Vernissagerede für Pat Noser und Jürg Benninger anlässlich ihrer Austellung in der Beletage im Kiff in Aarau

  1. Juni 2023

Annelise Zwez

Liebe Freunde und Freundinnen der Beletage

Liebe Pat, lieber Jürg

Es ist interessant zu beobachten wie sich die Reaktion auf die Werke eines Künstlers respektive einer Künstlerin auswirkt, je nachdem in welchem Kontext wir ihnen begegnen. Konkret: Wie habe ich auf die Städtelandschaft von Pat Noser reagiert als ich den «Paradeplatz» im letzten November/Dezember im Kunstmuseum Solothurn sah und wie jetzt? Wie habe ich 2022 die Installation mit Werken von Jürg Benninger im «Treibhäuschen» hinter der Stadtkirche Biel im Rahmen des Kunstfestivals «Le joli mois de mai» wahrgenommen und wie jetzt in der Beletage?

Wie gehen die Werke hier in Aarau aufeinander zu?

Die Autonomie der Werke ist nicht angetastet, aber Nuancen gibt es schon!

Doch ich muss da vielleicht zuerst einschieben wie es zu dieser Doppelausstellung kam. Alumni der Beletage wissen, dass das engagierte kleine Team der Galerie jeweils einen Künstler oder eine Künstlerin einlädt, die in irgendeiner Form in Beziehung zum Aargau steht und diesen oder diese bittet, sich mit jemandem für eine Ausstellung zu verbünden. Pat Noser, die bekanntlich im nahen Biberstein aufgewachsen ist, überlegte, zog dieses und jenes in Erwägung und erinnerte sich dann an eine Ausstellung in der Galerie Elisabeth Staffelbach in ihrer Aarauer Zeit  im Jahr 2008 als sie diese kleinen, nackten, unsicheren und gleichzeitig nach etwas lechzendem Fantasietierchen entdeckte, fasziniert war und darin eine kaum in Worte zu fassende Verwandtschaft mit sich selbst erkannte.

Sie schauen mich jetzt vielleicht verwundert an und ich begreife das, denn da liegen Jahre der Entwicklung dazwischen. Aber wenn ich an die Zeit zurückdenke, da ich erstmals Malerei von Pat Noser in der «Krone» in Biel (einem städitschen Ausstellungslokal) begegnete – es waren brillant an französische Maltradition erinnernde nackte, in sich zusammengekauerte  und in Plastikhüllen eingepackte Frauenkörper – dann liegt diese Seelen-Verwandtschaft gleichsam auf der Hand – das habe ich aber  erst jetzt beim Schreiben dieser Worte realisiert – ich wusste ja auch gar nicht, dass diese erste Begegnung in Aarau zu einer lockeren, auf künstlerischen Austausch ausgerichtete Freundschaft führte. Beide arbeiten ja in derselben Stadt  – Pat Noser in einem grossen Atelier unweit der Omega  – Biel ist ja bekanntlich eine Uhrenstadt – Jürg Benninger lieber auf engem Raum bei sich zuhause.

Ich erinnere mich wie Jürg mir einmal erzählte, warum seine Kunst so wunderbar sei – er könne lebensgrosse Figuren häkeln und sie dann unbeschadet in einen Sack stopfen. Zu sagen gibt es hiezu aber auch, dass Pat Noser in den letzten 30 Jahren ein enorm grosses, Raum beanspruchendes malerisches Werk geschaffen hat, während Jürg Benninger lieber lange Zeit an der Entstehung eines, oft mehrteiligen Werkes schafft.

Wenn ich mir diese jahrelange Entwicklung, von der ich sprach, zu vergegenwärtigen versuche, so drängt sich mir das Wörtchen «frech» auf – im besten Sinne des Wortes. Beide gehen immer noch gerne den Grenzen entlang – der Kante, da sich Belustigung, Humor, Satire auf der einen Seite und hintergründiger Ernsthaftigkeit verschränken, die aber in gewissem Sinn «verdaulich» ist, weil das  Schreien ob der Welt, dem Leben und allem in dieser Gleichzeitigkeit das «gern haben» nicht verunmöglicht.

Nehmen wir als Beispiel Jürg Benningers «Sei tapfer» – einer zwischen Mensch und Tier changierenden Kreatur in einem vielfarbigen Blumengarten, die gerade von kleinen Biestern erobert wird. Sie ist gut genährt, hat deftige Pranken und doch sagt ihr nach oben gerichteter Blick, rettet mich. Perfiderweise lässt es Jürg Benninger aber damit nicht bewenden, sondern näht dem Sonderling, der mir immer mehr als Schmarotzer vorkommt, einen Knopf auf die Brust «sei tapfer» – es ist kein Protestknopf, dafür reicht die Zeit schon nicht mehr, es ist eher ein «sei tapfer, wenn du dann, mitsamt der Welt, untergehst».

Wenn ich jetzt, noch bevor ich auf Pat Noser eingehen werde, auf den Anfang meiner Ansprache zurückkomme, nämlich auf die Frage, was die Gleichzeitigkeit der Präsenz von Werken von Jürg Benninger und Pat Noser  in der Rezeption ihrer Werke auslöst, so ergibt sich für Jürg Benninger eine wesentliche Aussage:

Immer und immer wieder ist er auf seine Arbeitsweise – auf den Mann, der häkelt, reduziert worden. Es ist leicht, ihm zu glauben, dass er das gar nicht liebt. Es gab ja auch eine Zeit, da malte er und eine Zeit, da machte er eine Art Laubsägearbeiten – grossformatige notabene. Er aber suchte nach etwas anderem.

Als ausgebildeter Grafiker hätte er zum Comic wechseln können – immerhin lebte der im Kanton Uri Aufgewachsene ja in einer Stadt, welche in den 1980er-Jahren eine intensive Comic-Zeit durchlebte und die im Werk von Bastian und Isabelle – sie hatten kürzlich eine grosse Ausstellung im Kunsthaus Zofingen – bis heute weiter lebt.

Nein, es musste etwas anderes sein, obwohl es – wenn ich an frühe Arbeiten von Bastian denke, durchaus «click» macht, sprich, was Benninger suchte, musste auch eine «Anderswelt» mit anderen möglichen Lebensformen sein. Und die fand er im Zeichnen mit Luftmaschen, im Häkeln. Weil das aber so ungewohnt war, sprach man fast nur darüber. Jetzt, nach mehr als 20 Jahren Häkelarbeit, ist es höchste Zeit den Blick zu erneuern. Es ist eine gute Zeit dafür, denn junge Kunstschaffende – und dazu kann man den 1966 geborenen Künstler nicht mehr zählen – haben heute ein ganz neues Verhältnis zu Materialien und Techniken aller Art  – von High Tech und KI bis hinunter zu Basics aus allen Sparten, auch dem Textilen.

Dieser andere Blick auf das Schaffen Benningers wird uns in der Kombination mit Pat Noser leicht gemacht. Ihr Schaffen war schon sehr früh ein politisches.  Wenn wir jetzt denken, dass die Wall Street, Panzer oder das Schweizer Banken-Zentrum in Zürich unverhofft mit dem Welt-Geschehen verknüpft seien, so liegen wir dahingehend falsch, als es schon immer so war. 1998 – ich glaube, es war ihre erste Einzelausstellung im Aargau, in der «Neuen Galerie» von Carlo Mettauer und Konrad Öhler – da machte sie sich deftig und wie zuvor schon malerisch brillant lustig über den Körper-Schönheits-Kult der Zeit  – rückte Barbie ins Zentrum, indem sie ihr das Fleisch, das Fett vom Körper zog.

Auch Kriegsgeschehen fanden immer wieder Echo in ihren Bildern, z.B. der Krieg in Jugoslawien 2005. Und dann war da ja ihre bekannteste Werkgruppe rund um Tschernobyl.

Im Vergleich dazu wirken die neuen Bilder vergleichsweise verhaltener, aber da und dort auch klar subversiver. Es gibt da zwei Momente, die ich herausschälen möchte. Seit einiger Zeit schon habe ich keine Leinwände mehr gesehen, sondern Malerei auf Packpapier, reduziert auf zeichnerisches schwarz/weiss. Da kommt etwas wie bei Jürg Benninger – es ist praktischer für den Transport, z.B. als Rolle unter irgendwelchen anderen Dingen im Kofferraum auf dem Weg zu einer Ausstellung in Deutschland. Aber das ist nicht das Zentrale. Es ist auch ein Abgrenzen gegenüber der auf dem Kunstmarkt immer noch höchst gehandelten Malerei – eine Nähe, die ihr eigentlich überhaupt nicht entspricht. Und dann ist das Zeichnen mit dem Pinsel sehr viel spontaner, direkter; erlaubt es, narrativer, kommentierender auf Geschehnisse, auf Erlebnisse einzugehen.

«Eigentlich bin ich eine Fotorealisitin», sagte sie diese Woche im Vorgespräch zu heute. Da musste ich einen Moment leer schlucken. Aber Fakt ist, dass den Bildern, die wir hier sehen Fotografien zugrunde liegen – soweit möglich eigene. Und mit Fotografien lässt sich gut spielen – kein Problem die Credit Suisse in Zürich mit dem neuen World Trade Center in New York und der engen Schlucht der  Wall Street zu kombinieren. Aber da sind ja seit einiger Zeit auch immer wieder Tiere – Tiere, die für etwas anderes stehen als nur sich selbst.  Ich vermute, dass es die Guerilla Girls – die Gorilla Masken Frauen der 1980er-Jahre in New York sind, welche uns im Kunstkontext – man könnte ja auch die Filmindustrie als Vergleich heranziehen – diesen Switch leicht machen. Dann und wann freilich nicht ohne Zusatzinformation – so fährt einem das Bild mit den drei rosaroten Affen so richtig ein, wenn man hört, dass es sich hier um Affen handelt, die aufgrund eines genetischen Defektes tatsächlich kein Fell haben und nackt sind. Ob sie real noch leben, weiss ich nicht, aber hier in diesem kümmerlichen Wald ist das nicht relevant, da sprechen sie für sich selbst.

Lassen sie mich nun aber von der Wechselwirkung mit Jürg Benninger sprechen. Da ist zum einen die rosarote Farbe der bereits erwähnten frühen Arbeiten, die fast automatisch mit den Bildern von Pat Noser zusammenklingen und beide Werke bereichern. Fast noch eindrücklicher sind aber die weissen «bonhommes» von 2012, die ohne Ohren und ohne Augen, aber mit offenem Mund am «Paradeplatz» stehen und sprachlos – man könnte auch sagen verständnislos – schauen, was sich da tut in dieser von Geld und Macht bestimmten Welt. Sie hüpfen nicht ins Bild wie zuvor erwähnt, sie sind Teil des Bildes von Pat Noser, weiten es in den Raum, werden zur gemeinsamen Installation, die dadurch näher zum Menschen rückt. Es würde mich nicht wundern, wenn sie in einem der nächsten Grossformate von Pat Noser plötzlich als Teil ihres Bildes aufscheinen würden.

Last but not least brennt mir noch etwas unter den Nägeln. Es ist am leichtesten anhand der vierteiligen, tatsächlich fotorealistischen, Waldpartie aufzuzeigen. Die auf der Basis von vier Projektionen entstandene Zeichnung passt so gar nicht zu den übrigen Werken Pat Nosers. Aber eben doch. Im Schaffen von Pat Noser gab es immer schon beides. Im Sinne von – man kann sich nicht die ganze Zeit nur mit negativen Schlagzeilen beschäftigen, da braucht es einen Ausgleich,  kleine Momente des sich Freuens, Momente, in denen man sich noch mit der Natur zu verbinden mag. Erst zusammen bilden sie ein Ganzes. Ich denke, wir kennen das alle – aber die meisten Kunstschaffenden verbergen es, zeigen nur die konzeptuelle, die anspruchsvolle Seite ihres Kunstschaffens oder sie verweilen nur im Beschaulichen, was ein umgekehrtes Ungleichgewicht ergibt.

Ich mag dieses Bekenntnis zum Ganzen in Pat Nosers Werk ausgesprochen. Und finde es – anders – auch bei Jürg  Benninger, der in letzter Zeit mehrere zur Abstraktion hin tendierende Arbeiten gemacht hat, da er spürte, dass es auch meditative Momente braucht, in denen er nur häkelt und ist, um Ruhe in sein lebendig-phantastisches Werk zu bringen.

Damit nun wahrlich genug – ich danke fürs Zuhören und stosse  nun gerne mit ihnen an auf dieses gelungene Ausstellung.