Die monatlichen Newsletter auf der Website von Annelise Zwez im Jahre 2020. Angemerkt sei, dass auf keine Ausstellungen hingewiesen wird, die zuvor bereits auf Facebook besprochen wurden (vgl. separaten Text mit dem Titel Facebook-Kommentare 2020)

 

Newsletter Januar 2020

Ich habe einige Jahresausstellungen gesehen – konkret: Biel, Langenthal, Thun, Interlaken, Bern Kunsthalle, Bern Stadtgalerie, Olten, Aarau. Nicht die Regionale im Raum Basel/Mulhouse und auch Luzern nicht. Mit Ausnahme von Aarau war die Qualität überall in etwa gleich, sprich: Wichtig für die Region – das Salz des Kunstbetriebes! – aber kein Sprungbrett fürs internationale Parkett. Es stellt sich die Frage, warum die „Auswahl“ in Aarau seit Jahren die beste ist. Sicherlich ist das Zusammengehen von Kuratorium (mit Werkbeitrags-Vergabe) und Kunsthaus Ansporn. Die Folge: Der Generationenmix ist breit. Aber: die 1990er fehlen fast gänzlich; der Aargau ist kein Kunsthochschul-Kanton! Es kommt hinzu: Das Renommée der Aargauer Auswahl  ist Referenz.

Im Kanton Bern hingegen ist die „Cantonale“ sehr stark eine Plattform der Jungen, die Präsenz der HKB ist unübersehbar während viele ältere Berner KünstlerInnen fehlen. Eine positive Neuerung ist mir in der Solothurner Jahresausstellung in Olten aufgefallen. Hier hat der Kanton seine Ankäufe sogleich dem Museum geschenkt. „Toll, dass wir so z.B. in den Besitz der räumlich raffinierten Acryl-Arbeit von Andreas Hofer (*1956) kommen“, sagt die Oltner Sammlungs-Kuratorin Katja Herlach (siehe Abbildung). Könnte das Schule machen? In Olten bin ich aber auch dem für mich grössten „Ärgernis“ begegnet; dem stromfressenden, lärmenden „Solo-Objekt (Haarföhn)“ von Jan Hostettler (*1988) – zu haben für 3’500 Franken!

Früher hiessen sie alle „Weihnachtsausstellungen“, eine solche war für mich heuer aber eher die One-Man-Show des in Berlin lebenden Luzerner Künstlers Giacomo Santiago Rogado (*1979). Siehe Abbildung. Dem Mainstream des umwelt-politisch-kritischen Aktivismus in der aktuellen Kunst setzt er mit „Desire Path“ ungegenständliche Bildfindungen entgegen, die – allen Unkenrufen zum Trotz – die unerschöpflichen Möglichkeiten des Gestalterischen – des Bildes! – ins Zentrum rücken. Die handwerklich-technische Komplexität fasziniert, erschöpft sich aber nicht in sich selbst, sondern löst durch perspektivische „Räume“, „Spiralbewegungen“ und mehr einen Sog aus, der die Betrachtenden ins Bildgeschehen „einsaugt“, ohne dabei ins Pathetische abzugleiten. Es sind wohl die klaren, analytisch nachvollziehbaren Bildkonstruktionen zwischen flottierenden Farbverläufen und geometrischen Formelementen, welche die latente Gefahr bannen. Informativ ist hierzu die Installation mit den Licht-Projektionen von Achat-Flächen (Sigmar Polkes Glasfenster im Grossmünster in Zürich lassen grüssen!). Dennoch erlaube ich mir in Bezug auf Rogado von einem spirituellen Informel zu sprechen, das – seien wir ehrlich – der Seele gut tut!

Und noch eine Ausstellung muss ich erwähnen: Jene von Ruedi Blättler(* 1941) im Nidwaldner Museum Winkelriedhaus in Stans. In der Innerschweiz entstanden in den letzten 60 Jahren zahlreiche markante bildhauerische Oeuvres (von Ah, Sigrist, Odermatt, Egloff etc.) Doch nur eines ist so konsequent figürlich wie dasjenige von Rudolf Blättler. Selbst in seinen „schwarzen Räumen“ ging es letztlich um das Wachsen des Figürlichen, des Lebens, aus dem Dunkel der Erde. Lange war dieses „Leben“ ganz primär weiblich – ur-weiblich ­– und zwar radikal. Doch Mitte der 1990er-Jahre vereinen sich „Mann und Frau“,  verselbständigen sich, werden „Mann“, werden „Frau“ (nicht mehr nur Weib) und entwickeln sich weiter zur androgynen Vereinigung von gleichzeitig weiblichen wie männlichen Attributen. Das gibt es übrigens auch bei Miriam Cahn, aber diametral anders! Hier ist es der Plastiker, der sie in Gips formt, ihre materielle Körperlichkeit nicht auflöst, sondern im Gegenteil betont.  Siehe Abbildung. Ihre Haut ist nicht glatt, sondern gefurcht, von der Hand eines nahe den Bergen Aufgewachsenen geprägt. Sie laden nicht zur Berührung, verweigern sich ihr fast gar und halten uns so von einer undifferenzierten Pseudo-Nähe fern.

Die Nidwaldner Ausstellung zeigt Arbeiten der letzten 25 Jahre – im Aussenbereich, wo es ihnen „wohl“ zu sein scheint, im Pavillon als dynamischen Dreitakt im White Cube und im Museum im Dialog mit den Räumen und ihrer Geschichte.  Das kann zu spannenden Gegenüberstellungen führen, etwa im Altarraum, wo die Dreifaltigkeit des Christentums auf eines der „Dreiweiber“ von Rudolf Blättler stösst – Nähe und Abkehr vom Religiösen zugleich signalisierend.

 

Newsletter Februar 2020

Manchmal ist es gut, wenn man versprochen hat, man schaue sich eine Ausstellung an.  Dann fährt man nämlich hin, auch wenn „Memories of Textiles“ mit Arbeiten von Nesa Gschwend (*1959) in der Kunsthalle Ziegelhütte in Appenzell stattfindet ( ab Twann 31/2 Std. Zugfahrt!). Seit langen Jahren ist der Faden, das Gewebe, der Stoff, das Kleid in einem realen, körperlichen wie in einem historisch-philosophischen Sinn Inhalt der Kunst der im Aargau lebenden Rheintalerin. Mein erstes Highlight: Die von der Heinrich Gebert Kulturstiftung umgebaute alte Ziegelei zur vielfältig genutzten Kunsthalle. Der die Konstruktion und die Geschichte des Hauses offen zeigende Bau mit eingefügten modernen, lichterfüllten White Cubes für die Sonderausstellungen, ist schlicht grossartig. Warum war ich nie zuvor da? Nesa Gschwend wird mit den zwei für sie wichtigen Zweigen ihres Schaffens gezeigt. Zum einen sind da die „Living fabrics“, die aus einem gross angelegten sozio-kulturellen Hintergrund wachsen. Das sind frei hängende textile Wandarbeiten („Gatherings“), die an der Basis von Gruppen von Menschen (meist Frauen) in von Armut betroffenen Dörfern in Indien, später auch in anderen Ländern frei nach ihrem gusto aus Stoffresten genäht und dann von der Künstlerin zur Bild-Komposition gefügt wurden. (Es gibt dazu einen sehr schönen Film!). Wichtig ist die Mehrfach-Bedeutung als menschenverbindend, sozial und künstlerisch. Im grossen Saal mit einem riesigen Fenster zur Landschaft  präsentiert, können die Werke ihre Ausstrahlung voll zeigen und die älteren, zu hängenden Knäueln verbundenen Textilschnüre verweisen erlebnisnah auf die „Nabelschnur“ zwischen allen Menschen.

Dann aber Kontrast: Die Werke in den modernen,  im 2. und 3. Stock gelegenen Sälen im Anbau sind ganz Nesa Gschwends ureigenem Schaffen gewidmet. Dabei dominieren zwischen Gaze und Vlies gelegte „Zeichnungen“ aus Haaren und Fäden, die grossformatige Köpfe in gleichsam subkutaner Weise zeigen. Man meint Nervenbahnen, Blutbahnen, Hautfasern zu sehen und es braucht eine Weile bis man den eigenen inneren Widerstand aufgibt und die Aesthetik des fein Vernetzten, der in alle Richtungen schlängelnden Linien als UNSER kostbares Inneres erkennt und annimmt.  Siehe Abbildung. Nesa Gschwend geht unglaublich nahe an den Körper, zerlegt und öffnet ihn. Dass sie mit ihrem Werk in der zwinglianischen Deutschweiz, in der calvinistischen Romandie nicht nur auf Gegenliebe stösst, liegt auf der Hand und schält eine Mentalitätsverschiebung im Vergleich zur katholischen Ostschweiz resp. dem nahen Vorarlberg heraus, die man vielleicht so nie gedacht hat, aber auch in körpernahen Videos von Pipilotti Rist und vielleicht sogar im Werk von Loredana Sperini in feiner Form anklingt.  Dennoch kann man beobachten, dass die langjährige Konsequenz, mit welcher Nesa Gschwend ihr Schaffen vorantreibt, in den letzten Jahren gesamtschweizerisch auf mehr und mehr Respekt stösst. (Die Ausstellung, die von einem sehr schönen Katalog mit intelligenten Texten begleitet ist, dauert noch bis 20. März, am 25. April wird dann eine Ausstellung mit Werken von Emma Kunz und zeitgenössischen KünstlerInnen eröffnet – darüber später mehr!)

Wenn ich schon in der Ostschweiz war, wollte ich auch sehen, was denn da zur Zeit sonst noch gezeigt wird. Die Ausstellungen im Kunstmuseum St. Gallen haben mich nicht genügend elektrisiert, immer dieses Konzeptuelle, auf Form und Raum Konzentrierte, wo ich es doch eigentlich lieber etwas üppiger habe! Also fuhr ich nach Vaduz, wo es dem langjährigen Direktor des Kunstmuseums Liechtenstein, Friedemann Malsch, gelungen ist, alte Verbindungen zur Sammlung des Fürsten zu knüpfen und seine betont zeitgenössische Museumssammlung und jene mit Schwerpunkt 15tes bis 18tes/19tes Jahrhundert der „LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz-Vienna“ in Dialog zu bringen (ergänzt um Werke der Hilti Foundation und der Sammlung Batliner). Solche Dialoge können zuweilen verblüffend sein (wie kürzlich in Lausanne), hier ist aber die geschichtliche und künstlerische Distanz der Kulturen so gross, dass die Gegenüberstellungen oft etwas an den Haaren herbeigezogen wirken, wie etwa eine kantige Figur von Umberto Boccioni (1913) vor einer Gebirgslandschaft von Joos de Momper (um 1600). Vielleicht hängt es auch mit dem Profil der pointiert zeitgenössischen, hauseigenen Sammlung zusammen, die sehr auf Installationen, unerwartete Materialien und Konstellationen ausgerichtet ist. Nicht einmal Pipilotti Rists Schminktischchen und ein barockes Stillleben von Abraham van Beyeren (17. Jh.) will recht funktionieren. Nichtsdestotrotz war der weite Fächer möglicher Kunstsammlungen zwischen einst und jetzt hochinteressant (Ausstellung zu Ende).

 

Newsletter Website März 2020

Die Versammlung der alten Damen könnte man die aktuelle Museums-Ausstellungs-Landschaft in der Schweiz nennen: Lee Krasner (1908 – 1984) im Zentrum Paul Klee, Teruko Yokoi (96) im Kunstmuseum Bern, Marion Baruch (91) im Kunstmuseum Luzern, Erica Pedretti  (90) im Kunstmuseum Chur. Was sie verbindet: Es sind Ausstellungen, die schon lange fällig waren, aber erst  jetzt im Zug der jüngsten Frauenbewegung realisiert wurden. Auch jüngere Frauen finden Raum, zum Beispiel Kapwani Kiwanga (*1978 in Kanada, lebt in Paris) im Centre Pasquart in Biel, derweil Kara Walker (*1969 Kalifornien) demnächst in Basel erwartet wird. Sie haben beide den Bonus der Dunkelhäutigkeit . Und die Männer? Sind auch da und das ist gut. Begegnet bin ich gerade Léopold Rabus (*1977 Neuenburg) oder auch Daniel Zimmermann (*1966 in Thun, lebt in Wien), von Olafur Elisasson und dem Duo Gilbert&George gar nicht zu reden.

Bei so vielen, nachhaltigen Ausstellungen, kann ich nicht alle eingehend besprechen. Ich mache darum eine Tour mit je ein paar Sätzen. Eine Überraschung war die auf die 1950er- bis 1970er-Jahre konzentrierte Retrospektive der seit ca. 1960 in Bern lebenden Japanerin Teruko Yokoi (s. Abbildung, Werk von 1958 links). Die seit den 1990ern vorherrschenden Mohnblumen hatten wir KunstkritikerInnen oft als „zu dekorativ“ beiseite geschoben und staunten im Vorfeld der Eröffnung ob Nina Zimmers Enthusiasmus. Doch nun ist klar: Sie hatte recht: In den Wanderjahren in New York und Paris war Yokoi am Puls der Zeit, schuf wunderbare Bild-Landschaften zwischen westlicher Kunstentwicklung und japanisch-naturhaftem Empfinden!  Wieso wussten wir das alle nicht? Weil keine Berner Institution sie zeigte! Und so blieb es bei den (notabene erfolgreichen!) Ausstellungen in der Galerie Kornfeld. – Zumindest für die Ü70er-Generation keine Überraschung war die Retrospektive von Lee Krasner im ZPK (siehe Abbildung  eines Werkes von 1958 rechts oben), denn die Feministinnen der ersten Stunden hatten bei der Künstlerpaar-Ausstellung Jackson Pollock/Lee Krasner 1982 ihre Bedeutung als Künstlerin sehr wohl registriert. Dennoch ist der bildnerische Blick auf das Gesamtoeuvre beeindruckend und bereichernd. Insbesondere die Grossformate, die nach dem Tod Pollocks in dessen einstigem Atelier entstanden, sind für uns EuropäerInnen ein Erlebnis: Tanzende Farb-Räume!

Neuland waren für mich Leben und Werk von Marion Baruch (*1919). Für die in der Lombardei lebende Künstlerin ist die Corona-Virus bedingte Reise-Unfreiheit eine bittere Pille. Dennoch konnte sie zur Eröffnung anreisen und auch bei dem Künstlerinnen-Gespräch mit dabei sein (wenn auch nur durch ihre Präsenz; direkter Austausch ist nur noch in kleinstem Rahmen möglich, gleichwohl war ihr Da-Sein bereichernd).  Das Gespräch führten Fanni Fetzer (Direktorin Luzern) und Noah Stolz (Mitarbeiter von M.B.). Entgegen der von der Einladungskarte geschürten Erwartung, wird schnell klar: Baruch war nie eine Textilkünstlerin, sondern eine Künstlerin, die sich einer Pionierin gleich verschiedenster Medien bediente und dabei die Phänomene des Design, der Wirtschaft, des Kunstbetriebs kritisch beleuchtete. Das macht ihr Werk unglaublich zeitgenössisch.  Sie arbeitete dabei nicht abstrakt, distanziert, theoretisch, sondern immer menschbezogen. Siehe Abbildung. Das zeigt sich nicht nur in 1960er-Jahr Arbeiten, wo sie einfachst genähte Kleider performativ zu Räumen für den Körper machte, sondern auch – in den 1980ern – in uniformen Hemden für Messe-Auftritte.  Die Werke, die sichd bleibend einschreiben, sinder aber die  scheinbar aus Rest-Stoffen komponierten Werke  und Raum-Installationen, denn diese Abfall-Stoffe einer Kleider-Produktionsstätte sind mit geschütztem Design verbunden. Weil die Leerstellen der nun als Bildkompositionen gezeigten  Stoff-Fetzen die Formen der daraus genähten Kleider verraten. Dieses Potential muss man erst mal erkennen!

Keine Überraschung und doch eine Überraschung ist die Retrospektive von Erica Pedretti in Chur. Wer die erste Station im Neuen Museum in Biel gesehen hatte, dachte eigentlich: Diese Ausstellung ist nicht zu toppen. Doch jetzt entwirft Chur ein neues, anderes Bild, das mindestens ebenso begeistert. Zeichnete sich Biel durch den intimen Charakter der Räume, verbunden mit einer umfassenden, ebenso hängende Objekte wie Wandarbeiten ausgerichteten Inszenierung aus, so stehen in Chur in einer von Katalin Deér und  Lukas Frank entworfenen Raum-Inszenierung nun etwas einseitig die Objekte – hängend und stehend – im Vordergrund, was diesen eine Luftigkeit vermittelt, die Freude macht. Schön, dass Erica Pedretti sie noch erleben durfte. Nicht vergessen sei an dieser Stelle, dass die Basis-Arbeit 2016/18 von Dolores Denaro geleistet wurde, welche mit Akribie und Hartnäckigkeit ein Werkverzeichnis des bildnerischen Oeuvres von Erica Pedretti erarbeitete (tatkräftig unterstützt von Martigna Pedretti) und die Monographie herausgab.

 

Interessant ist der gedankliche und werkimmanente Switch zur Ausstellung von Kapwani Kiwanga. Auch wenn es in der zeitgenössischen Kunst viele Facetten gibt, so ist doch die visualisierte Forschungsarbeit von Kiwanga typisch. Nicht eine formale Werk-Einheit steht im Vordergrund, sondern ein Gedanke, eine Vorgehensweise. In diesem Fall u.a. die Verwendung von Farben und Materialien im Kontext ihrer Wirkung auf den Menschen und/oder ihren historischen Zusammenhängen. So geht  die Installation „pink-blue“ (2017) auf die Frage ein ob die blaue Leuchtfarbe in öffentlichen Toiletten tatsächlich einen Einfluss auf den Drogenkonsum hat respektive ob das in Arrestzellen eingesetzte Pink wirklich eine beruhigende Wirkung hat und wie diese Bestimmungen unsere Wahrnehmung manipulieren. In einer anderen Arbeit geht Kiwanga der Geschichte der Produktion von Sisal in Tansania nach und in einer weiteren gibt sie dem einstigen Erlass in Südafrika, dass Schwarze des nachts immer mit einer Kerze unterwegs zu sein hatten eine zurückhaltende, an der Grenze zwischen Abstraktion und Narrativ eine skulpturale Form. Die Forschungsqualität, welche den Arbeiten zugrunde liegt, ist beeindruckend. Abbildung: „Jalousie“, 2018 (mit doppelseitigen Spiegeln).

In grösstmöglicher Opposition zu Kiwanga steht das malerisch-erzählerische Werk des gleichaltrigen Neuenburger Künstlers Leopold Rabus. Die Bilderflut unserer Zeit hat in der Kunst die Möglichkeit erzählerischer Arbeiten zurückgegeben. Im Fall von Rabus sind das Bilder in einer (scheinbar) altmeisterlichen Art und mit Themen, die aus einer vertraut-fremden, zwischen heute und früher pendelnden Welt stammen. Oft haben sie eine schauerliche Note wie etwa „Le chasseur“, das in einem alten Gartenhäuschen (?) eine halb mumifizierte Katze im Luftsprung zeigt, die von Vögeln attackiert wird, oder die Schrebergartentoilette mit eingepflanztem Menschenschädel. Gut gibt es auch Beschaulicheres wie einen winterlichen Garten mit Futter suchenden Amseln. Alle Bilder sind grossformatig, laden die BetrachterInnen zum eintreten. Das ist sicher mit ein Grund, dass sie sich nachhaltig ins Gedächtnis einschreiben.

Die Ausstellung steht mit Dialog mit Werken aus der Sammlung des Neuenburger Museums. Rabus wählte einer Hommage gleich Landschaftsmalerei aus dem 19. und 20. Jahrhundert und zaubert deren Duft mit einem Bogen aus Heu ins Museum.

Näher bei Kiwanga, aber sehr viel direkter in seiner Demarche ist das Schaffen des Ex-Bielers Daniel Zimmermann. Felicity Lunn hat ihn zum 20-Jahr-Jubiläum des Pasquart-Neubaus eingeladen, weil er im Vorfeld des Baubeginns (1998) den Grundriss mit Dachlatten sichtbar machte, was durch 3D-Viewer heute noch eingesehen werden kann. Zentral ist aber schliesslich weder diese noch andere ältere  Arbeiten sondern die neueste, in der Salle Poma installierte, 9teilige Video-Installation, welche die Absurdität unserer globalen RundumdieWelt-Transporte zum Thema hat. Ein in Dachlatten zersägter und verpackter Baumstamm wird von Wien ins Amazonas-Gebiet transportiert und dann wieder zurück geschickt. Nur Leerlauf – nichts weiter. Das wirkt! – Die Arbeit erinnert natürlich an com.com’s Projekt „Bloch“, bei dem ebenfalls ein Baumstamm um die Welt reist, aber im Dienste kultur- und völkerverbindender Tradition. Same, same but different!

Wow – jetzt sind es 3 Seiten geworden!

 

Newsletter April 2020

Es ist  irgendwie typisch, dass ich vollkommen vergass, einen Newsletter April für meine Website zu verfassen. Agenda….was ist das in diesen Corona-Zeiten? Nur Gestrichenes! ABER: Das heisst ja nicht, die Kunst ganz ausblenden. Ich habe mich z.B. wieder einmal mit der eigenen Website auseinandergesetzt, nicht zuletzt weil ich hier mit ein klein bisschen Stolz kund tun darf, dass sie kürzlich von der Nationalbibliothek für das Webarchiv Schweiz ausgewählt wurde. Das heisst, dass eine Suchmaschine sie in Abständen aufruft und unter https://www.e-helvetica.nb.admin.ch  archiviert und öffentlich zugänglich macht.

Das gibt mir Ansporn, das schiergar unerschöpfliche Volumen an Texten zu vervollständigen, denn noch immer kommt es vor, dass eigentlich wichtige Texte fehlen (eben bei Markus Raetz festgestellt) oder dass ein Software-Update Texte schwer auffindbar macht (immer noch ü und ue!!)  während viele kleine Artikel – die auch dahin gehören – längst geladen sind. Die kleinen sind darum wichtig, weil sie mit der romantischen Vorstellung aufräumen, dass man als Kunstkritikerin nur über Highlights des Kunstbetriebs schreibt. Natürlich wurde auch ich im Laufe der Zeit wählerischer, aber das Lokale und Regionale gehört ebenso dazu.

Es macht auch klar, dass man als Kritikerin abhängig ist von dem, was die Museen, Galerien und Off-Spaces anbieten. Und damit wird auch aufgeräumt mit der Vorstellung, dass der Kunstbetrieb immer am Puls der Zeit ist. Nein – da gibt es immer Gleichzeitigke

iten – vorgestern, gestern und heute treffen sich. So war zum Beispiel in den 1970er-Jahren nicht primär von Outsider-Kunst, erstem kritischem Umweltdenken, feministischem Aufbegehren etc. die Rede, oh nein, sondern ganz zentral auch von künstlerischen Werten der 1940er, 50er- und 60er-Jahre, meist gekoppelt an die Generation der Künstler (erst ganz selten Künstlerinnen).

Wenn ich als Beispiel das Jahr 1977 herausgreife, da schrieb ich  zwar (damals noch sehr stark auf den Aargau fixiert) über eine von Studenten der Uni Basel erarbeitete Ausstellung unter dem Titel „Segantini kontrovers“ im Aargauer Kunsthaus, die Zeitgeist atmete, aber ansonsten findet man da z.B. ein Porträt von Virginia Buhofer (*1932), deren Stil man – sehr vereinfacht! – als polikaoff-nahe bezeichnen könnte.  Siehe Abbildung, Werk 1974. Da ist auch ein sehr positiver Text zu Willy Suter (1918-2002), der als Professor an der Académie des Beaux Arts in Genf zahlreiche Deutschschweizer Künstler mitprägte, dessen expressiv-konstruktiver, gegenständlicher Malstil aber keineswegs die 70er-Jahre spiegelte.

Die jungen Künstler? – Sie waren – zumindest im Aargau noch kaum in den Galerien – selbst die Künstler des Aarauer „Ziegelrain“ (Matter, Rothacher, Kielholz, Herzog u.a.), stellten damals in Zürich aus, nicht im Aargau. Auch solche Kunst-Landschaften sind anhand der Website ablesbar.

Immerhin habe ich bei der Durchsicht  von 1977 auch einen Moment gelacht: Da gab es im Aargauer Kunsthaus eine Doppelausstellung Dieter Roth/Richard Hamilton. Die Reihe der auf Dackelhöhe gehängten „Wurstbilder“ im grossen Saal haben sich bleibend eingeschrieben, während ich z.B. die durchaus den Puls der Zeit spiegelnden Hinterglas-Malereien von Venja Iselin (*1933), die ich als beglückend empfunden hatte, später vergass, weil ich der Basler Künstlerin nie mehr begegnet bin.

Anders sieht es dann in den 1980ern aus nachdem ich die Aargauer Grenzen gesprengt hatte. Zwar gibt es auch 1987 Texte zu Roland Guignard in Aarau, zu Hans Rudolf Roth in Lenzburg usw. aber im Vordergrund steht nun die Wiedereröffnung des Kunstmuseums St. Gallen, eine „Tentoonstelling“ in der Kunsthalle Zürich, Hans Schärer & Philipp Schibig im Kunsthaus Zug, Stefan Gritsch und Erich Brändle in Schaffhausen, der „Stille Nachmittag“ im Kunsthaus Zürich usw. Man kann das als autobiographisch bedingt bezeichnen, mehr als das zeigt es aber, welchen Stellenwert die Zeitungen in den 1980er-Jahren einer nationalen Berichterstattung über Kunst beimassen. Für uns Kunstkritikerinnen war das eines der besten Jahrzehnte!

Steigen Sie doch wieder einmal ins Archiv ein!!!

 

Website Newsletter Mai 2020

Mit Ausstellungen in München, London und Susch im Engadin (2019), Appenzell (2020) und Aarau (2021) erfährt das Werk der Aargauer Künstlerin und Heilerin Emma Kunz (1893-1973) grosse Beachtung.

Ich selbst habe die auf  der Basis einer mit dem Pendel erschauten und daraufhin aufgrund der  mathematischen Parameter ausgeloteten Zeichnungen bereits anlässlich ihrer Erstpräsentation Ende 1973 im Aargauer Kunsthaus kennengelernt und auch darüber geschrieben – noch sehr am Anfang meiner Laufbahn als Kunstkritikerin (ab Sommer 1972)! – „Outside“ wurde in dieser Zeit „Inside“ – nicht zuletzt aufgrund von Joseph Beuys Maxime, wonach alles Kunst ist, was mit bildnerischen Mitteln nach Erkenntnis sucht.

In diesem Kontext und aufgeladen von mystischen Interpretationen Harald Szeemanns wurde Emma Kunz’ Werk europaweit gezeigt. 1986 folgte die Gründung des Emma Kunz-Zentrums durch Anton Meier (1937–2017) in Würenlos, wo EK 1942 die hohe energetische Kraft des Muschelkalks entdeckt hatte und damit AM von Kinderlähmung heilte. Damals schrieb ich AM einen Brief und fragte ihn, ob er Interesse an einer Fachfrau für Führungen habe. Hatte er.

Bis gegen 1998 vermittelte ich Erwachsenen-Gruppen Inhalt, Entstehung und Bedeutung der Kunst von Emma Kunz und vertiefte dabei stetig meine eigene Kenntnis der Zeichnungen, die letztlich in einen längeren Text für die zweite Monographie mündete. Dabei vertiefte ich mich insbesondere in die mathematischen Multiplikationen, insbesondere der sehr häufig verwendeten Zahlen Drei und Vier (der Zahl der Wandlung und die Zahl des Menschen wie sie als 43 auch in den DNA-Molekülen enthalten sind) , blieb in meiner Gesamteinschätzung ihres Schaffens aber nahe am damaligen von Heiny Widmer (Leiter Aargauer Kunsthaus), Theo Kneubühler, Harald Szeemann u.a. geprägten Konsens, erweitert durch die Texte der ersten Monographie von Blanche Merz (Bilddeutungen/Bovis-Meter-Messungen), Thomas Ring (Astrologie) und Rudolf Haase (Harmonik).

Dass es irgendwann einer Neuinterpretation bedurfte ist unbestritten. Die Begleitpublikationen von München, London/Susch förderten indes nicht wirklich Neues zutage. Anders der Katalog zur Ausstellung „Zahl, Rhythmus, Wandlung – Emma Kunz und Gegenwartskunst“ in der Kunsthalle Ziegelhütte in Appenzell mit Texten von Régine Bonnefoit (Uni NE), Sandra Petrucchi (Uni NE), Dario Gamboni (Uni GE) und Roland Scotti (Leiter Kunsthalle). Der hat mich herausgefordert. Dass sich  Bonnefoit fast ausschliesslich auf das kleine Büchlein von EK von 1953 abstützt und diese didaktische Broschüre 1:1 setzt mit dem Werk von EK, liess mich erschauern. Zu oft schon wurde im Zusammenhang mit EK auf das rationale „Wort“  ohne Berücksichtigung intuitiven Wissens gesetzt, statt auf die Zeichnungen selbst. Die Intention der Anleitung zu ihrer „neuartigen Zeichnungsmethode“ war ein populärwissenschaftliches Vermitteln der Gestaltungstechnik ihrer geometrischen Konstellationen, nicht ihres ureigenen Werkes!

Bei Bonnefoits Hinweis, dass sie darin das Pendeln nicht erwähne, heisse möglicherweise, dass sie das gar nicht gemacht habe…gingen bei mir alle Ampeln auf rot, bis ich mir dann eingestand, dass da wirklich ein Schwachpunkt liegt. Auch ich war in meinen Interpretationen diesbezüglich immer relativ vage. Nie war die Funktion des Pendels in Relation zum konstruktiv-mathematischen Zeichnen mit Bleistift/Farbstift und Lineal wirklich klar.

Dario Gamboni gibt  vielleicht die richtigen Stichworte, wenn er vom Auspendeln der Schwerpunkte und Schwerlinien schreibt. Das würde dann – in Einklang mit meinen früheren Annäherungen – heissen, dass ihr das Pendeln in einem psychischen Zustand fernöstlicher Leere die Koordinaten und darin die Vorstellung der kristallinen Verteilung der Kräfte zwischen den Ebenen von Materie, Psyche, Energie und Spiritualität vermittelte, dass es danach in der Umsetzung aber um das ging, was EK immer mit den Begriffen von Mass, Zahl und Wandlung bezeichnete. Die von Anton Meier und anderen glaubwürdig vermittelte Aussage, dass sie eine Zeichnung immer in einem Arbeitsgang habe erstellen müssen, um nicht aus der Konzentration zwischen der inneren Vorstellung und der im Hier und Jetzt realen Entstehung der Zeichnung zu fallen, würde diesen Dialog von Pendeln und mathematischer Konstruktion gut umschreiben.

„Dialog“!!  – Das heisst, das Ziel war nicht ein abstraktes, geometrisches Ornament, sondern eine ganz spezifische mathematische Konstellation, welche auf die am Anfang stehende FRAGE von EK antwortet. Gamboni spricht in diesem Zusammenhang von einer an der Basis georteten Disharmonie des körperlichen Energiefeldes. Das finde ich sehr schön formuliert. Darum ist es mir – schon seit langem – unerklärlich, dass – auch im vorliegenden Buch – immer und immer wieder von „Ornamenten“ gesprochen wird. Es mag einige wenige Zeichnungen geben, die 100% harmonisch sind und damit in die Nähe von Mandalas kommen, aber 95% sind KEINE Ornamente. Man muss nur genau hinschauen, die Farbverläufe beobachten und zählen, zählen, zählen. Vielleicht könnte man die Abweichungen auch auspendeln, aber das übersteigt meine Fähigkeiten. Und dann muss man all die figürlichen Konstellationen in Betracht ziehen…… sorry, ich begreife diese oberflächliche Betrachtungsweise einfach nicht.

Katalog und Ausstellung fokussieren einerseits Emma Kunz, andererseits zahlreiche KünstlerInnen, die in ihrem Werk Zielsetzungen verfolgen, die ihrerseits mit dem Werk von EK in Dialog stehen. Ausgewählt haben sie Sandra Petrucchi, Roland Scotti und Régine Bonnefoit; es sind spannende Positionen! Da ich die Ausstellung realiter noch nicht gesehen habe, halte ich mich hier zurück, kann nur nicht umhin meiner heimlichen Freude  Ausdruck geben, dass einige aufgrund eines Textes Eingang in die Ausstellung fanden, den ich 1994 für die Kunstzeitschrift artis (Hallwag Verlag/Bern) verfasste, Miriam Beerli, George Steinmann, Bernhard Tagwerker zum Beispiel (s.u. Emma Kunz im Archiv der Website!) Mehr zur Ausstellung später. Abbildung: Werk von Emma Kunz aus Privatsammlung.

 

Newsletter Juni 2020

Endlich wieder ein „normaler“ Newsletter, eine Art Kurzberichterstattung über einige Ausstellungen, die ich in den letzten Wochen gesehen habe. Der erste Ausflug führte mich ins Kunstmuseum Bern, wo ich die grosse Ausstellung des ghanesischen Künstlers (*1944) noch nicht gesehen hatte;  ehrlich gesagt war sie – fälschlicherweise, wie ich nun weiss – zu Beginn auch nicht zuoberst auf meiner Prioritätenliste. Ich dachte – wie viele – ach, diese „Vorhänge“ aus Flaschendeckeln  kenne ich doch von der Biennale Venedig. Und dann die Überraschung: Da gibt es vor den Metallverschluss-Arbeiten ein holzbildhauerisches Werk von ebenbürtiger Qualität und ein zeichnerisches/druckgraphisches Oeuvre aus den 1970er/80er – ja sogar der 1960er – Jahren, das einen engagierten, kritischen, aber ebenso künstlerisch formbewussten Studenten der Kunsthochschule in Ghana zeigt. Und die frühen, der Natur nachempfundenen Hohl-Körper aus Ton…Meisterwerke!

Das Interessante ist wie es Anatsui gelingt, afrikanische Motiv-Traditionen in eine künstlerische Sprache umzusetzen, die ebenso seine Verwurzelung wie ein Wissen um die Weltsprache der Kunst aufzeigt. Und insofern ist uns sein Schaffen, sein Umgang mit der Kettensäge zum Beispiel, keineswegs fremd und ist doch ganz autonom, auch gepflegter als ein Baselitz oder in der Schweiz ein Josef Felix Müller in den 1980ern mit der Kettensäge umgingen. Alles in allem: Eine beeindruckende und nachhaltig wirkende Ausstellung; Gratulation an Kathleen Bühler, welche die ursprünglich vom verstorbenen Okwui Enwezor initiierte Ausstellung von München nach Bern brachte.

Ernüchternder war der Besuch der Kunsthalle Bern, wo Marc Chamille Chaimowicz (*1947) eine Ausstellung unter dem Titel «Dear Valerie…» eingerichtet hat. Meine Einschätzung ist dabei sehr subjektiv, denn gegen die von ihm praktizierte Verbindung von angewandter und konzeptueller Kunst zu einer Art kuratorischer Inszenierungs-Kunst habe ich eigentlich gar nichts einzuwenden. Es ist die inhärente Selbstinszenierung, verbunden mit der geradezu tänzerischen Hochstilisierung von allem, was er tut – und sei es auch nur einen Brief schreiben – die ich nicht mag. Da ist mir zu viel Luft und zu wenig Erde. Jede Arbeit zeigt er an verschiedenen Orten in wechselnden Kombinationen und lobpreist damit indirekt sein eigenes Tun. Jeder Kontakt mit Künstlern (vorwiegend Männern), KuratorInnen, Architekten, Sammlern usw. wird zum Ereignis, das letztlich ihn selbst in Wert setzt. Es mag sein, dass das vom ihm entworfene Berner Konzept, das Briefe des in London, aber meist in Hotels zwischen Wien, Paris und New York residierenden Künstlers mit einschliesst, seine oft geradezu devote, aber gleichzeitig das Gegenteil meinende Haltung gegenüber den Adressaten  besonders betont; mehr als Präsentationen, die ihn anonymer als Raum- und Objektgestalter zeigen. So aber fühlte ich mich als Betrachterin eher als Voyeurin in einem Theater, das mich nicht mit einschliesst und darum auch emotionell nicht berührt.

Meine Eindrücke von der Ausstellung Rebekka Steiger in Grenchen habe ich bereits auf Facebook ausgeführt.

Man weiss es: das akku (die Kunstplattform in Emmen in unmittelbarer Nähe zur Kunsthochschule Luzern) mit ihrem grosszügigen, offenen Hauptraum steckt in einer Finanzkrise. Das heisst aber keineswegs, dass 2020 nicht Spannendes zu sehen wäre. Die Kunsthistorikerin Patricia Bieder (Solothurn) hat ein Gastkuratoren-Programm zusammengestellt. Gestartet ist sie mit Agnes Barmettler, einer der Pionierinnen einer selbst-bewussten Kunst von Frauen in der Schweiz. Bieder hatte 2019 ein Buch zu Barmettler herausgegeben und konnte so aus dem Vollen schöpfen, was sich in der Präsentation und im Rahmenprogramm zeigte. Und sie fährt fort mit Malerei aus der Schweiz – diesmal generationenübergreifend, die bekannte Luzerner Künstlerin Marie-Theres Amici (*1943) dem überregional eher unbekannten Winterthurer Maler Thierry Perriard (*1978) gegenüberstellend. Der schöne Titel: „Bewegungen im Gewölk“ (ein Zitat von Amici) meint Veränderungen in einer von der Natur inspirierten Malerei, die bei Amici stark mit dem zeichnerischen Strich, bei Perriard stark mit der Farbe verbunden ist.

Perriard war für mich eine positiv  überraschende Neubegegnung, die indirekt aufzeigt, wie regional auch gute Kunst in den letzten 20 Jahren wieder geworden ist. Der starke Trend zur Internationalisierung der Kunstszene führt in der Schweiz auf nationaler Ebene zu einer teilweisen Marginalisierung der Kunstschaffenden aus dem eigenen Land. Da gälte es dringend, eine neue Balance zu finden.

Was die Kombination sinnvoll macht, ist, dass beide mit Naturstudien beginnen – Amici eher die Weite suchend, Perriard eher die Nähe – diese in der Arbeit auf Leinwand aber in etwas Autonomes verwandeln, das sich nicht mehr gegenständlich benennen lässt, aber gleichwohl die Atmosphäre, das Empfinden bestimmen.

Gesehen habe ich auch die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus Baselland mit Marlene Mc Carty (*1957 NY/BS), Stefan Karrer (*1981 BS), Stephan Oertli ( *1962 ZH/BS). Marlene Mc Carty sucht seit langem – vor allem zeichnerisch – nach einer Verschmelzung von Animalischem, Pflanzlichem und Menschlichem. Diesmal versuchte sie über Pflanzen, deren Wirkstoffe den Menschen heilen oder vergiften(Tollkirsche), die Natur direkt ins Museum zu bringen – aber wie fast alle dieser Versuche (es sei z.B. an Mirco Baselgia in Bellelay 2018 erinnert) scheitert auch sie; die Pflanzen wuchern oder gehen ein im künstlichen Licht, sodass von einer Bewunderung für die Kraft und Vielfalt der Natur, von einem Spüren der Verbindung kaum die Rede sein kann; schade.

Stefan Karrers Auseinandersetzung mit der Höhle der Kalypso auf Malta überzeugte mich nicht. Highlight der Ausstellung ist „Sensing Bodies“, das neue Zwei-Kanal-Video von Christoph Oertli, das sich vorwiegend in Parkanlagen in Japan abspielt und u.a.aufzeigt wie wichtig Japanern Momente der Ruhe, des Körper-Bewusstseins als Kontrast zur Hektik der Grossstädte sind und wie diese Parks entsprechend von Gärtnern gepflegt werden. Langsamkeit als Zeit für die Betrachtenden, sich mit dem Video(Film)-Geschehen zu befassen ist gleichsam ein roter Faden durch das Schaffen Oertlis, d.h. man findet es als Charakteristikum auch in zahlreichen anderen in Muttenz präsentierten Arbeiten; ebenso wie die bewusste Regieführung des Künstlers, der seine Themen (aus aller Welt) nicht einfach dokumentiert, sondern gestaltet. Wer sich zuvor nie vertieft mit Oertli auseinandersetzte, wird sein Schaffen fortan ohne Zweifel von nahe weiterverfolgen!

Gefallen haben mir  in den letzten Wochen auch «Intense Impressions» – eine Ausstellung zu Malerei-Positionen im Palazzo in Liestal (u.a. mit Urs Aeschbach und Corinne Güdemann), «Centropy» mit Fotografien zu Traum und Wirklichkeit afro-afrikanischen Lebens in den USA von Deana Lawson (Kunsthalle  Basel, siehe Abbildung), der  mehrdeutige «Jardin infini»  mit  (u.a.) in verwelktem Zustand in Bronze gegossenen Allerweltspflanzen (Disteln, Gräser, Königskerzen usw.) von Ursula Palla bei Gisèle Linder und «GA iA, GA JA, JA JA» von Erik Steinbrecher bei Stampa in Basel.

Nachgeholt habe ich auch den Besuch der Ausstellung von Brigitte Kowanz und Otto Piene im Haus konstruktiv in Zürich. Prädikat: sehr gut! Nicht sonderlich gefallen hat mir «Private Imaginings» von Nick Mauss in der Kunsthalle Basel – zu privat (verschlüsselt) ist mir die Assoziationskette des Künstlers.

 

 

Newsletter Website September 2020

Endlich! Nachdem die Newsletter Juli und August nie geschrieben wurden, hier nun Gedanken zum September. Ich muss als Erstes eine Enttäuschung – oder vielleicht eher eine realistische Erfahrung – anbringen. Sie betrifft die Ausstellung von  (1895-1957) im Rebbaumuseum in Ligerz, für welche ich 2019/2020 sehr viel (unentgeltliche) Recherche-Arbeit geleistet und meine Erkenntnisse zu diesem bisher kunstgeschichtlich nie betrachteten Bielersee-Maler in einer bebilderten Broschüre festgehalten habe (sie ist auf dieser Website einsehbar). Ein weisses Blatt zu beschreiben, ist spannend. Und die Funde waren reich. Mir ging es vor allem darum Oskar Binz als ernsthaften Schweizer Künstler seiner Zeit darzustellen. Abbildung: Aquarell, 1930.

Der nach aussen gesellige, humorvolle Maler mit Zügen eines Bielersee-Originals war und ist einer älteren Bevölkerung bis heute in Erinnerung. Entsprechend war und ist (noch bis Ende Okt.) die Ausstellung regional ein grosser Erfolg. Doch das ist nur ein Teil; denn da ist auch der Künstler, der seiner Vision der drei durchlässigen Wirklichkeits-Sphären von Wasser, Land und Universum in einer Vielzahl von Bielersee-Ansichten in malerisch überzeugenden Aquarellen immer neuen Ausdruck gab.

Zu meinen, dass sich nun zumindest die nicht nur die Gegenwartskunst, sondern auch die Kunstgeschichte Betrachtenden dafür interessieren würden, war allerdings weitgehend eine Illusion. Kaum jemand aus dieser mir ein Leben lang nahestehenden Szene fand bisher den Weg nach Ligerz. Das tut – wie könnte es anders sein – schon ein wenig weh. Ich merke, dass ich in der Annahme es interessiere eh niemanden, nicht einmal mehr davon erzähle, nicht einmal mehr ein Exemplar der Broschüre in der Handtasche mittrage.

Hat sich darum die Arbeit nicht gelohnt? – Doch, da bin ich immer noch positiv eingestellt, denn ein Maler dieser Qualität darf in der Kunstgeschichte nicht einfach nicht existieren!

Genug! Irgendwann habe ich mich wieder aufgerafft und setze meinen Parcours durch das Angebot an Ausstellungen landauf, landab fort, wenn auch noch nicht in Vor-Corona-Tempo.

Was ich auf Facebook thematisiert habe (u.a. Bex, Bellelay, Appenzell, Zurich Art Weekend), lasse ich hier weg.  Besucht habe ich vor allem kleinere und grössere Ausstellungen – oft mit persönlichem Erinnerungswert. So z.B. die Retrospektive Hans Rudolf Roth (*1942) im Kultur-Keller des Literaturhauses in Lenzburg.

Meinen ersten Text zu Roth habe ich 1975 geschrieben und bis in die 1990er-Jahre manche mehr; dann verlor ich ihn aus den Augen. Texte schreiben war für mich wenn immer möglich verbunden mit persönlichen Begegnungen, aus denen zuweilen Freundschaften entstanden. Hansruedi Roth war immer ein Aussenseiter  – seine Körperbehinderung (eine Folge von Kinderlähmung) liess  manches nicht zu. Er musste träumen, um seine Erfüllung zu finden und das führte ihn, nach expressiven Anfängen im Stil des Aargauer Malers Werner Holenstein in seine eigene von Melancholie und Sehnsüchten erfüllte Bildwelt. Er erzählte in formal und farblich reduzierten, von Licht und Schatten geprägten Formen von Figuren in engen Kneipen, einsamen Gassen, aber auch weiten Landschaften; gegenständlich und doch entrückt und surreal in der Wirkung.

Es war seit langem bekannt, dass der Aargauer Tierarzt Peter Hauri eine grosse Sammlung an Werken von Rojo (wie Roth sich später nannte) besass. Doch erst die Lenzburger Ausstellung zeigte jetzt den gültigen – und beeindruckenden – Bogen über das gesamte Werk, das neu ins Licht zu rücken, ihm – zu Recht – ein Anliegen ist.

Gesehen habe ich auch die «Baumfänger» im Kunsthaus Zofingen mit Victorine Müller, Marianne Engel und Beat Breitenstein und Com&Com (bis 11. Okt.).  Einmal mehr ist es der Kuratorin, Claudia Waldner, gelungen ein Thema mit wenigen Positionen einzufangen und gleichzeitig auszuspannen. Der Titel macht von Anfang an klar: Hier geht es um eine Meta-Ebene, um das was ein Baum uns sagt, wie wir ihn spüren; nicht darum, ihn zu klassifizieren. Die Künstler zählen dabei stärker auf die materielle Ausstrahlungskraft des realen Baumes während die Künstlerinnen ihn in märchenhafte Szenerien verwandeln oder in phantastische körpernahe Spiele einbinden.

Mit Wehmut denkt man daran, dass es ist die letzte Ausstellung ihrer Art ist, die Claudia Waldner in Zofingen kuratiert. Nach sieben Jahren mit 150%igem Engagement für die städtische Institution war sie am Punkt angelangt, wo sie sich fragen musste, warum ist meine Arbeit «nichts» wert. Das ist sie natürlich nicht; sie hat das kleine Haus geführt als wär’s ein Museum mit entsprechendem Budget und hat es weit über die Region hinaus bekannt gemacht. Aber irgendwo sind Grenzen, im Sommer 2021 wird sie das Haus definitiv verlassen. Eine neue Chance mit besseren Bedingungen zu finden, ist zurzeit sehr schwierig, auch wenn ihr Leistungsausweis ausserordentlich ist.

In Biel gibt es – genau wie in anderen, kleineren Städten –  kaum Galerien und somit kaum Ausstellungen mit Kunstschaffenden aus anderen Regionen der Schweiz. Es gibt einen bekannten Off-Space – das sog. Lokal.int – doch das ist mehr Treffpunkt als Kunst-Vermittlungsort, was ich schade finde. Es gibt das Museum Pasquart mit  seinem mit Ausnahme der sog. «Cantonale» (ehemals Weihnachtsausstellung) grossmehrheitlich international ausgerichteten Programm, aber die in der Schweiz? – Darum erfreulich, dass die Art-Etage (GFF)  aktuell Werke von Michael Streun (siehe Abbildung). zeigt. Der Berner/Thuner (*1965) pflegt einen (u.a. an den Farben) wiedererkennbaren Malstil und auch die Thematik umkreist einen wiederkehrenden Kanon. So wird er mehr und mehr zur Persönlichkeit in der Malerei-Szene des Kantons (z.B. im Rahmen der «Cantonale»). Seine Malerei ist figürlich, changiert zwischen Porträt und dunkeltoniger Landschaft und mündet in «Erzählungen», die oft apokalyptischen Charakter haben. Wo er sich mittelalterlichen Horrorszenarien nähert, muss ich mich ausklinken, wo trotz allem Nähe zwischen den Menschen sichtbar bleibt, sind die Bilder dicht und auch in der Abstraktion hat sich Streun neue Wege erschlossen.

Nicht nur Lokales! Darum hier – als Beispiel – noch ein Hinweis auf die Ausstellung von Lutz&Guggisberg im Kunstmuseum Winterthur. Schon mehrfach bat Direktor Koni Bitterli Künstler, sich mit der (hochkarätigen) Sammlung des Hauses auseinanderzusetzen, direkt zu intervenieren. Noch nie jedoch so ausschliesslich (und überzeugend) wie aktuell beim St. Galler Künstlerduo Lutz & Guggisberg. Sie treten mit Objekten (unter Plexiglashauben oder auf weissen Sockeln) in direkten Dialog mit den Werken der klassischen Moderne – selbstverständlich so subversiv, ironisch, humorvoll wie das zu ihrer Künstlerpraxis gehört und doch nie banal, sondern stets äusserst gekonnt. Zum Teil haben sie ihr Lager durchforstet und nach Echos gesucht, zum Teil sind neue Arbeiten gestanden, die den Künstlern des frühen 20ten Jahrhunderts zuweilsen so nahe kommen, dass man den Atem anhält und  einen Moment nicht mehr weiss….

 

Newsletter Oktober 2020

„Lieber mit Maske unterwegs als ohne Maske zuhause» – das ist meine aktuelle Devise und so habe ich trotz der uns alle belastenden und als Dauerthema beschäftigenden Pandemie-Situation zahlreiche Ausstellungen besucht. Allerdings – eigentlich zu meinem eigenen Erstaunen – nicht so sehr Museumsausstellungen, sondern kleinere Events in Galerien und anderen Institutionen. Warum? Sorry, weil die Schweizer Museen ihre Ausstellungen zum Teil soooo verlängert haben, dass sie nicht aktu«ell sind oder– so habe ich da und dort den Eindruck – Programme 2. Wahl anbieten, nicht zuletzt, weil die internationalen Kontakte auf physischer Ebene aufgrund von Covid-19 schwierig geworden sind. So richtig Neues habe ich nicht oft entdeckt. Ein Michel Grillet (Solothurn), der seit den 1980ern primär kleinste Sternen-Himmel und Nacht-Landschaften (Berge) malt, lockt mich einfach nicht  (mehr) hinter dem Ofen hervor und den Julian Charrière in Aarau, den habe ich gesehen, aber zuvor halt schon in Lugano, wo die Präsentation des zentralen Packeis-Filmes wesentlich emotionaler inszeniert war. Aarau ist aber retrospektiver.  Für langjährige Charrière-Fans (wie mich)  bringt sie darum mit Ausnahme der neuen „Obsidian“ (vulkanisches Glas, das schon im Neolithikum verwendet wurde, siehe Abbildung) wenig Neues,  bestätigt aber eindrücklich, warum er aktuell als Schweizer Shooting-Star gilt (Bilanz-Rating Nr. 1 unter den Jungen).

Konzentration. Und wie immer: Was ich schon auf Facebook beschrieben habe (z.B. Fance-Lise Gurn/Pasquart, «Seule l’amour sauvera le monde» in der Galerie C/Neuenburg), fehlt hier. Darum: «Standpunkt Erde» in der Galerie Mayhaus in Erlach. Als Ilya Steiner 2019 beschloss für längere Zeit nach Südamerika zu reisen, schrieb er einen Wettbewerb aus. KünstlerInnen sollten Ausstellungs-Konzepte eingeben. Der Lockdown hat einiges upsidedown gebracht, dennoch ist bereits jetzt ein Rückblick möglich. Er besagt erstaunlicherweise, dass – entgegen der Meinung vieler Kunstschaffender -– KuratorInnen eine wichtige Funktion haben. Mehrere Konzepte basierten auf guten Ideen, aber an einer streng auf die visuelle Umsetzung ausgerichteten Inszenierung haperte es zuweilen. In einem nicht renovierten alten Patrizierhaus lässt sich schlicht nicht alles zeigen, mehr noch – Kunst kann darin scheitern.  Dieses Schicksal ereilte die mit blauer Tusche hinter Glas gemalte Serie «Toteis» von  (Solothurn/Twann). Siehe Abbildung. Der Künstler befasst sich seit langem mit der Geologie  (der Beschaffenheit) der Erde wie sie sich heute, wie sie sich einst zeigte. Aktuell gilt sein Augenmerk den Gletschern der letzten Eiszeit (bis 10’000 v.Chr.), der Zeit als diese abschmolzen, «Toteis» unter vielem Geschiebe bildeten, mal sichtbar, mal in Stein und Geröll eingepackt. Spannend (und hochaktuell). Die «Eiszeit»-Gläser, die der Künstler zeigt, leuchten blau, wirken gewollt kalt. Aber präsentiert in einem beige-weiss ausgemalten Raum mit warm-hölzernem Täfer, sind sie wie eine Faust aufs Auge. In Gedanken hänge ich sie in den (oft als scheusslich empfundenen) langen Obergeschoss-Raum im Helmhaus in Zürich mit seinen weissen Wänden und dem weiss-glänzenden Boden und spüre, was möglich wäre, nur nicht im Mayhaus in Erlach. Dass Künstler zeigen wollen, was sie gerade beschäftigt, ist verständlich, aber man kann das nur MIT den Räumen, nicht gegen sie, denn das Publikum abstrahiert nicht.

In Erlach gab es auch ein Gegenbeispiel, nämlich die Idee von Anna Neurohr  (*1980/Biel), einzelne Berge aus Porzellan – Berge wie sie allen im Seeland vom Blick  zu Eiger, Mönch und Jungfrau vertraut sind –  auf eine Art Schaukel (einem Holzbrett, das an zwei Seilen im Dachstuhl hängt) zu platzieren. Das Vertraute, das Fragile, das entrückt Künstlerische, das Material und die Formen im freien Raum brachten eine wunderbare Stimmung. Auch die fernöstlich anmutenden, auf japanisches Reispapier gedruckten schwarz-weiss Fotografien von Hansjörg Bachmann (*1949 St.Gallen/Biel), die  Gärten und Wälder (wo auch immer) zeigen, widerstanden den Räumen, hiessen die Betrachtenden einen Moment loszulassen und sich in eine «andere», zwischen hell und dunkel , Tag und Nacht, oszillierende Welt hineinziehen zu lassen. Last but not least zeigte Ruedy Schwyn  (*1953/Biel) «Erdsichten» – wie sie sich, einem roten Faden gleich, durch sein Werk ziehen. Wobei «Erde» bei ihm stets «Haut» meint – Epidermis und zugleich die verletzliche, immer wieder bedrohte «Landschaft» des Menschen.

Sorry, ich bin stecken geblieben.

Definitiv nicht verpassen wollte ich die von Bice Curiger kuratierte Ausstellung zur Frauen-Kunst-Bewegung 1975/80 im Strauhof in Zürich. Weder «Frauen sehen Frauen» (1975) noch «Saus & Braus» (1980) habe ich gesehen seinerzeit (die Kinder erlaubten damals nur kleine Sprünge), aber später habe ich alles Greifbare darüber gelesen und sie oft zitiert. Darum war die dokumentarische Ausstellung sehr spannend für mich, zeigte sie doch wie zuweilen Wichtiges aus dem Nichts, aus dem Experiment, aus dem Lust wächst, ohne dass sich die ProtagonistInnen der Tragweite bewusst sind. Erkenntnisreich!

In der Galerie daMihi in Bern sind zur Zeit Skulpturen aus allen Schaffensphasen von Hans Josephson (1920-2012) gemeinsam mit Bildern von Willi Müller (* 1953 im Aargau, wohnhaft in Nidau) aus. Das hat seinen Grund: Willi Müller war in den späten 1970ern oft im Atelier Josephsons und nennt ihn die für ihn prägendste Künstlerpersönlichkeit. Da stellt sich unweigerlich die Frage, ob man das spürt. In den Motiven nicht, aber dieses «brut», dieses Ungeschönte, existentiell auf die Ebene von Form und Gegenstand (egal ob Figur oder Tisch) Hinweisende, das gibt es hier und dort, was man vielleicht bisher nie realisiert hat.

Von Müller gibt es auch heiterere Bildserien – im Kabinett darf man die Apfelbäume sogar nach eigenem Gusto hängen.  Aber schon in den Porträts kommt sie wieder, diese eigenartige Verwandtschaft der zwei so unterschiedlichen Künstler.

Ebenfalls in Bern (Galerie Bernhard Bischoff) sind aus Anlass des Erscheinens des Werkverzeichnisses von Pascal Danz (1960-2015) Werke aus dem von der Galerie verwalteten Nachlass zu sehen. Um dem Anspruch einer Ausstellung zu genügen, ist die Auswahl nicht rund genug, was vermutlich auch nicht das Ziel war. Aber der rote Faden, der ist schon eruierbar. Immer sind es Motive auf der Basis einer Fotografie, die nicht nur «sagen», was zu sehen ist, sondern immer auf ein Dahinter verweisen, Fragen evozieren, Unsicherheit erzeugen wollen; von afrikanischen Fetischen bis zum Hec kflügel einer Maschine von BOAC (British Overseas Airways Coroporation) oder dem dunklen Eingang einer verlassenen Werkstatt in «heraldstreet» in London (Siehe Titelbild).

Die Überraschung der Ausstellung war für mich darum nicht Pascal Danz sondern die Malerei von Martin Kaspar (*1962 wohnt in Freiburg i.Br.). Wie (zu) viele Künstler befasst er sich mit dem «Raum», doch seine architekturbetonten Kompositionen sind nicht Räume an sich, sondern sind ausgerichtet auf die «Identität» eines Raumes, seine linearen Strukturen, seine betont malerischen, oft wohltuenden Farben, auf die Lichtführung.

Die Leere, die vorherrscht, abstrahiert sie einerseits, lädt aber andererseits auch zum Begehen ein.

 

Mehr wäre…. aber lassen wir das für den Moment. A bientôt au novembre!

 

Newsletter November 2020

Normalerweise haben wir stets die Qual der Wahl – Was sehen?  – Was verpassen?

Im Moment ist es eher: Wo kann ich noch etwas sehen? – Man kann! – So fuhr ich am Tag der angekündigten BAG-Massnahmen vom 28. Oktober nach Solothurn und Grenchen: Man wusste ja nicht….d.h. in die Ausstellung Albert Trachsel im Kunstmuseum und – nur en passant – die Kabinettpräsention von Michel Grillet sowie in die für Grenchens Profil eher überraschende Erst-Museums-Ausstellung von Yves Scherer (*1987) gepaart mit der wie eh und je grossartigen, vielteiligen Vollard-Suite von Pablo Picasso (1930-1937).

Als Ü70, mit Solothurns Sammlung Vertraute und schon immer an den spirituellen Interessen der Kunst um und nach 1900 Interessierte, war mir Albert Trachsel (1863-1929) natürlich ein Begriff. Was brachte die Ausstellung Neues? – Z.B. das Bewusst-sein, dass Trachsel (trotz Simmentaler Bürgerort und Geburtsort Nidau)  analog Ferdinand Hodler  (Bürgerort Gurzelen, Geburtsort Bern) durch und durch ein Genfer (mit zeitweiligem Aufenthalt in Paris) war, mehr noch, dass er da zum Establishment gehörte. Entsprechend viele Werke sind denn auch entweder Leihgaben des Musée d’Art et d’Histoire oder der Nachlass-Sammlung der 2019 verstorbenen, eng mit Solothurn verbundenen Monique Barbier-Müller in Genf.

Die symbolistischen, in anthroposophie-naher Farbpalette gehaltenen Hauptwerke («Der Blitz», die «Welle», «Das kosmische Ereignis» u.a.) entstanden allerdings alle in Paris oder in den ersten Jahren nach der Rückkehr nach Genf. Danach – auch das zeigt die Ausstellung – findet eine gewisse Abflachung der in die «vierte Dimension» weisenden Stilrichtung statt, die Landschaft dominiert. – Man kann sie noch immer als «traumhaft» charakterisieren, sie hat aber nicht mehr die visionäre Kraft der Frühzeit (bis ca. 1912).

Die Retrospektive des Genfer Künstlers Michel Grillet im Kabinett hat  mich nicht überzeugt. Zwar begreife ich, dass alle jüngeren Ausstellungsbesucher*Innen, die ihm erstmals begegnen, begeistert sind – so wie ich das in den 1980er-Jahren auch war – aber die Entwicklung des Künstlers ist einfach zu wenig markant, um mich heute noch aus der Reserve zu holen.

Eine Herausforderung war jedoch der Besuch im Kunsthaus Grenchen. Ich kam aufgrund erster Abbildungen in der Preview im Netz mit viel Skepsis und bin schliesslich mit etwas weniger Vorbehalten wieder gegangen. Yves Scherer, im Solothurnischen aufgewachsen, in New York lebend, spiegelt in seiner dem «Celebrity-Kult» gewidmeten Ausstellung viel Social-Media Zeitgeist, der Virtuality höher hält als Reality. Im Fokus stehen die im 3D-Verfahren «gedruckten», lebensgrossen, pinkfarbenen, aalglatten Kunststoff-Figuren, die er u.a. nach Paparazzo-Aufnahmen im Netz formt. Ob es dem Künstler damit gelingt, eine pointiert kritische Haltung zu visualisieren oder ob das Erschaudern die Lust auf Differenzierung im Keim erstickt, ist wohl nur individuell zu beantworten, wobei die Hürde für die ältere Generation wohl deutlich höher ist. Sicher ist, auf die verführerische Tour eines Jeff Koons setzt er nicht; er ist radikaler.

Ist die Provokation immerhin ein Pluspunkt, konnte ich mich mit «Johnny & Kate» beim Liebesspiel in Form eines sehr künstlich wirkenden Holzreliefs gar nicht anfreunden. „To American for Words“ pflegte mein Vater in solchen Fällen zu sagen.  Hingegen ist der Lenticular-Print «Flowers in December», der die einstige «Hermine» der «Harry Potter»-Filme (heute eine hochdotierte Schauspielerin) in Überblendungen zeigt, die sich je nach Standort der Betrachterin verschieden überlagern, hat mir sehr gefallen. Da ist das Schillernde der Promi-Figur, die in immer anderen Rollen auftritt, sehr gut umgesetzt.

Was hingegen die in Glas-Schreine montierten, abgewetzten Tatami-Matten als Symbol für die Realität sollen, ist mir rätselhaft. Die traditionell japanischen Boden-Beläge, die man nur barfuss oder allenfalls mit Socken betritt, wirken im amerikanischen Kontext fehl am Platz, um nicht zu sagen abstrus. Es gäbe zu weiteren Werken mehr zu sagen.

Der Museums-Lockdown betrifft bisher erst die Kanton Bern und alle Westschweizer Kantone mit ihren sehr hohen Corona-Fallzahlen. Also beschloss ich in die Ostschweiz zu fahren. Eigentlich nach Bregenz, aber da machte mir Sebastian Kurz einen Strich durch die Rechnung. Also nach Vaduz, ins Lichtensteinische Museum, wo (bis 17. Jan.) eine international bestückte Ausstellung mit dem Titel «Das Parlament der Pflanzen» zu sehen ist. Interessant wie zur Zeit allüberall Ausstellungen zum Thema Baum, Wald, Natur und Mensch und Tier stattfinden. In Vaduz weist der Begriff «Parlament» auf Vielzahl, auf Pflanzengruppen – umgesetzt von heutigen Geranienbeeten (Uriel Orlow, CH) bis zurück zu den Enzyklopädien des 18. Jahrhunderts, in denen die Pflanzenwelt erstmals systematisch aufgezeigt wird – oft mit wunderbaren Kupferstichen illustriert! Dazwischen ist die Themenvielfalt enorm (sprich: anstrengend!). Sie reicht von Audio-Umsetzungen der Wechselwirkung von Amino-Säuren in Verbindung mit dem Rezeptor-Protein bei der Rosaceae Rosa (Edith Dekynt *1960 Belgien) bis zu Selbstversuchen mit Drogenzustände hervorrufenden Pilz-Wirkstoffen (Pawel Althamer/Artur Zmijewski *1960/1966 Polen). Siehe Abbildung. Überraschend ist für Schweizer Besucher*Innen die umfangreiche zwischen Natur und Künstlichkeit oszillierende Installation der in Oberwil im Simmental lebenden deutschen Künstlerin Athena Vida (*1972 als Gitta Schäfer in Stuttgart), die in Vitrinen eigene kleine, künstlerische Universen aufbaut. Siehe Abbildung.

Randbemerkung: Im Museum waren ein paar wenige Besuchende, aber draussen auf der Strasse – niemand, absolut niemand – alle Restaurants, Cafés hatten verordneten Lockdown – Horror – ich floh mit dem nächsten Bus, ohne auch nur einen einzigen Kaffee getrunken zu haben – immerhin hatte die Bäckerei mit den erstklassigen Sandwiches nahe beim Busbahnhof offen! Die Ankunft in St Gallen war eine Wohltat!

Mehr im Newsletter Dezember!

Newsletter Dezember 2020

Es ist wahrscheinlich die Neuigkeit, dass die Berner Museen ab Dienstag wieder offen sind, die mich die Energie finden lässt, einen Newsletter in Sachen Kunst zu schreiben. Denn trotz allem habe ich seit Mitte November einiges gesehen. Und wenn ich beim Besuch des Aargauer Kunsthauses, der Galerie C in Neuenburg, am Zurich Art Weekend, im Gluri-Suter-Huus, im Kunstmuseum Luzern, im Kunstmuseum Solothurn etc. Bekannte angetroffen habe, so war das ebenso ein Highlight wie ausgewählte Werke.

Denn zum Belastendsten der Zeit gehört für mich, dass ich das Gefühl habe all die Menschen, mit denen ich mich gerne austausche, würden aus der Realität verschwinden, existierten nur noch in der verblassten Form einer Erinnerung an früher oder virtuell im Netz. Wobei ich – ich gebe es zu – mit Online-Konferenzen u.ä. wenig anfangen kann. Vielleicht sollte ich mir da einen –«Schupf» geben.  Einmal in den letzten Wochen war ich im Atelier einer Bieler Künstlerin und wir haben intensiv diskutiert – wie bereichernd war das!

Doch halt, klagen nützt nichts – sich fügen und das Beste draus machen, muss die Devise sein.

Es ist die Zeit der Jahresausstellungen.  Aarau ist – wie alljährlich – ein Must. Wieder haben es die Aargauer – das Kunsthausteam im Verbund mit dem Aarg. Kuratorium – fertig gebracht, dass sich ebenso seit langem wichtige Kunstschaffende wie auch Junge und Youngster mit substanziellen Dossiers um eine Teilnahme (oder ein Stipendium, einen Preis, einen Ankauf) beworben haben. «Generationenübergreifend» ist in Aarau als Charakteristik berechtigt, während es sich in Solothurn, wo das Wort auch gebraucht wird, eher schaal anhört, dominieren hier doch trotz Delia Ferraro (siehe Abbildung, „Der Besuch der Tante“)  mit Jahrgang 1996 die über 40, 50, 60, 70 jährigen (z.B. F.A. Wyss, René Zäch). Mit Qualität hat das nichts zu tun, wohl aber mit überraschenden Blicken in die Zukunft. In Aarau habe ich das Gefühl der Senior – Max Matter (*1941) – habe längst ein subversives Konzept daraus gemacht,  die Juries so lange es ihm physisch und/oder mental möglich ist mit grossformatigen Werken herauszufordern und zu schauen, wann die erste Crew ihn rausschmeisst. Heuer nicht. Zu sehen sind acht für ihn seit Jahren typische Injektions-Streifen, die sich «in Verläufen (an Inside)» von einer Rot- in eine Grüntonigkeit (oder umgekehrt) wandeln. Abbildung.

Die Ausstellung ist tendenziell zweigeteilt, im 1. Stock viele vertraute Namen (auch Silvia Bächli, Dominique Lämmli, Eric Hattan), im Soussol insbesondere Video-Arbeiten (was räumlich-technisch bedingt ist). Ein wichtiges Element: Im Gegensatz zur Solothurn, welches Parterre und Kabinett («Freispiel») zur Verfügung stellt, Luzern, das nur knapp die Hälfte der bespielbaren Räume «zentral» widmet, bespielt Aarau das gesamte Ober- und Untergeschoss. Das gibt Grosszügigkeit, z.B. für eine mehrteilige Serie von Hochformaten von Mireille Gros, die eine Entwicklung ihres «fictional plants»-Herbarium hin zu vertieft malerischen Lösungen aufzeigen. Dass das Hauptwerk des Obergeschosses – das «kosmologische» Universum von Philippe Fretz (*1969, Werkbeitrag Kuratorium, siehe Abbildung) von einem «Auswahl»-Habitué stammt, erstaunt in dem Sinn, als es dem Genfer praktisch Jahr für Jahr gelingt, den Röschtigraben zu überspringen und die Jury zu überzeugen; möglicherweise weil fiktionales Erzählen in der Romandie mehr Tradition hat und darum in der Deutschschweiz immer wieder überrascht. Ein Fauxpas ohne gleichen ist meiner Meinung nach hingegen, Rolf Winnewisser (71) einen Förderpreis zu verleihen!

Luzern (ich hätte nicht gedacht, dass Fanni Fetzers beiläufiger Satz «Ich bin so froh, konnten wir eröffnen» eine Vorahnung war –eben wurden die Museen bis 22. Jan. geschlossen) ist als Plattform für die gesamte Innerschweiz umfangmässig relativ klein. Von 210 Dossiers wurden gerade mal 29 ausgewählt; im Gegensatz zu Solothurn, wo die Jurypräsidentin Marie-Antoinette Chiarenza festhält: «Angesichts von Corona wollten wir möglichst vielen die Möglichkeit der Sichtbarkeit geben»  ( 49 Positionen von 181 Eingaben).

Qualitativ ist Luzern tatsächlich höher einzustufen als Solothurn, aber persönliche Highlights findet man hier wie dort. In Solothurn ist es u.a. die 8teilige Foto-Leuchtkasten-Serie «en dernier lieu» von Luzia Hürzeler, die Walliser Berglandschaften mit einsamen Wegen das «musée de la nature»  mit ausgestopften Wölfen gegenüberstellt.  Genannt seien aber auch die Zeichnungen von Andreas Hofer (*1956), die gleichsam zeigen wie der Künstler sich selbst zuschaut wie er die Tusche-Linien auf dem Papier zieht.

In Luzern ist es vielleicht das «blaue» Video «Le baiser», das die Bein/Schoss-Partie einer mehrfigurigen Bronze-Skulptur aus dem 19. Jh. zeigt, welche die Künstlerin (Lotte Gadola *1991) sorgsam mit weissen Pinselstrichen entlang den Gliedmassen berührt, streichelt, ertastet. Das berührt, gerade jetzt! Im Covid-19-Zusammenhang sei aber auch die Serie «Eingeschlossen» von Elisabetha Günthardt (*1943) genannt, die Camera obscura-Aufnahmen ihrer selbst zuhause und im Garten zusammenstellt.

Nicht verpassen sollte man in Luzern die aufwändigen Raum-Einbauten des Manor-Preisträgers Micha Zweifel (*1987),die einerseits den Einfluss von Räumen auf unser Empfinden von Räumlichkeit befragen, andererseits Handschrift/Handwerk zeigende Skulpturen (Holz geschnitzt, Bronze gegossen, geschweisst) und Wand-Decors in Form von tapetenartigen Zeichnungen respektive Gips-Reliefs dazu in Beziehung setzen. Das alles ist geheimnisvoll, anregend, Atmosphäre erzeugend. Abbildung.

Es gäbe mehr zu sagen, zu Annatina Grafs «goldigen» Nachtszenen bei Abbühl in Solothurn zum Beispiel, zu Barbara Ellmerer bei Talmann in Zürich, zu Léopold Rabus  bei «C» in Neuenburg, zu Reto Leibundgut bei Bernhard Bischoff in Bern, zu Koenrad Dedobbeler/Luigi Ghirri (resp. Mondrian) bei Mai 36 in Zürich, aber fürs erste mache ich hier Schluss.