Veronique Zussau Art Etage Biel 2010

Tot oder lebendig oder Kunst?

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 30. Jan. 2010


Die Erinnerung an Véronique Zussaus märchenhafte Installation im Espace libre ist nicht verblasst. Doch in der Art-Etage gibt sich die Bernerin jetzt analytischer und fragt nach Tod und Leben und Kunst.


Es ist aus Gips und liegt auf einem teils bemalten Sockel. Es ist der Abguss einer Puppe mit hartem Kopf und weichem Stoff-Körper, doch die Puppe meint das Kleinkind, aber auf einem Sockel in einer Galerie ist es Kunst. Es ist eine Skulptur, die Kindliches zeigt, Erinnerungen weckt und zugleich Fragen nach Tod und Leben, nach Realität und Bild, Fragen nach der Kraft unserer Vorstellung in den Raum stellt.

Véronique Zussau (geb. 1962 in Paris) liebt es, in ihrem Schaffen mit unserer Fantasie, unseren Träumen und Illusionen zu spielen. Nicht um Dinge zu „entlarven“, sondern um ihre eigenen Fragen an das Leben hinter den Dingen zu visualisiern. Oft war in den letzten Jahren in Texten über die Berner Künstlerin von „märchenhaft“ die Rede, von „Alice im Wunderland“ auch. Aber da war immer auch Wehmut mit drin; etwa in den nun in der Art-Etage im Pasquart-Anbau wieder gezeigten Fotografien mit ausgestopften Vögeln, die dank einer Inszenierung mit Licht und Schatten zu fliegen scheinen, obwohl sie das ganz offensichtlich nicht (mehr) können. Oder etwa doch?

In den neuen Arbeiten geht die auch als Dozentin an der Schule für Gestaltung in Biel tätige Künstlerin drastischer mit demselben Thema um. Da ist – wiederum aus weissem Gips –  ein Teddybär, der nicht etwa auf einem Sockel steht, sondern Teil des Sockels selbst ist, eingeklemmt, hilflos gefangen. Fast automatisch möchten wir ihn befreien, doch dann wäre es immer noch ein Teddybär, der lediglich einen Bären meint und doch keiner ist. Und so ist  der Sockel-Bär denn eben eine Skulptur,  die etwas zeigt, etwas in uns aktiviert, aber zugleich darin „gefangen“ ist, lediglich Kunst zu sein. Es ist raffiniert, wie Véronique Zussau mit unseren Emotionen spielt und sie auf Grundsätzliches lenkt.

Die Ausstellung, welche die Künstlerin in Biel eingerichtet hat, ist multimedial – das heisst, sie umschliesst alle Medien, mit denen Véronique Zussau arbeitet, die Skulptur, die Fotografie, Objektarbeiten und Video. Die Videoarbeit, die sie zeigt, ist eigentlich eine Holz-Skulptur, denn sie umfasst zwei getrennte und zugleich verbundene, einander präzise gegenüberliebende Monitore. So, dass man unmöglich beide Filme gleichzeitig sehen kann. Und dies mit Absicht, denn auf der einen Seite ist – über 35 Minuten –  ein Sonnenaufgang, auf der anderen Seite ein Sonnenuntergang zu sehen; etwas, das man bekanntlich nicht zugleich sehen kann. Aber es geht nicht primär um den Lauf der Erde um die Sonne, sondern da ist wieder die Künstlerin, die uns darauf aufmerksam machen will, dass das, was man sieht, nie alles ist, was man sehen könnte.


Weitere Arbeiten, darunter auch eine überraschende mit Tattoo-Medaillons, verstärken das Gesamtbild.

Im Kontext der zeitgenössischen Kunst  vertritt Véronique Zussau eine zugleich berührend persönliche wie auch eine im Trend liegende Position. Zum einen beschäftigt sich die Kunst seit Jahren intensiv mit Fragen der Wahrnehmung von Bildern sowie der Auflösung des Absoluten zugunsten einer Vielfalt von Möglichkeiten. Zum andern ist in der globalen Vielfalt künstlerischer Konzepte unter anderem ein Trend zurück zu individuellen Geschichten feststellbar. In der Kombination der beiden Beobachtungen findet das Schaffen Zussaus seinen Ort.

Es gehört zum Konzept der Ausstellungen in der Art-Etage, dass die Eingeladenen einen Gast mitbringen, in diesem Fall die Basler Künstlerin Selma Weber (geb. 1958 in Rorschach). Weber agiert zwischen Interaktion, Performance und Fotografie. Der in Biel gezeigte Foto-Block aus der Serie „Hinter dem Mond“, für das Weber 2009 einen Basler Werkbeitrag erhielt, zeigen mit viel Improvisationstalent verkleidete Frauen. So, dass die Figuren selbst nicht erkennbar sind, ganz hinter die „Skulptur“ aus Tüchern, Kleidungsstücken und Accessoires zurücktreten. Assoziationen zur Burka-Thematik kommen auf, umsomehr als Weber kürzlich längere Zeit in Instanbul verbrachte, doch auch das Fasnächtliche schimmert durch und gibt den Aufnahmen eine schillernde Mehrdeutigkeit, die Ernst und Humor glücklich verbindet. Gerade das mag Zussau bewogen haben, Selma Weber nach Biel einzuladen.

Info: Art-Etage, Seevorstadt 71 (Annex-Bau Centre Pasquart). Bis 27. Februar 2010. Offen: Mi-Fr 14-18, Sa 11-18 Uhr.

Art-Etage

Seit 2008 ist das ehemalige Altersheim Pasquart ein „Kunsthaus“.

Museum Pasquart, Kunstverein, Photoforum usw. haben ihre Büros darin.

Mehrere Kunstschaffende arbeiten in Ateliers. Es wird auch getanzt.

Das Hochparterre ist die Art-Etage. Die Galerie wurde 2004 von Alfred Maurer als Galerie Quellgasse gegründet.

In Kombination mit dem Grafikbüro „gff“ (Gestaltung, Form Funktion).

2008 zügelte das Unternehmen an die Seevorstadt 71 und wird heute primär von Noémi Sandmeier geführt.