Karin Isler -– Im Innern der Fotografie
Bericht nach dem Artist-in-Residence-Aufenthalt in der Casa Sciaredo in Barbengo/TI im Sommer 2020
Auch einsehbar auf www.amici-sciaredo.ch
Vor gut 20 Jahren baute die Basler Künstlerin Karin Isler (*1961) ihre erste raumgreifende Camera Obscura, nachdem sie vorher schon mit Lochkameras experimentiert hatte. Die Camera Obscura als Erweiterung fotografischer Möglichkeiten war damals im Gespräch; man denke etwa an Cécile Wick, an Andrea Good u.a.m. Erstaunlicherweise ist die Faszination aber nicht für alle Kunstschaffenden dieselbe. Für Karin Isler könnte es die Möglichkeit sein sich in dem mit Kartonwänden verdunkelten Raum gleichsam IN der Kamera zu befinden und gleichzeitig durch das berühmte «Loch» den Widerschein der Aussenwelt zu sehen – auf dem Kopf stehend. Man stellt sich vor, dass die Stille da drin grenzenlos sein muss, als wäre man mit wachen Sinnen im eigenen Körper. Doch die Künstlerin erliegt dem betörenden Moment nicht und installiert ruhig ihre handelsübliche Lochkamera, die nun während Tagen auf dem Stativ, das Sichtfeld auf dem eingebauten Film festhalten wird.
Es geht der Künstlerin also nicht einfach um die Erweiterung der Fotografie, sondern um die Erfahrung der Umkehrung von Aussen und Innen und in gewissem Sinn auch von Himmel und Erde, von oben und unten.
Der erste so «fotografierte» Raum, den sie in ihrem Werkverzeichnis aufführt, ist das Atelier in der Cité nationale in Paris, nachdem sie zuvor schon in Nairs (GR) eine erste Version gebaut hatte. Das Atelier in der französischen Metropole hatte sie von der Stadt Basel für 2000/01 als Stipendium zugesprochen erhalten.
Je nach Positionierung und Grösse des «Lochs», der Intensität des einfallenden Lichtes sowie des variablen Standortes der Lochkamera entstanden im abgedunkelten Raum verschiedene Bildsituationen. Auf einer Aufnahme sieht man zum Beispiel den Arbeitstisch und dahinter respektive darüber das Upsidedown der Häusersilhouette vis-à-vis des Atelierhauses in Paris. Auf einem anderen ist im Vordergrund das Bett mit dem sicherlich absichtlich zerknautschten Duvet erkennbar. Andere «Artists in Residence» in der Cité waren begeistert und so verwandelte sie auch die Ateliers des Berner Kulturanimators Marcs Blond und des Künstlerduos «Copa &Sordes» in Camera Obscuras.
Erst einige Zeit später fand die Idee der Camera Obscura ihre Fortsetzung, z.B. mit Bild-Situationen in der «Fabrik culture» in Hegenheim, wo Karin Isler seit langem ihr Kunst-Zuhause hat, oder bei einem Aufenthalt im Jura. 2019 gab ihr der Basler Kunsthistoriker und Publizist Simon Baur den Tipp, ihre Reihe doch im Atelierhaus in Sciaredo im Tessin fortzusetzen. Ohne genau zu wissen, auf was sie sich da einliess, bewarb sie sich um eine Residenz in dem einsam auf einem Felshügel stehenden, «gelben Haus» mit seiner ganz besonderen Geschichte. Es wäre ein Leichtes von der Lebensgeschichte der Erbauerin, der Winterthurer Künstlerin Georgette Klein (1893-1963) eine Brücke zu dem sich hinter Methodik und Bildgenese verbergenden Charakter von Camera Obscura-Aufnahmen wie sie Karin Isler realisiert, zu schlagen. Doch solche Gedanken machte sie Karin Isler (noch) nicht.
Karin Isler hatte das Glück, dass die Stiftung Sciaredo dem Verein der «Amici di Sciaredo» die Künstlerin als Stipendiatin für das Jahr 2020 vorschlug, was dieser gerne aufnahm, sicher nicht zuletzt, weil ihr Projekt – im Gegensatz zu jenem vieler anderer Kulturschaffender – nicht auf die «Natur» in einem erweiterten Sinn fokussierte, sondern auf die Innenräume des Hauses. So wurde das Resultat von Karin Islers Camera Obscura-Experimenten letztlich auch für die «Kunst-Geschichte» des Hauses zum Glücksfall.
Es war der Künstlerin von Anfang an klar: Für sie eigneten sich die drei Räume im Obergeschoss – das grosse und die zwei kleinen Schlafzimmer – deren Fenster gen Osten, Süden, Westen ausgerichtet waren. Insbesondere das grosse Schlafzimmer mit Fenstern in alle Richtungen bot ihr reiche Möglichkeiten bezüglich Tag und Nacht, Morgen- und Abendlicht, Sonne, Regen und mehr. So farbig wie nie zuvor begannen sich die Innenwelten abzuzeichnen und die sich scheinbar der Erde zuwendenden Bäume und Berge im Süden einzuschieben. Auch das die Atmosphäre bestimmende Orange des Morgenlichtes und das Blau des Abends hielt sie ausgehend von den östlich respektive westlich gelegenen kleinen Schlafzimmern in einmaliger Art und Weise fest.
Es steht ausser Zweifel, dass die Camera Obscura Bilder von Karin Isler einen neuen Blick auf und in die Casa Sciaredo darstellen.
DOCH: Karin Isler auf Arbeiten mit der Camera Obscura reduzieren, hiesse wesentliche Teile ihres Schaffens ausklammern. Fotos mit der Lochkamera in der Natur bilden zum Beispiel einen weiteren Strang, der auch in Sciaredo reich zum Zug kam und bereits die Basis bilden für den nächsten Aufenthalt der Künstlerin in Sciaredo, im Frühjahr 2023.
Die Besonderheit im Umgang mit einer Lochkamera sind ihr stecknadelgrosses Loch ohne Linse, die dadurch erzeugte Unschärfe sowie die Belichtungseffekte, die von den jeweils aktuellen Lichtverhältnisse abhängen, welche das Motiv in verschiedenste Farbstimmungen (oft durchsetzt mit den Spektralfarben) tauchen. Durch die Wahl des Ausschnittes in der Bearbeitungsphase am Computer lässt sich zusätzlich mit dem «Weltkugel»-Format spielen und überraschende Landschaften entstehen.
Im Schaffen von Karin Isler spielt neben der Fotografie seit jeher auch die Malerei eine wichtige Rolle, stets darauf ausgerichtet dem Motiv – meist der Landschaft – durch einen Blickwechsel, eine Umkehrung, einen methodischen «Trick» eine überraschende Erscheinung zu geben, zum Beispiel durch die Umsetzung der Lochkamera-Fotografien in Malerei. Nach Sciaredo 2023 wird zweifellos mehr davon zu erzählen sein.
Annelise Zwez April 2021