Vernissagerede anlässlich der Ausstellung Clara Woerner und die Handweberei Geiger-Woerner im Engel Haus in Twann, 26. Mai 2023

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Freunde und Freundinnen textilen Gestaltens

Ich spreche hier und heute nicht nur als Vernissagerednerin, sondern auch als Co-Kuratorin, welche die Ausstellung Clara Woerner und die Geschichte der Handweberei Geiger-Woerner zusammen mit Heidi Lüdi erarbeitet hat. Erlauben sie mir darum, dass ich mit danken und gratulieren beginne.

Unser grösster Dank gilt Hans Ulrich Geiger und seiner Schwester Ursula Geiger, Sohn und Tochter von Clara und Hans Geiger-Woerner. Ohne ihre Erinnerungen, ihre Fotoalben und vor allem ihre Leihgaben wäre diese Ausstellung überhaupt nicht möglich gewesen.  Denn im Zentrum steht ja eine Zeit, die gerade daran ist aus dem unmittelbaren Gedächtnis zu verschwinden. Dass dies nicht sang- und klanglos geschieht, war eine unserer Motivationen.

Unser zweiter Dank gilt Christoph Geiger, der über seinen Vater, den Maler Ernst Geiger, den letzten noch bestehenden Bogen zu Ligerz schlägt, dem Ort, wo unsere Geschichte spielt. Als umfassender Kenner des malerischen Werkes von Ernst Geiger wusste er, dass es zahlreiche Stillleben gibt, in welchen Textilien aus der Weberei Geiger-Woerner in einem neuen Medium – der Malerei – eine wichtige Rolle spielen. Einige davon sind Teil dieser Ausstellung.

Weil ich Zu-Fälle ausgesprochen mag und sie fast immer mit Bindestrich schreibe, lasse ich es mir nicht entgehen, Christoph Geiger im Rahmen dieser Ansprache zu seinem heutigen, 81sten Geburtstag zu gratulieren.

Last but not least geht gilt unser Dank an dieser Stelle Ruedi Wild. Ohne seine spezifischen Kenntnisse und Hilfestellungen ist das Einrichten einer Ausstellung im Engel Haus schlicht nicht denkbar.

Weder Heidi Lüdi noch ich sind Textil-Fachfrauen. Heidi Lüdi ist Historikerin, hier somit insbesondere an der Geschichte von Geiger zu Woerner und zu Geiger-Woerner im Hof und im Oberdorf und im Haus zur Laube in Ligerz interessiert. Mein Blick ist eher auf die visuelle Erscheinung alles kreativ Gestalteten ausgerichtet und darin nicht nur auf die Ästhetik, sondern auch auf gesellschaftliche Strukturen, die sich darin spiegeln. Mein Anliegen gilt auf hier und heute bezogen somit auch der Aufwertung der sogenannt angewandten Kunst im Vergleich mit der sogenannt freien Kunst.

Nehmen wir nur ein kleines Beispiel heraus, damit nicht einfach Theorie bleibt, was ich hier sage. Der Begriff «Nachhaltigkeit» ist in aller Leute Munde. Was ist damit eigentlich gemeint? Vieles. Unter anderem ist sie ein Gegenpol zu Künstlichkeit, zum Ersatz eines Naturproduktes durch ein künstliches, vermutlich billiger herzustellendes. Das Thema ist komplex. Für Clara Woerner – und viele andere Textilkunstschaffende ihrer Generation – war klar, dass in der Konkurrenz-Situation zur industriellen Produktion nur Gewobenes aus Naturfasern wie Wolle, Rohseide oder Baumwolle eine «nachhaltige» Alternative bilden konnte.

Das ist ein Gedanke, eine Haltung, die es in der freien Kunst lange Zeit nicht gab; erst bei der jungen Generation heute ist sie ein Thema. Rückblickend macht es aber Sinn, sie in unsere Wertschätzung des textilen Gestaltens miteinzubeziehen.

Wie gesagt: Weder Heidi Lüdi noch ich sind Textilfachfrauen. So war es uns bald einmal klar, dass wir gar nicht so genau wissen, wie weben eigentlich funktioniert. Und so haben wir bald einmal den Gedanken von Anne-Käthi Zweidler – lange Zeit die «kulturelle Seele» des Engel Hauses – aufgenommen und sind auf die Suche gegangen nach einer Möglichkeit weben ganz praktisch, physisch, in die Ausstellung zu integrieren. Wie anfängliche Irrwege schliesslich in eine beglückende Lösung mündeten, weiss ich nicht mehr im Detail. Sicher ist aber, dass die Zusage von Barbara Schütz, Leiterin der Beschäftigungsgruppe Weben im Bill-Haus in Biel, hier im Engel Haus einen Webstuhl einzurichten, ein Glücksfall war. Mehrere Male wird sie und ihr Team Laien wie mir – und vielleicht auch ihnen – aufzeigen, was es mit dem weben genau auf sich hat und vor allem, was es dazu an Vorbereitungen braucht.

Mein dritter, grosser Dank gilt darum dem Bill-Haus in Biel, das uns nicht zuletzt zeigt, dass man auch bei uns noch weiss was weben ist und nicht nur in China…der kleine Shop hat das eine und andere im Angebot.

Lassen sie mich nun aber zu einem anderen Aspekt kommen, denn diese Ausstellung ist auch Teil der aktuellen und wichtigen Aufarbeitung der Geschichte der Frauen im 20ten Jahrhundert, vor allem bis in die 1970er-Jahre. Denn diese waren – wie aktuelle Diskussionen und Ausstellungen allüberall zeigen – keine grauen Mäuse, sondern so wichtig wie die nach aussen sehr viel präsenteren und rechtlich bevorteilten Männer.

Bei Clara Woerner überraschte mich von Anfang an, dass sie mit einem Abitur und zwei Semestern Medizin im Rucksack sowie Erfahrungen als Hauslehrerin auf einem Gut in Oberbayern schliesslich als Kindermädchen und Haushälterin nach Ligerz kam. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass sie sich parallel zum Studium in Hauswirtschaft ausbildete oder ­– anders ausgedrückt – sich so benahm wie es sich für eine junge Frau im Hinblick auf Ehe und Familie gehörte.

Leider ist nicht bekannt, in welcher Zeitschrift Ernst Geiger ein Inserat aufgab, wonach er eine Hilfe für seinen Haushalt im Hof in Ligerz suchte. Doch die Tatsache, dass Clara Woerner es entdeckte, sich meldete und schliesslich kam, weist darauf hin, dass sie neue Wege für sich suchte.

Ich muss hier eine Klammer machen: Ernst Geiger war in erster Ehe mit Maria Bockhoff, einer Altphilologin, verheiratet. 1909 wurde ihr erstes Kind, Hans Geiger, der spätere Ehemann von Clara Woerner, geboren. 1921 wurde ihr zweites Kind, Wolfgang, geboren. Maria Bockhoff war bereits zuvor lungenkrank und starb am Tag der Geburt ihres zweiten Sohnes. So blieb Ernst Geiger mit dem Neugeborenen und dem 12 Jahre älteren Hans allein.  Wie uns Christoph Geiger erzählte, sorgte sich die erste Zeit eine Fabienne um das Wohlergehen der Familie. Clara Woerner war 1926 ihre Nachfolgerin. Sie mochte ihm in ihrer Bewerbung geschrieben haben, dass sie sich in der Bändelweberei auskenne. Textilmuster interessierten Ernst Geiger schon länger und zudem war er von seinen Tessinaufenthalten her mit der Inhaberin eines Textilateliers in Losone befreundet.  Und so ebnete sich für Clara Woerner dank dieser von Ernst Geiger massgeblich geförderten Situation plötzlich der Weg zur Textilkunstschaffenden.

Intelligent und selbständig wie Clara Woerner war mochte sie sehr schnell erkannt haben, dass sich hier eine Möglichkeit öffnete ein unabhängiges, kleines Unternehmen zu gründen. Das ist in der Folge bereits 1928 der Fall. Mit ihrem länderübergreifenden Hintergrund war indes klar, dass sie so wenig wie Elsi Giauque, die unweit am Berg bereits seit 1923 ihre Stoffe wob, ihren Horizont nicht auf die Region beschränken würde. Sie trat noch 1928 dem Schweizerischen Werkbund, Sektion Bern, bei und bald darauf dem Berufsverband der Schweizer Künstlerinnen und Kunstgewerblerinnen (was für ein schreckliches Wort!) und bewarb sich wo immer möglich um eine Teilnahme an deren Ausstellungen.

Wir sehen, da war eine Powerfrau ins Seeland gekommen! Das gefällt mir, wissend, dass das nicht nur einfach war. Denn im Dorf wurde sie damit nicht beliebt, später als sie verheiratet war und Kinder hatte schon gar nicht – sie verstiess gegen die Norm. Auch Elsi Giauque empfand ihre kurzzeitige Schülerin bald einmal als Konkurrenz und der Kontakt brach spätestens Mitte der 1930er-Jahre leider ab.

Wir wissen aus der jüngeren Geschichte wie lange es ging, bis Frauen lernten sich über den Erfolg anderer Frauen zu freuen. Aus meiner Zeit als Alt-Feministin kann ich hievon ein Liedchen singen!

Hans Geiger hingegen liebte seine Frau. Dass er ihretwegen ein Ingenieurstudium aufgab und «Ingenieur» der Handweberei Geiger-Woerner wurde, begriff man nicht überall. Aber – und das war für Heidi Lüdi und mich als Forscherinnen in Sachen Clara Woerner ein Glücksfall – haben zwei Menschen in den 1990er-Jahren (also sehr spät) eine Biografie zu Clara Woerner verfasst. Jene von Annemarie Gerber enthält zwar ein paar Faktenfehler – ich höre wie Hans Ulrich Geiger bei unserem Besuch in Zürich sagte als wir den Text miteinander durchgingen «das ist falsch» oder «das müssen sie nicht glauben». Dennoch war für uns der Fokus Weberei sehr wichtig für das Erfassen der gestalterischen Aspekte der Webstücke, der Künstlerinnenbiographie von Clara Woerner als Ganzes.

Die zweite Biographie verfasste Hans Geiger, der seine 1996 verstorbene Frau um zwei Jahre überlebte. Sie umfasst sowohl sein eigenes Leben ab ca. 1934 wie jenes seiner Frau. Vielleicht hat er die Basis dazu für die Diamantene Hochzeit geschrieben, welche die beiden 1995 im Kreuz in Ligerz feierten. Es mag sehr wohl sein, dass er das eine und andere wegliess, aber summa summarum ist es ein ausgesprochen liebevoller Text, der auch seine eigenen Vorlieben thematisiert – zum Beispiel seinen 1938 erworbenen Occasions-Mercedes 8/28, mit dem die beiden bis 1955 Geschäftsreisen unternahmen. Dabei ging es – anderen Quellen folgend – um das Ausliefern von Aufträgen sowie das Entgegennehmen von neuen Aufträgen – ich denke es handelt sich hier primär um Stoffe für Vorhang- und Couture-Ateliers, Möbelwerkstätten u.a.m.

Dass Hans Geiger als Folge eines frühen Unfalls nur ein Auge hatte, ist weder darin noch in den Erinnerungen von Hans Ulrich Geiger ein reelles Thema. Einzig seitlich einparkieren konnte er offenbar nur auf die eine Seite.

In seiner Biographie liest man auch die köstliche Geschichte wie er während des Wehrdienstes in den 1940er-Jahren ein Inserat entdeckt, wonach im Zürcher Oberland Webstuhl-Zubehör zu verkaufen ist. Subito beantragt er Urlaub, reist, dahin, kauft viel mehr als geplant und baut schliesslich zuhause eine Spulmaschine mit Elektromotor. Da kommt einem ja gleich Daniel Düsentrieb in den Sinn!

Aber im Detail muss ich Ihnen das ja alles gar nicht erzählen. Denn ich habe aus allem, was wir herausgefunden haben, einen Text geschmiedet, den sie im Korridor Seite für Seite oder auch querbeet lesen können.

Ich will nur noch auf einen Punkt eingehen. Hans Ulrich Geiger hat bei sich nicht nur Webstücke seiner Mutter sorgsam aufbewahrt, er hat  – Wissenschafter, der er zeitlebens war – auch viele Dokumente gebündelt und ins Archiv des Nationalmuseums gegeben, auf dass sie – irgendwann – der Forschung zur Verfügung stehen. Uns somit. Wir haben zu zweien Malen alle Mappen, Hefte, Ausstellungseinladungen, Kataloge, Texte u.v.a.m. gesichtet,  heruntergeladen, teilweise fotografiert und uns daraus ein Bild geschmiedet.

Das sei als kleines Plädoyer gegen das manchmal allzu einfache Liquidieren von Nachlässen an den Schluss gestellt.

Wer mich kennt, schmunzelt jetzt; gut so.

Ich danke fürs Zuhören und wünsche Ihnen nun gute Gespräche beim Apéro, den das Bill-Haus für uns kreiert hat, einem Glas Wein aus dem Keller des Engel Hauses und ein gewinnbringendes Verweilen bei einem Text hier und dort oder beim Zuschauen beim Weben.