Pavel Schmidt Monsignore Dies Espace libre Biel 2010

Frühlingssterben im Aufbahrungsraum

 www.annelisezwez.ch        Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 10. April 2010

Während einem Jahr kuratiert der Bieler Künstler Monsignore Dies den Espace libre im Centre Pasquart. Aufbahrungsraum heisst er in dieser Zeit. Sein erster Gast: Pavel Schmidt mit „Frühlingssterben“.

Keine Installation von Monsignore Dies ohne dass irgendwo ein Totenkopf aufscheinen würde. Kein Wunder also nennt der den Espace libre im Jahr seiner Kuratorenschaft „Aufbahrungsraum“ und schmückt die Fenster mit Primeln und “ewigen“ Lichtern. Doch halt: Dies Mal ist es nicht nur eine schräge Idee des Kunst-Provokateurs: Der Espace libre (oder ein Raum ganz in der Nähe) soll gemäss seinen Nachforschungen zu Zeiten des Alten Pasquart-Spitals tatsächlich als Aufbahrungsraum gedient haben. Interessant sei, so Dies, dass viele den Namen als „Aufbewahrungsraum“ gelesen hätten. Alles, was mit dem Tod zu tun habe, versuche man eben zu verdrängen, aber der gehöre zum Leben.

Klar, dass Pavel Schmidt – einer der wenigen Internationalen unter den Bieler Kunstschaffenden – das Thema aufgriff. „Frühlingssterben“ heisst seine Installation. Aber auch: „Eine Hirnarbeit“. Damit das Ganze nicht zu inhaltsschwanger wird, gleich auch noch „Aprilscherz“.  Zu sehen sind sieben „Stampfer“ wie sie im Strassenbau zum Verfestigen des Bodens gebraucht werden; sechs ausgediente und einen funktionstüchtigen. An der Wand hängen sieben blitzblanke Toilettenschüsseln, sechs an der Längs-, eine (ein Closomat) an der Stirnwand. Pavel Schmidt arbeitet im Rahmen von Installationen oft mit industriell hergestellten Gegenständen, die er in assoziativ herausfordernde Zusammenhänge stellt. „Frühlingssterben“ erinnere daran, dass der Frühling nicht nur Zeit des Aufbruchs sei, sondern, so Schmidt, statistisch gesehen auch die Zeit, da am meisten Menschen sterben würden und somit für einen Aufbahrungsraum die wichtigste Zeit des Jahres sei.

Wie soll man das nun als „Hirnarbeit“ auf „Stampfer“ und WC-Schüsseln und darüber hinaus zwei Objekte mit sexuellen Konnotationen übertragen? Kunst ist nicht zuletzt Gedanken-akrobatik. Bei den Stampfern geht es Schmidt – er demonstrierte es an der Vernissage – stark um das pneumatische Moment der Maschine. Sie „atmet“ wie wild wenn sie arbeitet und sie vibriert, dass ein Mensch sie kaum halten kann. Sie ist auch eine Art umgekehrter Phallus. Bei Pavel Schmidt muss man die Dinge immer drehen und wenden, um ihm auf die Schliche zu kommen. Die Stampfer stehen also in gewissem Sinn für die Kraft des Lebens respektive für Lebenszeit.

Die Toilettenschüsseln sind so angebracht, dass sie den Besuchenden direkt vis-à-vis sind, fast wie eine Hohlform für den Kopf. Der Ablauf geht jedoch nicht nach unten, sondern nach oben. Und der strombetriebene Closomat dreht sich dazu. Klar, dass Schmidt auf Duchamp anspielt, der einst ein Pissoir zur Kunst erklärte, weil Kunst eine Sache des Denkens sei.  Dennoch ist es nicht einfach, Gedanken ans Leben, den Tod, den Geist – so fragile, emotionale, religiöse, spirituelle Felder –  in Schmidts Installation innerlich frei zu geben. Doch das Bild des Wandels, das Schmidt „zeichnet“, ist stark, ist lebensintensiv. Mit dem Glassturz-Objekt, das einen Gartenzwerg vis-à-vis eines weiblichen Sexobjektes zeigt, in einer Ecke und einer Hot-Dog-Maschine mit Plastik-Phalli in der anderen, setzt er noch einen oben drauf. „Die tragische Realität ist, dass es diese Dinger überall gibt“, sagt Schmidt. Zugleich aber auch: „Das Leben denkt immer an die Fortpflanzung“. Sigmund Freund lässt grüssen.

Monsignore Dies will dem Espace libre in diesem Jahr vemehrt ein Crossover-Image geben, das heisst einen Ort schaffen, in dem die bildende Kunst, die Musik, der Film und das Wort vermehrt zusammenwirken. Er selbst ist ja ebenso DJ wie Drummer wie „Installateur“. So wird man dieses Jahr neben  unkonventionellen Installationen (Uwe Schloen, Strotter inst.) auch Koch/Schütz und „Ström“ sehen respektive hören und in Zusammenarbeit mit dem Filmpodium die Erweiterung hin zum bewegten Bild proben.  Verstärkt wird  auch der Kontakt zu Chri Frautschis „Lokal.int“.  Zum Auftakt fand am Donnerstag an der Aarbergerstrasse ein ziemlich rauchintensives siebenfaches „Sprengenzwergesprengen“ statt, eine Art hintersinnige Antwort des langjährigen Gartenzwerge-Pyromanen Pavel Schmidt an Hans Jörg Schertenleibs Film „Gartenzwerge sprengen“.  Im Herbst soll es dann im Espace ein Stelldichein der bisherigen Lokal.int-Künstler geben. 

Und wer soll das bezahlen? Ach, so Dies,  man könne nicht immer „e tummi Schnure“ ha und nichts machen, darum mache er jetzt und sei guten Mutes, für sein Jahresprogramm im „Aufbahrungsraum“ Sponsoren zu finden.

Info: Bis 30. Mai 2010. Mi-Fr 14 – 18, Sa/So 11 – 18 Uhr.

Monsignore Dies

Hut und roter Kinnbart – unverkennbar.

Geboren 1969 in Lengnau.

Ursprünglich Werkzeugmacher.

Im Lebensmittelpunkt: die (Rock)-Musik.

Bekannt als Schlagzeuger. Und als DJ.

Schafft Bühnen für Musik. Lotet mit unter- und oberirischen Installationen die Unheimlichkeit des Lebens aus.

Legt am 24./25. Dezember  2008 im Lokal.int. während  36 Stunden Weihnachtsplatten auf.

Anderfuhren-Förderpreis

Mehrfache Zusammenarbeit mit Pavel Schmidt.

Bildlegende 1:

Espace libre: Pavel Schmidt setzt einen der „Stampfer“ in Betrieb. Bild: azw