Ansprache anlässlich der Eröffnung der Ausstellung  mit Werken von Hanni Bay (1885-1978) im Von Rütte-Gut in Sutz-Lattrigen

 Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Hanni Bay

Es sind 42 Jahre her, dass Hanni Bay im hohen Alter von 93 Jahren in Bern verstarb. Bis weit in die 1970er-Jahre sass sie am liebsten an der Staffelei, draussen in der Natur, skizzierte was sie sah, öffnete dann den Malkasten und gab dem vibrierenden Feld bewegter Linien Lebendigkeit durch Farbe, mal mit dem feinen, dann wieder mit dem breiteren Pinsel. DA sein und gleichsam Natur erschaffen durch Malerei;  ich denke, das waren Glücksmomente in ihrem Leben.Hanni Bay ist 1885 geboren, ähnlich wie meine Grossmutter, ähnlich wie Ihre Urgrossmutter. Es war eine andere Zeit damals, gerade für Frauen. Anfänglich fand sie Unterstützung in der Familie als sie Malerin werden wollte. Machte sich doch gut für die Tochter eines Fabrikbesitzers. Doch spätestens als sie mit den Männern in die Berge zog, war es vorbei damit. Dabei hatte ihre  Mutter doch immer gesagt, sie hätte lieber einen Sohn gehabt.  Aber wehe, wenn sie sich nun benahm wie ein  Mann! Hanni Bay scherte aus, ein Leben lang! Sie setzte um, wovon andere Frauen ihrer Generation vielleicht träumten, aber sich nicht getrauten. Gratis war das nicht! Aber Frauen wie Hanni Bay – und andere – haben den Weg bereitet hin zur Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Das Aussergewöhnliche der Biographie von Hanni Bay hat dazu geführt, dass man  mit hohen Respekt von ihr sprach und spricht – auch wenn das heute, da sie nur im Geist mit uns, vielleicht leichter ist  als zu ihren Lebzeiten, als das Wort „unangepasst“ auf ziemlich alle ihre Lebensbereiche zutraf. Dieser Respekt ihrer Persönlichkeit gegenüber hatte und hat zur Folge, dass die Auseinandersetzung mit ihrem künstlerischen Oeuvre – vor allem auch ihrem in den 1940er-Jahren einsetzenden, malerischen Spätwerk – immer etwas verkrampft ist. Der  Artikel  zu Hanni Bay im Schweizerischen Künstlerlexikon widmet ihm gerade mal drei Zeilen, obwohl ihre Bedeutung mit  drei Feldern markiert ist, was in etwa so viel heisst wie „von nationalem Interesse “.

Und wir befinden uns hier nicht  im Kunstmuseum Bern, sondern im Von Rütte-Gut in Sutz Lattrigen. Und der Sammler, der uns eine erstaunliche Vielfalt an Werken von Hanni Bay präsentiert, ist nicht ein „Guru“ der Schweizer Kunst, sondern einer, den vor rund 20 Jahren das „Fieber“ gepackt hat nachdem ihm  ein  – sehr schönes – Bild von Hanni Bay – das Meienrieder Loch zeigend – zum Kauf angeboten wurde und er sich plötzlich an die fremde und zugleich faszinierende ältere Frau erinnerte, die in seiner Kindheit zuweilen für mehrere Tage im „Pintli“ logierte und tagsüber mit ihren Mal-Utensilien auszog und abends mit mindestens einer bemalten Leinwand zurückkehrte.

Was wir indes – da bin ich gewiss mit Ihnen im Einklang – hier und heute als Glücksfall erleben – ich glaube nicht, dass es anderswo eine ähnlich breit ausgefächerte Sammlung an Werken von Hanni Bay gibt – dieser Glücksfall hat auch eine  – wie soll ich sagen – „tragische“ Seite. Sie hängt mit den „drei Zeilen“ zusammen.

Lassen Sie mich ein ganz klein wenig ausholen. Als Hanni Bay in den 1910er-Jahren gleichsam unerlaubterweise mit dem Alpen Club zu Berge ging, waren da auch Künstler mit dabei, deren Namen wie selbstverständlich zur Schweizer Kunstgeschichte gehören – Otto Morach, Arnold Brügger, Johannes Itten. Die wenigen frühen Leinwand-Bilder von Hanni Bay, die es gibt – ich kenne sie nur aus Abbildungen – deuten in ihrer starken Vereinfachung der Formen und ihrer klaren Form-Farbgebung darauf hin, dass sie sehr wohl um die künstlerischen Recherchen dieser Herren respektive der sogenannten „Moderne“ wusste. Dass sie diesen Weg selbst später nicht weiter ging, hängt – wie immer in ihrem Fall – mit ihrer Biographie zusammen, aber auch mit der Zeitgeschichte.

Als Hanni Bays Ehe mit Albert Hitz 1925 geschieden wurde  – der Advokat der Arbeiterbewegung in Zürich hatte sich eine Frau angelacht, die mehr seiner Vorstellung von Ehe-Frau entsprach – brach für die junge Frau mit ihren drei Mädchen  zwischen 8 und 12 Jahren zunächst eine Welt zusammen, doch hatte sie sich als Illustratorin bereits ein Netzwerk von Verbindungen geschaffen, sodass sie sich fortan als Bild-Journalistin und nun auch vermehrt als Porträtistin, über Wasser halten konnte.  Von ihrer Familie war kaum mit Geld zu rechnen, denn erstens war sie eine Abtrünnige und zweitens ging die Belper Tuchfabrik 1927 in Konkurs.

Nun muss man zwingend einflechten – und sie werden es mir nach ihrem Rundgang durch die Ausstellung bestätigen – Hanni Bays figürliche Zeichnungen, zum Teil ergänzt mir Pastellkreide, zum Teil auch Gravuren, sind von herausragender Qualität. Angesichts ihrer vielen Aufgaben, hatte sie nie viel Zeit, also musste sie blitzartig wahrnehmen, kombinieren, charakterisieren und sogleich aufs Papier übertragen.

Sie tat das nicht nur mit Bravour, sondern – gegeben durch die Geschwindigkeit – mit einer Mischung aus Sicherheit und Spontaneität,  die ihresgleichen sucht und mit welchen sie den Moment, die Zeit, die Eile gleichsam festzuhalten vermag. Da ist ihre Bedeutung als Künstlerin schon gesetzt.

Die Zeichnungen stehen indes nicht im Mittelpunkt dieser Ausstellung, auch wenn sie wichtig sind, um sich ein Gesamtbild zu machen.  Rudolf Käser ist primär Amateur der Landschaften von Hanni Bay, wobei – ich glaube ich habe das noch bei keinem anderen Kunstsammler zuvor beobachtet – ihm immer auch der exakte Standort  der Malerin wichtig ist; in seinem Bildverzeichnis sind fast immer die Koordinaten von Staffelei und Klappstuhl vermerkt, aber vielleicht ist das eine „Nebenwirkung“ der heutigen Möglichkeiten von Google Earth! So man denn mit diesem Tool umzugehen weiss!

Wenden wir uns also den Landschaften zu. Obwohl noch mitten im 2. Weltkrieg, bildet  das Jahr 1942 eine Zäsur im Leben von Hanni Bay. Ihre Töchter sind nun flügge und sie darf sich mit Fug und Recht sagen: Jetzt bin ICH dran. Sie zieht nicht zuletzt aus pekuniären Gründen – Steffi Göber wird in ihrem Vortrag  vom 19. Februar davon erzählen – in ihre Heimatstadt Bern zurück. Mehr als eine sehr, sehr bescheidene Unterkunft liegt finanziell nicht drin. Doch viel wichtiger ist ihr, dass sie sich nun endlich dem Malen widmen kann. Und sie tut das fortan mit all Ihrer Leidenschaft.  Wir sehen es aus ihren Bildern rund um uns herum.

Aber: Hanni Bay hat sich bereits in den 1930er-Jahren von den zaghaften Schritten in Richtung Moderne zurückgezogen. So wie es in dieser Zeit, angesichts der Entwicklungen in Deutschland, in der Schweizer Politik ebenso wie in der Schweizer Kunst (Stichwort: Reduit) ganz allgemein üblich war.

Das heisst ihre Landschaften aus den 1930er-Jahren, von denen es einige wenige – die Produktion war ja klein – in der Ausstellung hier gibt, standen in ihrem nach-impressionistischen Stil  in Einklang mit dem, was im Kunstbetrieb vorherrschend war. Künstler wie Max Bill & Co. arbeiteten damals im Untergrund. Doch nach dem Krieg wendete sich das Blatt, man schüttelte ab, was vorher war.

Hanni Bay kümmerte sich schon lange nicht mehr um den Kunstbetrieb und hatte überhaupt keine Absicht, sich nun neuen Tendenzen zuzuwenden. Man darf nicht vergessen: Hanni Bay ist keine junge Künstlerin, sie ist 1942 bereits 57 Jahre alt und beginnt jetzt – mit dem Rucksack ihrer Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Bern, in München, bei Cuno Amiet auf der Oschwand, an der Académie Ranson in Paris. Das hat die Konsequenz, dass ihr Hauptwerk, das zugleich ein Alterswerk ist – dem sturen Lauf der kunstgeschichtlichen Stile folgend – als verspätet betrachtet wird. Die eingangs erwähnten „drei Zeilen“ im Künstlerlexikon sind Zeugnis davon. Umsomehr als der Rückblick das „verspätet“ verdoppelt, denn so richtig zur Kenntnis nimmt ihr Schaffen in den 1950er/60er-Jahren nur ein kleiner Kreis. Sie hetzt ja nicht von Ausstellung zu Ausstellung. Viel lieber malt sie: Im Berner Oberland, in der Innerschweiz, im Tessin, in Paris (!), aber auch im Meienried, im Rebgebiet entlang des Bielersees, mit Blick auf die Petersinsel und/oder den Jolimont.  Am liebsten war ihr die Frühlingszeit, wenn das Grün der Wiesen, Bäume und Büsche so richtig saftig war, aber sie malte auch im Winter – man sieht es an den Farben – , sie malte eigentlich wann immer die klimatischen Bedingungen ein Arbeiten im Freien zuliessen. Und zwar – nur in Bezug auf die Leinwandbilder! –  mit wenigen Ausnahmen (etwa einem Blumenstrauss) fast immer draussen. Sie wollte die Natur an ihrem eigenen Körper spüren, sie wollte sehen und malen gleichzeitig. Nicht: Sich erinnern an….sondern das Hier, Jetzt, So umsetzen.

Nur im November/Dezember – da war anderes angesagt. Noch immer erreichten sie Porträt-Aufträge, speziell vor Weihnachten. Damit konnte man Geld verdienen – also unterzog sie sich der – notabene anstrengenden! –  Pflicht, auch wenn sie sich in Briefen an ihre Töchter zuweilen reichlich sarkastisch dazu äussert.

Als Hanni Bay 1978 starb hinterliess sie einen grossen Nachlass – sie veranstaltete ja kaum Ausstellungen, wo ihre Bilder hätten verkauft werden können. Dem schweizerischen Erbrecht folgend ging der Nachlass an die drei Töchter und gelangte auf Auktionen und später auch Online-Verkaufsplattformen auf den Markt.

Und zwar stetig – das heisst, sie wurde nie eigentlich vergessen. Das ist nicht zuletzt dem Buch zu verdanken, das die Kunsthistorikerin Marie-Louise Schaller 1985 – das ist nur 7 Jahre nach ihrem Tod –  nach umfangreichen Recherchen zu Leben und Werk von Hanni Bay im Benteli-Verlag herausgab. Meine Ansprache von heute abend wäre nicht möglich ohne ihre fundierte Aufarbeitung, somit sei  ihr hier an dieser Stelle ein virtueller Dank übermittelt.

Dank diesem (leider vergriffenen) Buch – dessen Erscheinen verbunden war mit einer Ausstellung im Alpinen Museum in Bern – war Hanni Bay nun als Künstlerin „greifbar“. Das verhinderte freilich nicht, dass ihr Schaffen auf dem Kunstmarkt denselben Weg ging wie unzählige Werke vergleichbarer Schweizer Künstler und Künstlerinnen. Das heisst die Preise fielen ins – fast ist man versucht zu sagen – ins Bodenlose. Wenn man heutzutage, zum Beispiel an einer Auktions-Vorbesichtigung bei Dobiaschofsky in Bern, sieht, zu welchen Preisen Werke  von uns allen wichtigen Berner Künstlerinnen und Künstlern angeboten werden, dann ist man den Tränen nahe. Wie ist eine solche Herabstufung möglich?

Oder fragen wir anders: Wieso gibt es nicht mehr Sammler wie Rudolf Käser? – Eine Antwort kann ich hier nicht geben, wohl aber die „tragische“ Seite und den Glücksfall einander gegenüberstellen, wie eingangs erwähnt. Denn die relativ tiefen Preise machen es für Kunstinteresse aus breiten Kreisen – also nicht nur der Hochfinanz – möglich, eine künstlerisch wertvolle Sammlung zusammenzustellen. Es gibt ähnliche Beispiel, auch aus der Region hier – genannt seien zum Beispiel Sammlungen zu Jan Pieter Terwey, der lange Jahre in Dotzigen wohnte, oder zu Otto Clénin, dem nicht zu unterschätzenden „Helgelimaler“ aus Ligerz.

Feiern wir heute Abend also den „Glücksfall“ und freuen uns über die grosse Zahl von Werken von Hanni Bay. Schauen wir längere Zeit mit kritischem Blick in die Runde, gehen auf und ab und vergleichen und denken, so fällt uns mehreres auf. So zum einen auf wie vielen Bildern Wasser  – ein Fluss, ein Bach, ein See, ein Weiher oder auch nur ein „Loch“ – eine wichtige Rolle spielt. Wasser markiert fast immer eine Horizontale. Zum anderen erkennen wir mit Leichtigkeit die Bedeutung der Berge – sei es das Stockhorn, Eiger, Mönch und Jungfrau und viele andere mehr, einzeln oder als Bergkette, verdeutlicht oder eher nur Hintergrund. Berge markieren immer eine Erhebung, etwas Aufstrebendes, eine Vertikale.

In symbol-orientierten psychologischen Essays – auch bei C.G. Jung –  wird der Berg in der Regel dem Männlichen  zugeordnet, das Wasser jedoch dem Weiblichen. Wie wir sehen, bilden die beiden Symboliken in den Werken von Hanni Bay eine wichtige Rolle, was uns angesichts der Persönlichkeit der Malerin eigentlich richtig erscheint.

Der kritische Blick, den ich erwähnte, kann sich auch auf die Malerei selbst konzentrieren. Und wir werden wohl erkennen, dass es qualitative Unterschiede gibt, dass es Bilder gibt, bei denen wir die Künstlerin gerne nochmals zurückschickten an den Standort und ihr zurufen möchten: Halt, nicht so schnell zufrieden sein, nochmals hinschauen, etwas mehr Klarheit und Struktur hineinbringen, aber wer weiss, vielleicht war es  ja schon 16 oder 17 Uhr und sie musste nach Hause, mit Sack und Pack.

Es gibt kein Oeuvre ohne qualitative Unterschiede und bei der lebens-intensiven Hanni Bay ist es sogar Ausdruck ihrer Menschlichkeit und das mag ich sehr und darum ist mir auch das sogenannt „verspätet“ in diesem Fall egal und ein Anliegen Rudolf Käser für sein Engagement zugunsten von Hanni Bay zu danken.

Meinerseits danke ich Ihnen fürs Zuhören.