www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 20. Juni 2011vian34

Das schmucke Bushalte-Häuschen am Juraplatz ist seit kurzem auch eine Haltestelle für Kunst. Enrique Munoz macht es möglich. Aktuell: „I wanna be chinese“ von Rainer Ganahl.

Rainer Ganahl (geb. 1961) ist ein typischer Künstler-Nomade. Er ist im Vorarlbergischen aufgewachsen, lebt seit 20 Jahren in New York, hat eine Professur an der Staatlichen Hochschule für Kunst in Stuttgart und performt mit seinen Ideen, Performances, Videos und Aktionen auf der ganzen Welt; zur Zeit in Biel. Kein Wunder erklärte er schon 1992 das Erlernen von Sprachen zum Kunstwerk; „Basic Chinese“ zum Beispiel. Und auch kein Wunder ist seine Galerie das Internet; neun verschiedene Webseiten führen zu ganahlschen Projekten und auf  Youtube gibt’s 24 Videos.

Einem dieser aktionistischen Videos begegnet man seit Samstag jeweils nachts ab 22 Uhr als Projektion auf die Rückwand der kleinen Rotonde, die Teil der Bushalte-Stelle am Juraplatz ist. Das architektonische Kleinod aus alter Zeit ist geradezu ideal für unerwartete Erlebnisse. Der Titel des Videos heisst „Tu voi far proprio cinese“; es zeigt einen Switch zwischen einem musikalischen Hit der 1950er-Jahre und einer geradezu tänzerischen Fahrt des Künstlers mit einem Elektro-Bike durch Bologna.

Gut hat der Künstler viel Humor, denn im Kern geht es nicht um Komödie, sondern um weltweiten, sich oft unbemerkt einschleichenden Kulturwandel. So ist der Song des Videos eine Neuinterpretation des italienischen Hits „Tu voi far l’Americano“ von 1957. Die Musiker sind noch dieselben, aber Whisky Soda und Rockn’Roll sind ersetzt durch Bai Jiu (ein chinesischer Schnaps) respektive ein Elektro-Bike, das als italienisch gilt, aber eigentlich chinesisch ist und in ähnlicher Form nicht nur in China, sondern ebenso  in China-Town in New York millionenfach genutzt wird.

Die Globalisierung, die vielfach eine moderne Form ökonomischer Kolonialisierung ist, beschäftigt den „öko-politischen Romantiker“ – so Ganahl in einem Text über sich selbst – in vielfältiger Form.

Eine andere „Baustelle“ in seinem sich prozesshaft weitenden Oeuvre ist Albert Camus, dessen Werke er schon als Teenager gelesen habe, wie er sagt. Sein Ansatz ist allerdings weniger ein literarischer als vielmehr Untersuchungen, welche den in Algerien Aufgewachsenen unter dem Aspekt des französischen Kolonialismus betrachten. Gestern Sonntag las er auf dem Guisanplatz aus einem entsprechenden Text. Ein nicht gerade einfaches Unternehmen, aber als künstlerische Aktion ging und geht es ja ebenso um die „Stimme“ an sich, um den Anstoss, selbst Festgeschriebenes immer wieder neu zu hinterfragen.  Sei es Camus oder, wie in einem der Videos von Ganahl auf Youtube, Karl Marx, der daselbst von einer jungen Europäerin auf chinesisch beschimpft wird.

Was Rainer Ganahl auszeichnet und gewiss auch sein Erfolgsrezept ist, gründet in seinem Humor, in der Gleichzeitigkeit von Belesenheit, Intelligenz und Lust selbst politische Inhalte mit Witz umzusetzen. Gerade das hat auch die in Biel lebende chilenisch-schweizerische Künstlerin Ingrid Wildi Merino bewogen, Rainer Ganahl nach Biel einzuladen und hier im Kleinen die betont kulturkritische Ausstellung „Dislocacion“, die sie 2010/11 für Santiago de Chile und das Kunstmuseum Bern kuratierte, weiterzuführen. Der ebenfalls aus Chile stammende und an „Discolation“ beteiligte Bieler Fotograf Enrique Munoz, der den Juraplatz als Kunst-Ort lancierte, hat sie dazu angeregt.

 www.ganahl.info; www.iwannabechinese.com; www.ganahl.marx.com