Bieler Fototage Highlights 2008

Die Realität als Bild der Vorstellung

annelisezwez.ch    Bieler Tagblatt 11. September 2008

Die Bieler Fototage 2008 befassen sich mit Inszenierung, mit fiktiver Realität. Ein Rundgang auf der Suche nach Qualität und ein „Preis“ für Corinne L. Rusch.

Annelise Zwez

Die inszenierte Fotografie unterscheidet sich vom dokumentarischen Bild dadurch, dass das Endprodukt Resultat aufwändiger Vorbereitung ist. Grundsätzlich ist die Fotografie inszeniert seit es sie gibt – man denke ans Posieren der Urgrosseltern in den Fotostudios. Doch dann folgte die Blütezeit der Reportagefotografie mit ihrer Überzeugung die Wirklichkeit abzubilden. Bis in den 1980er-Jahren mit Künstlern wie Jeff Wall und Cindy Shermann die Konstruktion respektive die Inszenierung von Bildern ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte und eine Vielzahl von Bildschaffen-den in der Kunst wie in der Werbung animierte.

Wenn die Bieler Fototage 2008 die inszenierte Fotografie thematisieren, so  tun sie dies zwangsläufig auf der Basis der Geschichte des Genres. Es stellt sich darum die Frage, wer unter den 19 Fotoschaffenden neue oder zumindest eigene Felder abzustecken vermag. Wer lediglich „Theater“ fotografiert, wer eigentliche Bild-Inszenierungen zu schaffen weiss.

Nach einem zweiten Rundgang geht der erste „Preis“ an die in Wien lebende Bündner Künstlerin Corinne L. Rusch (geb. 1973), die  im Espace libre und im Lokal.int. Werke zeigt. Dies weil sich der erste Eindruck, ihre grossformatigen, glänzenden Fotos zeigten unverständlich ästhetisierte Party-Girls im Elend früher Morgenstunden, bei näherem Hinsehen als undifferenziert erweist. Zwar sind zweifellos die Schatten  der Glamour-Welt das Thema, aber durch und durch inszeniert. Das vorschnell als „Erbrochenes“ Definierte zum Beispiel ist makellos weiss und was sich darin materialisiert sind Kristalle oder gereinigte Hühnerknochen (die ja niemand erbricht). Dies und andere Aspekte mehr zeigen, dass Rusch die Kehrseite mit ihrer Vorderseite aufzäumt und dadurch einen unlösbaren Gegensatz provoziert und zwar im Bild selbst. Das heisst,  hier wird nicht Theater fotografiert, sondern Inhalt bildlich inszeniert.

Dies etwa im Gegensatz zum Duo Geoffrey Cottenceau/Romain Rousset  (geb. 1978), welches das Obergeschoss der Alten Krone bespielt. Die beiden Franzosen mit Wohnsitz Lausanne inszenieren mit kindlicher Lust am Rollenspiel und Trash wie Matratzen, Decken, Leintücher, Stühle, Gestelle eine Art Reiterturniere. So weit, so heiter, aber die  grossformatig auf Papier ausgedruckten Fotografien sind nichts anderes als Frontalaufnahmen der Spiele der beiden; das heisst das Medium wird in keiner Weise ausgereizt. Die Fotografien bleiben Theaterdokumentation.

Der zweite „Preis“ geht darum nicht an sie, sondern an den im Tessin lebenden Italiener Christian Tagliavini (1971), der von der „Biennale dell’imagine in Chiasso“ für Biel vorgeschlagen wurde (umgekehrt wird Chantal Michel in Chiasso mit dabei sein). Seine Bilder (Museum Neuhaus) zeigen in makelloser Perfektion farblich unterkühlte Intérieurs in 1950er-Design, in welchen eine gestylte Blondine mit knallroten Lippen, ein schüchterner Verehrer und wie Fremdkörper eingeschleuste Farbobjekte (ein Geschenkpaket mit roter Schlaufe, ein pinkfarbener Schirm, eine Kinderzeichnung) zu sehen sind. Was der Titel „Cromofobie“ verrät, zeigt sich im Bild als geradezu greifbare, vielleicht gar erotische Spannung zwischen der Haltung und/oder dem Blick der Frau und den Objekten respektiven den sich „beissenden“ Rot von Lippen und Schirm zum Beispiel. Überzeugend ist hier nicht nur die Bild-Inszenierung, sondern auch die ironische Anspielung auf das berühmte Werk „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“ von Barnett Newman (1967).

Der dritte „Preis“ schliesslich geht an die beiden jungen Zürcher Taiyo Onorato/Nico Krebs (beide geb. 1979). Nicht nur weil sie als Einzige ein Projekt für Biel geschaffen haben, sondern auch als Einzige der reichlich langweiligen Präsentation der Fototage 08 ein Schnippchen schlagen indem sie ihr Projekt tatsächlich inszenieren, das heisst in einem selbst gebastelten Guckkasten ausserhalb des Museums Schwab präsentieren. Gut, umsomehr als der „Stollen“ Sinn macht, sind doch ihre „Bieler Fundstücke“ lustvoll unterwanderte Archäologie. Konkret: Sie haben in Biel – oft nur wenig Meter vom Standort entfernt – nach unbeachteten, vergessenen, „trashigen“ Winkeln, Objekten, Skulpturen, Verzierungen gesucht, diese theatralisch verfremdet und mit einem Schwarzweiss-Diafilm abgelichtet. So erscheint zum Beispiel eine in der Nähe stehende, männliche Bronzeskulptur in der Dia-Schau in ein keusches Blatt-Kleid gehüllt. Faszinierend ist nicht nur die subversive Unbekümmertheit des Projektes, sondern auch der fiktive Zeitsprung, den sie durch die Verwendung des antiquierten Schwarzweiss-Diafilms bewirken.

Zu den besondere Aufmerksamkeit verdienenden Arbeiten gehören auch die Beiträge von Annaïk Pitteloud, Markus Bertschi,  Istvan Balogh, Herbert Weber und Olivier Pasqual.

Info: Bis 28. September. Mi-Fr 14-18, Sa/So 11-18 Uhr. Ticketerias: Centre PasquArt, Alte Krone. Führungen: Je Samstag, 14 Uhr (ab Alte Krone). Kunstvermittlung und Weiteres: www.fototage.ch

Die Bieler Fototage
Gründung 1997 durch die „Fous d’images“ (Mirei Lehmann, Francis Siegfried, Vincent Juillerat, Olivier Evard)
Ab 1998: Co-Kuratorenschaft von Vincent Juillerat und Stefano Stoll
2002: Rücktritt des Duos. Vorwurf mangelnden Engagements durch die Stadt.
2003: Aufstockung der Subventionen. Wahl von Barbara Zürcher als Direktorin mit 40%-Pensum
2005 Rücktritt von Zürcher. Grund: Belastung zu gross für eine Einzelperson.
2006 Wahl von Hélène Joye-Cagnard und Catherine Kohler als Co-Direktorinnen mit je 25%-Pensen.
Aktuelles Budget: 200 000 Franken. Stadt Biel:  60 000, Kanton Bern: 30 000. Hauptsponsor: Banque Bonhôte &Cie SA, Biel. Im Weiteren: Bundesamt für Kultur, Migros Kulturprozent, „aquaverde“, „ediprim“, „Leica“, „Cendres+Métaux“, u.a.