Ursula Jakob_Art-Etage_Biel 2010

Fotografie als experimentelles Medium

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 9. Juni 2010

Für Ursula Jakob ist Fotografie  mehr als ein Medium des Abbildens. In der Art-Etage im Pasquart-Anbau zeigt die Berner Künstlerin Lichtbilder mit „doppelten“ Baustellen und eine Installation.

Gast von Ursula Jakob in der Ausstellung in der Art Etage von Alfred Maurer und Noémi Sandmeier ist der Schriftsteller Franz Dodel. Die beiden haben eine interessante Duo-Arbeit entwickelt. „Bei Dodels täglich wachsendem Haiku gibt es eine  ganz besondere Bildwahrnehmung, die auch mir in meinen Arbeiten mit Fotografie wichtig ist“, sagt Ursula Jakob zum audio-visuellen Projekt „Passage“.

Zu sehen sind neun variierte Heliogravuren einer städtischen Fluss-Mauer-Situation. Zu beiden Seiten gibt es eine Audio-Box aus welcher eine Stimme tönt, die etwas vorliest. Steht man in der Mitte, kann man die Bilder „lesen“, aber die sich von links und rechts mischenden Worte nicht verstehen. Bewegt man sich zur einen oder anderen Seite, erlöscht das Bild mehr und mehr während der Ton verständlich wird: Franz Dodel liest aus „never ending Haiku“.

„Wenn wir schauen“, so Ursula Jakob, „so sieht alles, was wir je gesehen und erlebt haben, in uns mit; dieses spezifische Wahrnehmen versuche ich einzufangen.“ Die in der „Fabrik“ in Burgdorf arbeitende Künstlerin will das indes nicht illustrativ verstanden wissen, sondern als künstlerische Umsetzung eines Empfindens. So sind denn weder „Passage“ noch die vielteilige Serie der Baustellen-Fotografien ein Lehrgang. 

Ursula Jakob arbeitet sehr zurückhaltend, die Motive sind unspektakulär und Farbe hat höchstens als monochrome Ergänzung am Rande Platz. Man könnte sogar sagen, das Motiv sei unwichtig. Es existiert ja so objektiv auch gar nicht. Die Graffiti an der Flussmauer , die Hochhäuser dahinter, die Armierungen im Beton, die Leiter an der Wand  sind subjektive Vorstellungen respektive fotografische Bildüberlagerungen. Aber wir kennen aus unserer Erfahrung jede Bildschicht einzeln, darum sind uns die Bilder nicht fremd.

Manchmal schauen wir auch gar nicht, weil anderes – zum Beispiel Töne – unsere Wahrnehmung fixieren.  Diese subtilen und zugleich wahrnehmungsprägenden „Automatismen“ sind das Thema von Ursula Jakob.  Sowohl die „Passage“-Arbeit mit Franz Dodel wie die „Baustellen“ bringen das eindrücklich zum Ausdruck.

Ursula Jakob hat sich insbesondere durch ihren experimentellen Umgang mit grafischen Arbeiten einen Namen gemacht. Darum figuriert sie auch seit langem im Programm der Galerie, die an früheren Orten ja auch schon mal „impress“ hiess. Kein Wunder darum, dass sie auch mit Fotografie umgeht als wäre sie ein druckgrafisches Medium.

Für die ausstellungs-bestimmende Serie fotografierte sie in einer grossen Baustelle in Burgdorf; mit einer analogen Kamera. Das heisst der Film liess sich nach einer ersten Runde zurückspulen und nochmals verwenden. So  überlagern sich mehrere Bildschichten, werden gleichsam zum „Film“, zu einem Prozess in der Zeit – der „Baustelle“ unserer Wahrnehmung. Die besten hat Jakob daraufhin als Vergrösserungen auf ein mit Fotoemulsion beschichtetes Papier übertragen. 

Sei es in der „Normalsicht“ als Positive, oder in Umkehrung der Hell-Dunkel-Werte als Negative, die das reale Geschehen noch weiter in den Hintergrund rücken. Ganz besonders am Herzen liegt ihr eine Arbeit mit dem Titel „nicht ganz alles“.  Sie zeigt fast nichts (mehr), denn die Künstlerin hat Positiv und Negativ übereinander kopiert und so „fast alles“ gelöscht. Da wird spürbar, wie sehr in ihren Arbeiten neben der inhaltlichen Vision auch die Lust am Experiment, am Schaffen unerwarteter Bilder wichtig sind. Als Betrachtende mag man Sichtbareres vorziehen, doch die Haltung Jakobs gegenüber ihrem Medium  gehört mit zur Qualität ihres Schaffens. 


Info: Ursula Jakob, Art-Etage, Seevorstadt 71, 2501 Biel/Bienne. Bis 3. Juli Mi-Fr 14-18, Sa 11-18 Uhr.

Bildlegende:

Sehen wird Wahrnehmung: Fotografie auf Papier von Ursula Jakob aus der Serie der „doppelten“ Baustellen. Bild: zvg