www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 19. Mai 2011reteks

Das Kunstmuseum Bern und das Kunsthaus Langenthal ehren Martin Ziegelmüller mit einer grossen Retrospektive. Sie zeigt die Vielfalt und Kontinuität im Werk des Seeländer Malers.

Hand aufs Herz: ein bisschen erstaunt war man schon als durchsickerte, dass Bern und Langenthal den bekanntesten Seeländer Maler mit einer Doppelausstellung würdigen wollen. Noch vor zehn Jahren wäre das undenkbar gewesen. Martin Ziegelmüller galt in den Augen der Berner Kunsthistorie als „Nestbeschmutzer“. Als junger Künstler hatte er es einst gewagt, gegen die Herren Rüdlinger und Szeemann an der Kunsthalle Bern lautstark zu opponieren. Mit Leidenschaft hielt er an der gegenständlichen Malerei fest…. und unterlief sie doch. Heute spricht der Berner Museumsdirektor Matthias Frehner von einem „Visionären Realisten“. Ganz offensichtlich wurden in den letzten Jahren Verhärtungen zwischen Aufbruch und Tradition aufgeweicht und haben dadurch den Blick frei gemacht auf eigenständige Werke, die in ihrer Fülle und ihrer Vielfalt  alte Clichés unterlaufen haben und heute als Gesamtoeuvres überzeugen.

Ob der Ansatz der von Matthias Frehner und Eveline Suter kuratierten Ausstellung in Bern und Langenthal dieses „Andere“ genügend herausschält, ist nicht ganz sicher. Vor allem der Einstieg  mit „Wolkenwelten“, „Hügelzügen“, „Gärten“ und „Flüssen“ ist etwas allzu idyllisch, bereitet zu wenig auf den Geist der „Ruinenstädte“, die zum Teil unheimlichen Städtebilder, die ausgedehnten „Arbeitswelten“ und mehr vor. Die Ausstellung ist im ersten Teil sehr museal auf den „Peintre“ ausgerichtet, der an der Tradition der Kunstgeschichte Mass nimmt und in dessen Werk die Kontinuität der Themen eine wichtige Rolle spielt. Tätsächlich „vertragen“ sich in diesen Kapiteln Bilder aus den 1970er-Jahren erstaunlich gut mit Werken, die erst wenige Jahre alt sind. Die zeitgenössische Komponente, Ziegelmüllers leidenschaftliche Identifikation mit der Natur als etwas, das es zu malen gilt, um es nicht zu verlieren, ist  in dieser klassischen, thematischen Hängung aber relativ schwierig zu fassen.

So steht denn die unverhoffte Wende zum  „Spalt durch Basel“ von 1979/81 – einem  in Aufsicht gemalten, wüstenfarbenen, gespaltenen Plateau nach dem grossen Gau – zunächst in einem Leerraum. Zwar findet das Bild in „Fukushima verstrahlt“ (frisch ab Staffelei) sogleich eine Fortsetzung und wird mit den Eiszeit- und anderen Städtebildern von Bern und Biel aus den 70er-und 80er-Jahren in Martin Ziegelmüllers wichtiges Kapitel apokalyptischer Visionen gebettet. Doch die im Künstler selbst angelegte Gleichzeitigkeit der Sehnsucht nach einer intakten Natur und der Wahrnehmung ihrer Bedrohung wie sie in der Behandlung der Bildthemen angelegt ist, vermittelt sich den Betrachtenden nicht emotional genug. Dringend wäre auch ein direkter Appell, den Ausstellungsraum im nahen Progr, mit  den im Katalog leider fehlenden Bildern wie „Die Gletscher haben Zürich erreicht“ (1981) oder „Libanon“ (2006), nicht zu verpassen.

Selbst für Kenner gibt es jedoch eine Überraschung: Es ist das grossformatige Bild „1968

(Kennedy)“ aus dem Jahr 1969. Noch nie war es ausgestellt, obwohl es ein Schlüsselbild ist. Es spiegelt  in unzähligen, collageartig verwobenen Versatzstücken ebenso die rebellische Situation der 68er-Jahre wie Ziegelmüllers ganz persönliche Zerreissprobe zwischen Tradition und Aufbruch. Alles ist für den damals 34-Jährigen möglich in dieser Zeit und ist als unterschwelliger Strom in seinem Werk enthalten, auch wenn dieses Bild keine direkte Fortsetzung fand.

Die Ausstellung in Langenthal ist keineswegs eine Verdoppelung von Bern, denn hier stehen, neben einem Kapitel „Porträts“, insbesondere die „Arbeitswelten“ im Zentrum. 

Martin Ziegelmüller hat im Auftrag seines Freundes und Mäzens Heinz Trösch zu zweien Malen in den Fabrikationshallen von Glas Trösch AG gemalt. Anders als bei den Naturbildern, die im Atelier entstehen und nie ortsspezifische Genauigkeit anstreben, sind Bilder wie das „Glaslager“ von 1974 oder das „Floatglaswerk“ von 1998 direkt vor Ort gemalt; sei es im Oberaargau oder – im zweiten Zyklus – an einem der Standorte des Unternehmens im Ausland. Auch wenn das Dokumentarische – zum Beispiel die fortschreitende Automation – eine wichtige Komponente sind, Ziegelmüller bleibt  auch in den „Arbeitswelten“ Maler.Das zeigt sich insbesondere in der Behandlung des Lichtes. Was hingegen fehlt und damit indirekt auf dessen Bedeutung im Hauptwerk verweist, ist der expressive, mit jedem Pinselstrich die persönliche Haltung betonende Ausdruck.

Auch der in der Papierfabrik Biberist gemalte Zyklus sowie die Bilder aus dem Operationssaal gehören in diesen Kontext. Übergeordnet zeigen insbesondere die Glas Trösch-Bilder aber auch  auf, dass Ziegelmüller seit langen Jahren auf eine bedeutende Sammler-„Gilde“ zählen darf, die wenn nötig auch für namhaftes „Sponsoring“ zu haben ist. Was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass Martin Ziegelmüller in seinen Anfängen hart um seine Existenz (und jene der Familie) kämpfen musste und dies stets als Maler tat, was nicht nur quantitativ, sondern auch bezüglich Intensität in seinem Schaffen enthalten ist.

Info: Ausstellung in Bern bis 14. August, in Langenthal bis 10. Juli. Publikation: Martin Ziegelmüller – Weites Feld. Kerber Verlag. 54 Franken. Rahmenprogramm.

Link: www.kunstmuseumbern.ch und www.kunsthauslangenthal.ch

Bildlegenden:

„Wässermatte“, 1995

„Fukushima verstrahlt“, 2011

„1968 (Kennedy)“, 1969

Aus dem Zyklus Glas Trösch AG, 1998

Bilder: azw