiert, aber auch abwimmelt, ist er hingegen schon. Und ein bisschen anders ist sein Auftritt auch seit er an die Hans-Hugi-Strasse 3 umgezogen ist und einen 40m2-Raum mit grosser Fensterfront anbieten kann.
Auch die Kunstschaffenden haben reagiert ganz so kompakt und schräg wie im Kiosk sind ihre Projekte nicht mehr; sie haben vermehrt Ausstellungscharakter. Der Bieler Gil Pellaton zum Beispiel zeigte simpel und einfach drei grosse, dicht bemalte Leinwände. Anastasia Katsidis (Luzern) inszenierte eine eigentliche Ausstellung ihrer zu Parabeln veränderten Fundstücke. Das ist spannend, aber nicht mehr so off-spacig wie zuvor. Was willst du, alle haben den Drang nach oben, bemerkte dazu die Berner Progr-Kuratorin Beate Engel lakonisch.
Der Raum erlaubt indes Events, die früher nicht möglich waren. So lud der in Amsterdam studierende Bieler Künstler Micha Zweifel (geb. 1987) zum Kunst-Event am grossen Tisch mit Essen und Trinken mit Waren aus dem benachbarten Asian Market. Auch für die Literatur- und die kopfhörer-Konzerte gibt es neue Möglichkeiten.
Wie es am kommenden Donnerstag weiter geht, wird sich zeigen. Markus Furrer verriet bisher nur, dass er den Raum hinter dem Raum zeigen, die zum Teil dubiose Geschichte des Ladenlokals, das zuletzt wegen Dealer-Geschäfte von der Polizei geschlossen wurde, mit Vorgefundenem aus dem Versteckten ans Licht holen wolle.
Info: Vernissagen Do ab 18 Uhr. Ausstellungen bis am Mi danach durch die Fenster einsehbar. Programm: Markus Furrer (11.11.), Diana Seeholzer (Küssnacht, 18.11.), Arno Camenisch (Lesung, 21.11.), Orianne Zanone (Lausanne, 25.11.).
Link: www.lokal-int.ch
Bildlegende
Mit dem Auto durch den Jura und zurück bis vors Lokal: Nino Baumgartner. Bild: zvg
N.B. Zwei Tage nach der Publikation dieses Textes wird bekannt, dass das Lokal-int einen der 5000er-Preise für „Junge Kunsträume“ des Bundesamtes für Kultur zugesprochen erhielt.