Olivier Mosset – Porträt als Auslandschweizer-Künstler 2010

In der Ferne von Rot und Gelb die Harley Davidson

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Der Text erschien in redaktionell bearbeiteter Form in der  Auslandschweizer-Künstlern gewidmeten Gazzetta  Nr. 47 (1)  2010 der Pro Litteris in Zürich

In den 1960ern zog Olivier Mosset nach PARIS, in den 1970ern nach NEW YORK und 1996 nach TUCSON/ARIZONA

 

„La Suisse n’existe pas“ – „donc je suisse“ – der erste Teil von Ben Vautiers Erkenntnissen musste schon für viele (politische) Ziele herhalten; der zweite Teil hat nie richtig Fuss gefasst. Das Double gilt indes für kaum einen anderen Künstler so sehr wie für Ben Vautiers Freund Olivier Mosset (geb. 1944).  Der Neuenburger lebt seit mehr als 40 Jahren ausserhalb der Schweiz und ist doch nirgendwo so bekannt wie hierzulande. Nicht zuletzt weil für ihn Herkunft und Wohnort keine Antagonismen sind, sondern in einer befruchtenden Interaktion stehen.

Ist er in der Schweiz, lebt er auf seinem Bauernhof zwischen Le Locle und La Chaux-de-Fonds im Neuenburger Jura, ist er im Südwesten der USA, nimmt er – vielleicht – seine Harley Davidson aus der Garage und braust  zur Erholung durch die Halbwüste Arizonas. Beide Orte sind ihm wichtig – zentrieren ihn und federn die internationalen Verpflichtungen zwischen New York und Peking ab.

Einst fand er die Schweiz und  die bürgerlichen Verpflichtungen, die sie ihm auferlegte, zu eng.  So floh er – gerade mal 18 Jahre alt –  in die „Hauptstadt“.  Für die Romands ist das ja bekanntlich Paris. Er wusste, dass Jean Tinguely dort ist. Den fand er schliesslich auch und half ihm Material für die „Heureka“ zu sammeln. Wichtiger war aber, andere Künstler kennen zu lernen, ihre Ansichten, ihre Haltung. Nur kurz beugt er sich der Aufforderung der Eltern, kehrt in die Schweiz zurück und macht in Neuenburg die Matura. Dann ist er wieder in Paris, malt Bilder mit einem grossen „A“ darauf und auch schon die ersten schwarzen Kreise auf weissem Grund.

Eloquent wie er ist, schätzen die Künstler den Dialog  mit dem jungen französischsprachigen Schweizer, sogar  namhafte Galerien öffnen ihm ihre Tore. Die Kunst ist im Umbruch – die grosses Zeit des Informel ist vorbei, die Nouveau Réalistes hinterfragen die Akkumulation des Konsums, die Amerikaner setzen auf Reduktion, Raum und Format und in Bern bereitet Harald Szeemann „When attitudes become form“ vor. 

Da ist eine „radikale“ Haltung, die verneint und das Zeichen als anpassungsfähiges „Nichts“ proklamiert,  wie ein „gefundenes Fressen“ und erklärt, warum die Aktionen und Manifeste von Buren/Toroni/Parmentier und Mosset um 1966/67  mehr Wirkung erzielen, als die vier eigentlich intendieren.  Ihre Performance vom 3. Januar 1967 im 18e Salon de la Jeune Peinture in Paris ist ja auch wirklich köstlich:  Da malen sie vor Ort, vor Publikum und umgeben sich schliesslich mit einem Spruchband, auf dem zu lesen ist: „BMPT vous conseillent de devenir intelligents“. Abends ersetzen sie es und proklamieren, sich zu weigern an Ausstellungen teilzunehmen.

Weil die vier eigentlich Individualisten sind, zerfällt die Gruppe bald wieder, aber die Rezeption der Ereignisse zur richtigen Zeit am richtigen Ort werden sie ein Leben lang nicht mehr los. Zu behaupten, Olivier Mosset hätte darum Paris den Rücken gekehrt, ist falsch und zugleich auch ein bisschen richtig. Die grossen Wohnortswechsel waren bei Mosset immer von etwas veranlasst und zugleich Ausdruck einer inneren Notwendigkeit. Hier ging es äusserlich darum, dass seine Aufenthaltsbewilligung in Frankreich abgelaufen war und er sich aufgrund eines ersten Aufenthaltes in New York (1975) vorstellen konnte, daselbst Fuss zu fassen.

So wird 1977 New York seine Homebase für fast 20 Jahre. Künstlerisch betrachtet war der entscheidende Faktor, dass  er – wie er in einem Interview betont – amerikanische Maler wie Stella, aber auch Brice Marden, Ad Reinhardt, Robert Ryman sehr verehrte, da sie sich auch in der äussersten Reduktion stets als Maler verstanden und nicht etwa als Malereikritiker.

Gleichzeitig war New York für Mosset eine enorme Herausforderung. Sein Schulenglisch reichte nicht, also musste er zunächst einmal büffeln und auch seine kunstgeschichtlichen Kenntnissen schienen ihm mangelhaft. So schreibt er sich an der Columbia Universität ein, um seine reflektive Basis in Bezug auf Gegenwart und Vergangenheit zu vertiefen. Schritt um Schritt vernetzt er sich mit der New Yorker Kunstszene; 1979 kommt es bei Toni Shafrazi zur ersten Einzelausstellung. Viele Kontakte basieren aber nach wie vor auf Paris. Es ist ein Phänomen, dass es Olivier Mosset bisher immer gelungen ist,  seine Wohnorte zu wechseln ohne die Beziehungen zu den vorangegangenen zu verlieren. Dasselbe gilt auch für seinen Freundeskreis.

Doch das ist selbstverständlich nicht „gratis“, sondern beruht im Fall von Mosset wohl auf seiner Zuvorkommenheit und seiner steten Bereitschaft zum substanziellen Gespräch. Und je mehr sich sein Horizont öffnet, desto reicher wird der Austausch mit ihm.  Wäre es nicht paradox, so könnte man möglicherweise behaupten, seine Bildtafeln seien Selbstporträts indem sie sich als offene monochrome Felder überall behaupten und sich mit verschiedensten Räumen, unterschiedlichster Architektur in Dialog zu stellen vermögen. Dabei macht aber ihre „amerikanische“ Grösse stets klar, dass es sich um eine markante Position handelt.

Mit anderen Worten: Bei einem Wohnortswechsel schliesst Olivier Mosset nicht eine Türe ab und öffnet eine neue, sondern er fügt seinem Lebens-„Haus“ einen neuen Raum hinzu.

Bereits 1977 findet eine erste Einzelausstellung im schweizerischen Neuenburg (Galerie Media) statt; das öffnet auf der Ebene der Rezeption quasi einen weiteren Raum. Denn als Mosset 1962 die Schweiz verliess, war er ja noch nicht Künstler – er ging mit nichts als seinen Jugenderinnerungen an die Schweizer Plastikausstellungen in Biel und die ersten Präsentationen von Arnold Rüdlinger in der Kunsthalle Bern im geistigen Gepäck. Nach Neuenburg kommt Susanna Kulli (damals St. Gallen, heute Zürich) hinzu, 1986 zeigt das Aargauer Kunsthaus in Aarau die erste Retrospektive. Und die Genfer Neo-Geo-Bewegung mit John Armleder als Spiritus rector schliesst ihn in ihr Umfeld ein.

Tatsächlich holt Olivier Mosset in den 1980er-Jahren über Querbänder, Diagonalen oder Rhombenformen eine gewisse Zeichenhaftigkeit in die Monochromie zurück, doch nicht die Geometrie interessiert ihn, sondern das gemalte Objekt an der Wand, das sich über Farbe, Format, Zeichenhaftigkeit im Raum ausbreitet und eine Art offene Plattform für Gespräche zu Kunst und mehr sein möchte. Insofern ist die Eingliederung in die Neo-Geo-Bewegung aus der Sicht des Künstlers ein weiteres „Missverständnis“, aber die Freundschaft mit John Armleder wird zu einer tragenden Beziehung, die sich über Länder, Orte und Ausstellungen ausbreitet und vertieft.

Olivier Mosset lebt 19 Jahre lang in New York, ist hier zeitweilig verheiratet und damit auch ins gesellschaftliche Leben der Grossstadt integriert, doch ein Amerikaner wird er nicht. Er hat bis heute nie einen amerikanischen Pass beantragt. Er halte es im übertragenen Sinn mit Jackson Pollock, der als einer der ersten gesagt habe: „Es gibt keine nationale Kunst. Aber ich bin Amerikaner“. Und so sei er eben bis heute Schweizer. Kinder waren nie ein Thema, aber er habe eine „Enkelin“ in New York, die er sehr liebe, sagt er im Gespräch. Und auf einmal verändert  sich der stets freundlich-korrekte Ton des Künstlers und lässt eine ansonsten wohlgehütete Innerlichkeit durchschimmern.

Eine Innerlichkeit, die sich vielleicht auch in der fast schon fetischhaften Liebe zu seinen zwei Harley Davidson-Motorrädern spiegelt. Mit dem einen sei er beim Umzug in den Südwesten der Vereinigten Staaten  selbst von New York über Dakota nach Arizona gefahren, erzählt er. Überhaupt sei es etwas vom Schönsten an seinem aktuellen Wohnort, dass es hier immer noch kein Helm-Obligatorium gebe und man immer noch mit wehenden Haaren über die weiten, leeren Strassen von Arizona brausen könne.

Ist der „Radikale Maler“ – auch diese  US-Stilrichtung hat ihn, speziell in den 1980er-Jahren, vereinnahmt  – etwa im Kern gar kein „Radikaler“, sondern viel eher ein „Romantiker“, der mehr als das Malerei-Objekt die Spiegelung liebt, die seine Grossformate auslösen? So fällt zum Beispiel auf, dass Raum-Aufnahmen von Ausstellungen den Widerschein der Beleuchtung nicht etwa vermeiden, sondern im Gegenteil als Lichtpunkte zeigen.

1993 tritt ein neues Moment in Erscheinung. Er baut zusammen mit John Armleder eine Rollbrett-Anlage, die zugleich Skulptur wie Funktions-Objekt ist und Jugendliche zur Interaktion aufruft. 1996 kommt ein weiteres funktionales Skulptur- Element hinzu, das sehr schön aufzeigt wie Olivier Mosset das Schweizerische und das Internationale verbindet. Er entdeckt in der Schweiz eine Reihe von Panzersperren aus dem 2. Weltkrieg. Die Standort-Gemeinde ist bereit, sie ihm zu verkaufen. Er sieht in ihrer Form seine eigenen Bilder gleichsam dreidimensional und überdies mit Geschichte aufgeladen. Dass er sie „Toblerone“ nennt, kommt noch dazu. In jüngster Zeit hat er sie mehrfach in Eis nachgegossen und in Ausstellungen schmelzen lassen – eine augenzwinkernde Brücke zwischen seiner Herkunft und dem Klima seines aktuellen Wohnorts.

Es war 1996 als Olivier Mosset den Entschluss fasste, New York zu verlassen und nach Tucson zu ziehen. Spätestens seit er die Schweiz an der Biennale Venedig von 1990 vertrat, ist er international derart gefragt, dass ihm der „Zirkus“ zu viel wird. Auffallend bei seinen vielen Verpflichtungen ist, dass sich nicht die Amerikaner um ihn reissen, sondern primär Frankreich und die Schweiz – mit Abstechern nach Japan und Deutschland. Der äussere Grund für den Umzug ist die Liebe. Seine zweite Frau stammt aus Arizona und will in Tucson eine Galerie eröffnen. Tucson ist zwar eine Universitätsstadt und hat ein „Museum for contemporary art“, doch man weiss, die zeitgenössische Kunst hat es in den USA ausserhalb der Grossstädte schwer.

Olivier Mosset  hat es freilich schon immer gelockt, Brachliegendes in Bewegung zu setzen, sein Renommée als „Brand“ für Newcomer und/oder weniger bekannte Künstlerfreunde zur Verfügung zu stellen. Indem er erkennt, dass es in Tucson lokal eine gute Musikszene gibt, arbeitet er sogleich daran, spartenübergreifende Events zu lancieren. Mit lokalem Erfolg und sehr viel Spass. So war es ihm auch ein Anliegen Freunde aus Europa nach Tucson eingeladen, um ihnen die spezifischen Charakteristiken der  Halbwüste Arizonas zu zeigen. 

Einige von Ihnen  – darunter John Armleder – waren 2008 in der von Mosset kuratierten Ausstellung „Arid Zones“ in der sich im Aufbau befindenden Kunsthalle von Tucson vertreten.  Er liebe die Natur, die Weite des Südwestens, sagt Mosset.  Er  hat sich sogar einen der typischen Saguaro-Katkusse als Tattoo applizieren lassen.  Und die Sonnenuntergänge mit ihren harten Kontrasten zeigen sich vielleicht sogar in der Farbwahl seiner Werke – diese satten Rot, diese hellen Gelb! Sicher ist, dass die Weite der Landschaft die Bildformate noch einmal gesteigert hat. „Man muss sie eh abspannen, um sie zu transportieren“. 

Mindestens so wichtig ist indes, dass Tucson einen Flughafen hat, denn Mosset ist nicht mit Leib und Seele nach Arizona umgesiedelt, sondern er hat im Zeitalter globaler Kommunikation via Email und mehr eine neue Basis bezogen und ist ihr auch treu geblieben als die Liebe wieder verflog. Die Hälfte des Jahres ist er indes unterwegs, in New York, in Frankreich, neuerdings in Asien und vor allem in der Schweiz. Gleichzeitig empfand er es aber als eine der berührendsten Anerkennungen in seiner Karriere, dass er 2008 für die Whitney Biennale in New York nominiert wurde, denn damit ist er – gut 30 Jahre nach seiner Ankunft – nun quasi offiziell zum US-Künstler geworden.

Nicht minder berührend ist  seine Antwort auf die Frage, warum er denn gerade jetzt Anerkennung in den USA finde.  „Vielleicht“, so Mosset nämlich,  „weil ich mich für junge Künstler interessiere“. Er, der nie Professor wurde, der sich nie irgendwo fest verpflichten liess, ist mit seiner ausserordent-lichen Fähigkeit, Kunst als immer wieder erneuerbare Plattform für Gespräche zu verstehen, zu einer vielgeachteten Respektsperson für junge Kunstschaffende geworden, ob in Tucson, in New York, in Neuenburg oder – wie kürzlich – im Museum von La Chaux-de-Fonds, dem er seine Kunstsammlung, das heisst Werke befreundeter Kunstschaffender aus seinem Besitz, vermachte.

Bildlegende:

Olivier Mosset in seinem Atelier in Tucson – Arizona, Februar 2008. Bild: azw