Bieler Fototage 2011 Rundgang

Bilder von der Unerbittlichkeit der Zeit

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 8. September 2011

Thema der  Bieler Fototage ist nicht einfach  „die Zeit“, sondern „der Zahn der Zeit“ (le temps fait son oeuvre). Welche Bilder vermögen die Unausweichlichkeit zu zeigen, gar mit Humor?

Hélène Joye-Cagnard und Catherine Kohler, die Co-Direktorinnen der Bieler Fototage, waren sich bewusst: Ein vielbearbeitetes Thema wie „die Zeit“ ist ein schwieriges Thema. Denn um zu bestehen ist mehr gefordert als bisher gezeigt wurde. Doch: Kompliment, über weite Strecken sind die Bieler Fototage 2011 ein Ereignis. Die Bilder zeigen mehr als unser Auge gängig sieht. Sie führen uns in taghelle Nächte, holen das Drehen der Erde ins Bild, halten Explosionen an, wandeln einst und jetzt in Gleichzeitigkeit und verdeutlichen: Niemand kann dem Zahn der Zeit ausweichen.

Mit der Unausweichlichkeit ist indes nicht nur das Todes-Thema gemeint wie es ausgerechnet der jüngste aller Teilnehmer, Michael Fent (geb. 1987 in Hosenruck/TG) im Kulturkeller Weyerhof eindrücklich behandelt, sondern ebenso die Präzision der Vernetzung von technischen, chemischen, physikalischen, meteorologischen und thematischen Parametern.

Da sind zum Beispiel die grossformatigen Bergbilder von Roger Frei (geb. 1971 in Zürich). Mit Bergbildern kann man uns Schweizer a priori packen, doch da hat einer – monatelang – auf klare Vollmondnächte gewartet, erst dann stieg er hinauf, installierte die Kamera und liess die Blende zwei Stunden offen. Dabei wurde das Licht kumuliert, was eine – wie nun die Fotografien zeigen – nie gesehene Gelb-Grün-Intensität und eine seltsam unwirkliche Plastizität erzeugt. Man fühlt sich nicht als Wanderin angesprochen, sondern als Träumerin. Roger Freis Bilder sind im Photoforum, das heisst in eine musealen White Cube, am richtigen Ort ausgestellt.

Der  Ort ist wesentlich. So sind die plakatartigen Alltagsbilder des peruanischen Kollektivs LimaFotoLibre in der abgetackelten „Villa“ (dem einstigen Verwaltungsgebäude des Pasquart) gleichsam zuhause, markieren wie die Bilderflut heutzutage alles zupappt. Eingestreut in andere Ausstellungsorte hingegen sind sie eher wie ein bisschen „Pfeffer“ wider zu viel Ernsthaftigkeit.

Auch die „Reworks“ von Alexis Guillier (geb. 1982 in Paris) sind in der Villa am richtigen Ort, handeln sie doch von Dekonstruktionen aller Art, seien es Vandalenakte oder Statuen, die im Laufe der Geschichte vom Sockel geholt wurden.

„Vandalenakte“ ganz anderer Art sind Thema der Fotografien von Alban Lécuyer (geb. 1977 in Paris). Die Fotografien in der Voirie (Alte Krone) zeigen wie traditionsreiche Bauten dem Bauboom in den Grossstädten der Welt zum Opfer fallen. Mitten in Hochhaussiedlungen sieht man Staubwolken und Häuser, die einstürzen. Doch halt, plötzlich wird klar: Das sind Montagen. Und mit dieser Erkenntnis wandeln sich die Fotos in der Rezeption blitzartig in Illustrationen und verlieren an emotionaler Wirkung. Und damit fällt Lécuyers Essay künstlerisch durch.

Dasselbe Schicksal erleiden auch die Fotos von Claus Stolz (geb. 1963 in Mannheim) in der Gewölbegalerie. Er richtete die Kamera so gezielt und so lange auf die Sonne, dass der Film, zuweilen gar die Linse, teilweise zerstört wurde. Indem er die entstandenen Bildmuster auf Aluminium aufzog, ästhetisierte er sie indes so sehr, dass die „feindliche“ Kraft von Zeit und Sonne keine unmittelbare emotionale Wirkung mehr hat.

Gut gibt es Beispiele, die den Zahn der Zeit mit Humor angehen. Zu erwähnen ist da unbedingt „Das doppelte Lottchen“ im Museum Neuhaus. Die beiden Bielerinnen haben sich selbst, zum Teil mit Attributen aus dem fernen Afrika, in idyllischer Umgebung abgelichtet und die posenhaften Aufnahmen im Photoshop Abbildungen aus der Kunstgeschichte einverleibt; so dass Lottchen nun eine barocke Gärtnerin bezirzt oder „die Weisheit“ erwartet. Es sind diese heiter-sinnlichen Vernetzungen, die sich einschreiben, während die Kombinationen mit Honoré Daumier die Gefahr des Illustrativen nicht ganz zu bannen vermögen.

Den langen Parcours in der Erinnerung durchschreitend, wird bewusst, dass immer wieder jene Essays aufscheinen, die Technik und Inhaltlichkeit zu Mehrwert bündeln. Erwähnt sei da zum Beispiel Andrea Good (geb. 1968 in Zürich), die Räume in Camera obscuras verwandelt, um Bilder auf den grössten erhältlichen Fotopapieren generieren zu können. Die Werke, die beim Abriss der „Vereinigten Drahtwerke“ in Bözingen entstanden, verwandeln die Bauarbeiten nicht nur in nächtliche Stille, sondern machen den Prozess des Abrisses  zur Metapher eines historischen Augenblicks. Erwähnt seien auch Nicole Hametners Pflanzen-Leuchtbilder, die sich nur nachts, wenn das „Schwarzlicht“ seine Zeit hat, zeigen (Schaufenster Alte Krone/Juraplatz) und last but not least „My mother“ von Ilir Kaso (geb. 1982 in Tirana), ein Foto-Animation, welche den Alterungsprozess der Mutter über 27 Jahre hinweg zeigt, so langsam, so unmerklich, dass  die Zeit für einmal als etwas Sanftes erscheint.

 

 

Text 2: Am Rand aber nicht randständig

In Venedig nennt man sie „Eventi collaterali“, Ausstellungen, die „seitlich“ zum Hauptereignis stattfinden. Es gibt sie auch in Biel, zum Beispiel in der Schule für Gestaltung. Hier zeigen Studierende ihre Ideen zum Thema der Fototage. Auch hier ist der Jahrgang 2011 bemerkenswert; Zoé Rochat zum Beispiel hat in einer humorvollen Serie Alterszuordnungen vertauscht: das Kleinkind liest die Zeitung, ein junger Mann ist mit dem Dreirad unterwegs usw. Überraschend sind aber vor allem die zwischen Lifestyle und Barock changierenden Allegorien von Christian Stefani.

Nicht „kollateral“ im engeren Sinn ist der Beitrag von Raphael Hefti und Alex Rich. Sie gehören zu den Eingeladenen, foutieren sich aber um die Festival-Parameter. „Themenausstellungen sind ein alter Zopf, es geht um die Baustelle Fotografie“, sagt Hefti. Ein Designerstuhl aus Bauabschrankungen vor offenem Fenster markiert die Haltung im Dachstock-Erker der Alten Krone. Ebenso ein Glas, das so dick mit Antireflex-Folien beschichtet ist, dass der Effekt verpufft und das Glas (die Linse) wieder spiegelt. Die Festival-Besucher werden wohl den Kopf schütteln, aber letztlich tut ein bisschen Opposition gut.

Im eigentlichen Sinn „kollateral“ ist die Ausstellung „Fotografie einst“, die Martin Jegge in seinem Geschäft vis-à-vis der Alten Krone zeigt. Mit so viel Liebe zum Detail eingerichtet, findet sie bei den Festivalgängern zu Recht grosse Beachtung.

Link zum Projekt Hefti vs Rich: www.thisisserious.net

 

Text 3: Nicht verpassen

Die Bieler Fototage 2011 sind eine Jubiläumsausgabe.

Es gibt mehr als 25 Ausstellungen mit 37 Fotoschaffenden an 12 Orten.

Neben den im BT vom 3. September und heute Erwähnten, sind ferner zu beachten:

Die TV-Lichter in Hongkongs Hochhäusern (Christoph Aerni), die Aufnahmen in Gigapan-Technik von John Divola, die Panorama-Fotos von Arno Hassler, die TV-Zapper von Enrique Munoz, die Video-Camera-Collagen von Jules Spinatsch und mehr. 

  

Bieler Fototage. Bis 25. September. Mi – Fr 14 – 18, Sa/So 11 – 18 Uhr. Info-Container auf dem Bahnhofplatz. Tickets auch in der Villa und der Alten Krone. Rahmenprogramm: www.jouph.ch    


Bilder (azw)

Berglandschaft bei Vollmond: Roger Frei

Lottchen grüsst die Gärtnerin