www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 22. Juni 2011Монтаж мансардной крыши

Ab morgen 23. Juni 2011 tagt in Paris das Unesco-Welterbe-Komitee. Es wird unter anderem bestimmen, ob die Pfahlbaukultur, die im Drei-Seen-Land einst vorherrschend war, von Weltbedeutung ist.

Es ist 1846. Petersinsel-Schaffner Irlet greift zur Feder. Ihm gehen die „eigenartigen Sachen“, die er im „Mörigen-Egge“ gefunden hat, nicht aus dem Kopf. Darum schreibt er Oberst Schwab in Biel einen Brief. Dass er mit diesem nur in Zitaten erhaltenen Schreiben die Pfahlbauforschung am Bielersee einläutet, kann er nicht wissen. Im Gegensatz zur  keltischen „Latène-Kultur“ (5.-1. Jh. v. Chr.), welcher Schwab den Namen gab, war von den Menschen, die vor allem in der Jungstein- und -Frühbronzezeit (3500 – 1500 v. Chr.) im Drei-Seen-Land lebten, noch so gut wie nichts bekannt.

Doch bald darauf brach an vielen Schweizer See-Ufern das Pfahlbau-Fieber aus. Der Zürcher Walter Keller stellte erste Theorien auf. Das kam der seit 1848 als Staat mit eigener Verfassung auftretenden Schweiz gerade recht, war sie doch auf der Suche nach einer umfassenden Identität. So wurden die Pfahlbauer quasi unsere Vorfahren und ihre Erforschung zum „Hype“. Dass sich später herausstellte, dass wir nicht von den Pfahlbauern abstammen, war in der Zeit irrrelevant.

Das Drei-Seen-Land ist bezüglich  Pfahlbau-Kultur ein Glücksfall. Nicht weniger als 25% aller bekannten Pfahlbaustationen in der Schweiz, in Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien und Slowenien befinden sich hier.  Entsprechend bedeutsam ist die 2000 aus Anlass des Jubiläums 150 Jahre Pfahlbauforschung lancierte und 2004 als Regionen und Länder übergreifendes Dossier eingereichte Bewerbung um einen Eintrag ins Unesco-Welterbe für die Region Bieler-, Neuenburger- und Murtensee.

Der Glücksfall hat seinen Grund: Die Jura-Gewässer-Korrektion senkte die Seespiegel und liess zahlreiche sich einst am Ufer befindlichen Pfahlbaudörfer zum Vorschein kommen, am Bielersee vor allem jene am flacheren Südufer. Mit geübtem Auge und Kenntnis der Orte war es  ein Leichtes Steinbeile, Pfeilspitzen, Schaber, Hammer, Spinnwirtel und mehr zusammenzutragen. Es heisst, zu gewissen Zeiten seien die Seeländer lieber mit Pfahlbau-Funden als mit Blumenkohl auf den Markt nach Neuenburg gefahren. Doch da griff der Kanton Bern ein und bot dem Tun mit dem ersten Denkmalschutzgesetz (1873) Einhalt. Fakt ist jedoch, dass durch den Handel mit den reichlich willkürlichen Funden von Bauern und Fischern die ersten Pfahlbau-Sammlungen entstanden, auch jene von Friedrich Schwab.

Über Jahrzehnte blieb die Pfahlbau-„Forschung“ Domäne von „Liebhabern und Privatgelehrten“, wie Cynthia Dunning, ehemalige Direktorin des Museum Schwab, einmal schrieb. In ihrer Zeit als Leiterin der Berner Kantonsarchäologie trug sie wesentlich zum Zustandekommen des Unesco-Dossiers bei. Sie war es auch, die 1993 das Pfahlbau-Kulturerbe am Bielersee einte. Die Sammler bewegten sich nämlich bis dahin mehrheitlich in einem halblegalen Feld und hüteten ihre Schätze in Kisten und Kästen. Mit der Ausstellung im Museum Schwab holte Dunning sie ans Licht und gestand, dass die Funde alle verloren wären, hätten sie die Sammler nicht zusammengetragen. Denn sie wären durch Erosion auf den Grund des Sees abgerutscht. Dieses Phänomen ist ja auch aktuell der Grund, warum, zum Beispiel in Sutz-Lattrigen, Schutzmassnahmen im Gang sind.

Allein: Die Sammler waren natürlich keine Forscher. Sie waren eher auf Trophäen aus. Das zeigt sich daran, dass die Artefakte in Vitrinen aufgenäht und als Schätze gezeigt wurden und nicht im Zusammenhang mit ihrer Funktion im Leben der Menschen zur Pfahlbauzeit. Das ist seit der Institutionalisierung der Archäologie als Studium  grundlegend anders. Pfahlbauforschung heisst schon lange nicht mehr sammeln, sondern mit analytischen Methoden Erkenntnisse zusammentragen. Fundstücke gibt es Hunderttausende – die einen besser, die anderen weniger gut erhalten – darum geht es bei der angestrebten Aufnahme ins Unesco-Welterbe nicht primär um die Sammlungen im Landesmuseum, im Museum Schwab, bei Iseli in Lüscherz, Irlet in Twann und so weiter, sondern um die weitere Erforschung der Lebensweise der Menschen damals.

Es ist  zum Beispiel noch nicht lange her, dass das idealistische Credo einer friedlichen Koexistenz der Pfahlbau-Dorfgemeinschaf-ten aufgrund von Untersuchungen an „verletzten“ Skeletten über Bord geworfen werden musste. Auch die Tatsache, dass man bei den 11/2 Jahre Bau-Verzögerung auslösenden Grabungen in Twann im Rahmen des Baus der N5 in den 1970er-Jahren verblüffende 25 Besiedlungsschichten fand, gibt nach wie vor Rätsel auf. Warum gingen sie, warum kamen sie wieder?

Was die Pfahlbau-Forschung im Kanton Bern anbetrifft, ist der Archäologische Dienst federführend. Bezüglich der visuellen Präsentation im Drei-Seen-Land, ist es hingegen das Laténium in Hauterive (NE). Entsprechend werden da am kommenden Montag die Korken knallen, um zu feiern – so es denn in Paris nicht zum Eklat kommt.

 

Lokal-Kommentar:

Das Bieler Museum Schwab spielt keine wichtige Rolle in der heutigen Pfahlbauforschung. Seine Sammlung ist aus heutiger Sicht nicht von besonderer Bedeutung, da zu wenig bekannt ist, in welchen Zusammenhängen die Artefakte seinerzeit gefunden wurden. Die Sammlung Schwab, die auch jene von Emanuel Müller (Neuenburg) umschliesst, ist eine typische 19. Jahrhundert-Sammlung, die durch Handel zusammengetragen wurde, nicht durch Expeditionen in die Stationen. Nicht zuletzt darum hat sich das Museum Schwab in den letzten Jahren ein Profil gegeben durch „empirische Forschung“ wie die Austellung „savoir – faire“ aktuell belegt. Ob man dieses Profil ausgerechnet jetzt, da die Pfahlbauforschung Aufwind erhält, durch die Umlagerung ins Museum Neuhaus abwerten will, muss nochmals diskutiert werden. Nicht wegen der hängigen Einsprachen, sondern wegen der Unesco…. (azw)

 

Erklärung: Wer sich wundert, warum die Kunstkritikerin auf einmal über die Pfahlbauer schreibt, der findet die Erklärung unter dem Link „Pfahlbauer“ auf dieser Site.