VR Bronze und Eisen – Erwin Rehmann im Dialog mit Lehmbruck Richier Arp Mueller Odermatt Jaeggi u.a. Rehmann Museum Laufenburg 2009

Dialog mit Vorbildern und Zeitgenossen

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Vernissage-Ansprache von Annelise Zwez im Museum Rehmann, Laufenburg, 20. Juni 2009                                                           

Es ist „Déformation professionelle“ von KunsthistorikerInnen und KunstkritikerInnen ,– seien sie weiblichen oder männlichen Geschlechts, – Werke von Kunstschaffenden in Relation zu anderen künstlerischen Erzeugnissen zu sehen. Die von Cornelia Ackermann kuratierte Ausstellung „Bronze und Eisen“ – Erwin Rehmann im Dialog mit seinen Vorbildern und seinen Zeitgenossen – ist beredter Ausdruck davon. Und doch sind Ausstellungen dieser Art zu Lebzeiten der im Mittelpunkt stehenden Künstler selten.

Denn meist laufen Dialoge so ab: Man ist als Kunstfachfrau im Atelier eines Künstlers oder einer Künstlerin, lässt beim Rundblick seinen kunstgeschichtlichen Assoziationen freien Lauf und erntet damit nicht etwa Anerkennung, sondern ziemlich lautstarken Protest. Denn Künstler wollen nicht  als beeinflusst, sondern als autonom gelten. Darum zeigen sie auch ihre Frühwerke nur selten, obwohl diese immer ungemein spannend sind, weil sie das Prozesshafte der Entwicklung sichtbar machen, Werke zur Schau stellen, die noch nicht ihrem „Label“ entsprechen.

Sie spüren,  mir gefällt die Ausstellung, die ich hier und heute eröffnen darf und ich denke, es ist die Altersweisheit des 88jährigen Erwin Rehmann, der die Dialoge mit seiner Jugend nicht nur zulässt, sondern  sich ihrer mit Freude erinnert. Welcher Schalk leuchtet aus seinem Gesicht, wenn er von dem ihn mitprägenden Jahr im Atelier von Eduard Spörri ,– einst Monolith des traditionellen Kunstschaffens im Aargau, – erzählt.

So paart sich in dieser Ausstellung das Interesse der jungen Kuratorin und die Lust des auf ein reiches Leben zurückblickenden Künstlers am Wiedersehen und Wieder-bedenken seiner eigenen Jugend. Und wir dürfen davon profitieren.

Noch etwas ist als Hintergrund anzumerken, nämlich, dass die Ausstellung eine Art interaktive Komponente hat. Auf der einen Seite ist Cornelia Ackermann seit etwa einem Jahr hier tätig und als Kuratorin eines monographischen Museums beauftragt, das Werk des musealisierten Künstlers à fond kennenzulernen. Wie könnte sie das besser als wenn sie als erstes den Künstler mit seinen Anfängen konfrontiert und ihm damit Wesentliches – auch just das, was nicht in den drei Erwin Rehmann-Monographien steht – entlockt.

Auf der anderen Seite ist der Künstler, der sein Tun schon immer gerne mit Worten kommentierte. Vor zwei Tagen erzählte er, dass  er schon 1943 seinen ersten Bildhauer-Unterricht bei Hedwig Braus (wir finden sie als Bronze, modelliert von ihrem Künstlergatten Hermann Haller im ersten Ausstellungsraum), mit der Begründung beendet habe: „Ich glaube, ich schreibe lieber“, was diese hintersinnig mit dem Satz „guter Wein muss gären“ kommentierte.

Recht hatte sie, hier erklärt es aber die wertvolle Arbeit, die Erwin Rehmann, ganz im Sinne der aktuellen Ausstellung, schon seit einiger Zeit leistet. Er schreibt anhand des Werkverzeichnisses kurze Kommentare zu den einzelnen Arbeiten aus heutiger Sicht. Das ist für alle späteren Kommentatoren des Werkes ungemein spannend und eigentlich scheint es mir klar, dass das irgendwann „Erwin Rehmann – Band 4“ gibt.

Im Moment aber sehen wir, dass die Ausstellung quasi aus einem doppelten Interesse heraus Gestalt annahm und – so behaupte ich – nur darum ist sie so, wie soll ich sagen… so beseelt, so unterlegt von, von Forschung, von der Lust bereits Bekanntes noch einmal zu drehen und zu wenden, um dahinter Verstecktes zu erkennen.
Zum Beispiel noch einmal zu überlegen, warum Eduard Spörri seinerzeit die „Lehmbruck“- Skulptur des jungen Rehmann – sie steht als Bronzeguss im „Lehmbruck“-Raum der Ausstellung – warum sie der Meister verpackte und in den Estrich stellte.

Wohl weil sie Existentiellem Ausdruck zu geben versuchte – etwas, wohin  Spörri selbst nie fand, das er aber durchaus als wesentlich erkannte. Darum hatte er ja auch – man sagt auf Geheiss von seinem Freund Ernst Gubler –  die Terracotta-Version des „Mädchens, sich umwendend“ von 1914, die wir in der Ausstellung sehen, in den 1920er-Jahren in München erworben und ihr in seinem Atelier einen wichtigen, schliesslich seinen Assistenten jedoch mehr als ihn selbst beeinflussenden Platz zugewiesen.

Dieses Umfeld der 1940er-Jahre ist in den ersten zwei Räumen der Ausstellung spannungsvoll in Dialog gestellt: Spörri – Rehmann – Haller und dann Lehmbruck als Scharnierstelle zum „Kabinett“. Man soll dabei nicht ausblenden, dass dieses Feld ein kunstgeschichtlich retardiertes ist, das die Retro-Situation der Kunst in der Schweiz vor, während und kurz nach dem 2. Weltkrieg repräsentiert und Lehmbruck als Geschichte in der Geschichte aufnimmt.

Im „Kabinett“ ist dann das Blickfeld Rehmanns um 1950 nachgezeichnet – die Zeit als sich auch in der Schweiz das Trauma des 2. Weltkrieges zu lichten begann und in den 1930er-Jahren einsetzende Entwicklungen wieder neu wirken konnten.

Germaine Richiers „Fechterin“ und „Sava“ sind Paradebeispiele dafür – die Powerfrau und Gattin Charles Bänningers lebte während des Kriegs in der Schweiz und hat mit ihren Abbild in Form wandelnden Skulpturen grosse Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Auch wenn sich Erwin Rehmann – im Gegensatz zu Peter Hächler und Robert Müller – 1951 nicht dazu entschloss, ihre Schülerin zu werden, so hat sich doch die Kombination von Kraft und Form und Ausdruck als auch für ihn wegweisende Entwicklung zur Abstraktion erwiesen. Noch stand er selbst im Bann von Jean Arp und Henry Moore  – der hier leider fehlt (Leihgaben sind zuweilen nicht so einfach zu haben!).
Für Erwin Rehmann waren, wie die „Féminité“ von 1951/55 im Kabinett und wichtige Skulpturen im Aussenraum zeigen, Raum-Körper im leiblichen Sinn des Wortes, der weibliche Schoss als Form, später auch als Licht-Ort wichtiger als die Manifestion von Kraft und Autonomie, wie sie Richier suchte.

Es ist eine Freude, dass der Bezug zu Arp mit einer so ausserordentlich qualitätvollen Arbeit wie der „Croissance“ von 1938/60 aufgezeigt werden kann, wenn auch die Tendenz zum Surrealen, wie sie bei Arp sichtbar ist, im Werk von Rehmann nicht aufscheint, vielleicht durch die zeitliche Distanz – Arp ist 35 Jahre älter als Rehmann –  schon nicht mehr nötig ist.

Mit der Treppe hinauf ins Obergeschoss springt die Ausstellung direkt zu den  Eisenplastiken, die eine ganz andere Sprache sprechen. Eine Vertiefung ins Werk von Rehmann – wir haben hier ja nicht eine Retrospektive im engeren Sinn – zeigt, dass der Bruch zunächst eine technische Forderung war indem das vermehrt Lineare einer relativ kurzen Phase in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre die Bronze als Material einfach nicht mehr sinnvoll machte. Dann aber wurde das Material Eisen selbst zur Faszination. Die Form paarte sich mit den dem Eisen innewohnenden Eigenschaften von Härte, von Verdichtung, von geballter Energie, die es gewissermassen zu befreien und damit zu zeigen gab.

Interessanterweise ist die Figur in den „Raum-Ereignissen“, wie Rehmann Arbeiten von 1959 nennt, aber immer noch latent da. Es war für die Bildhauer der Zeit ein Riesenschritt, sich vom jahrhundertelang dominierenden Skulptur-Thema so weit zu lösen, dass nicht mehr das Mindeste davon übrig blieb, das uns – die wir aus Wenigstem Gesicht oder Figur konstruieren – dazu verlocken könnte, selbst im Ungegenständlichen das Figürliche wieder reinzupacken.

Sie sehen das auch an den in Dialog gestellten Werken – bei der einen Arbeit von Luginbühl etwa ist es ein Leichtes, einen mit einem Schild bewehrten Körper zu assoziieren und bei Robert Müller ist die Kombination von Organischem und Abstraktem offensichtlich.

Erwin Rehmann gelingt die Ablösung mit den Raum-Wänden, die so stark ins Architektonische wechseln, dass die Figur keinen Denk-Platz mehr hat. ABER: Können wir überhaupt denken ohne Menschbezug?

Bei allen drei Eisenplastikern fällt auf, dass sie Begriffe wie Wucht und Kraft und latent auch „Gewalt“ provozieren.

Es ist ja nicht Zufall, dass in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre die Eisenplastik ins Zentrum der bildhauerischen Auseinandersetzung rückt. Da ist zunächst die Industrie, die sich verändert und tonnenweise Alteisen auf Schrotthaufen deponiert, das da zum Fundus für die Künstler wird. Das reicht aber nicht als Grund. Die späten 1950er-Jahre sind auch die Zeit der Aufarbeitung des 2. Weltkrieges – und wie viel vergewaltigter Eisenschrott blieb da auf den Schlachtfeldern – in der Normandie zum Beispiel. Da paarten sich also zwei Ströme – ein physischer und ein psychischer, oft wohl nicht einmal bewusst.

Als Cornelia Ackermann und ich vor zwei Tagen Erwin Rehmann fragten, inwieweit die gewaltsamen Einschnitte und die „Explosionen“  in den Raumwänden in diesen Kontext gestellt werden können, wehrt er zuerst ab. Für ihn sei das Material massgebend gewesen, das Erkennen und Erfahren der gewaltigen Kräfte, die dem Eisen innewohnen, verdichtet sind darin und in seinen Arbeiten sichtbar gemacht werden sollen. Das ist sicher richtig.

Aber es ist nicht alles. Denn der Künstler selbst äussert sich im erwähnten, neuen Begleittext zu diesen Arbeiten differenziert. Er schreibt: „Wo nahm ich eigentlich die Kraft her, diese Wut und diesen Zorn, die sich wie eine künstlerische Apotheose aufspielten? Lag es in der Materie Eisen, die auf mich übersprang? Und rief sie in mir selber eine schwarze Natur wach?“

Da ist sie doch, diese Ambivalenz, dieses sowohl als auch – das eben, was gute Kunst ausmacht, nämlich nie nur etwas zu sein, sondern immer neue Fragen zu stellen.
Dass Rehman vom Material – auch in einem physikalisch-naturwissenschaftlichen Sinn – fasziniert war, das zeigt sich bei ihm – mehr als bei seinen Kollegen – daran, dass er den Werken nie eine handwerkliche Meisterschaft überstülpte, sondern das Verhalten des Materials im Gestaltungsprozess sichtbar beliess.

Ich glaube auch, dass er den zitierten Satz, der nach anderen, inneren Beweg-gründen fragt, erst heute so schreiben kann. Und auch Cornelia Ackermann und ich erst heute so fragen. Weil nämlich Bilder von Explosionen, Bombenattentaten, Krieg uns heute – durch die Bildmedien – so geläufig sind, dass sie zu unserem kollektiven Bildschatz gehören und darum bei allem, was wir anschauen schnell ins Bewusstsein rücken.
Ausgehend davon, könnte man eine ganze Abhandlung schreiben…

Die Ausstellung aber führt weiter, zeigt mit einer neuen Werkgruppe von Josef Maria Odermatt den künstlerischen Weg des Eisens in die Gegenwartskunst. Odermatt hat Jahrgang 1934, ist also 13 Jahre jünger als Erwin Rehmann, aber gleichwohl bereits in den 1960er-Jahren als Eisenbildhauer tätig. Man hätte also auch zeitgleiche Arbeiten zeigen können. Wichtiger ist aber den Dialog fortzuführen.

Bei Odermatts präzisen, handwerklich den „Schlossermeister“ zeigenden Arbeiten sind nicht mehr die Hintergründe präsent, wie ich sie eben skizzierte. Da hat sich längst die Minimal Art als Background etabliert, Minimal Art in der europäischen Ausformung, die oft ein letztes Restchen von Funktionalität integriert und so  nicht nur Form, sondern auch Geschichten evoziert. Eine wunderschöne Gruppe von Arbeiten hat er nach Laufenburg gebracht.

Dank dieser neuen Odermatt-Gruppe war es dann für Cornelia Ackermann  quasi ohne Bruch auch möglich noch einen Schritt weiter zu gehen und eine Frau und eine Künstlerin mit Jahrgang 1956 – nun schon 35 Jahre jünger als Erwin Rehmann – zu integrieren. Barbara Jäggis Umgang mit Eisenblech geht noch einmal einen Schritt weg von der ursprünglichen Eisenplastik – sowohl was die Mächtigkeit des Materials anbetrifft wie die Verarbeitungsweise.

Hier wird genietet, „genäht“, geklebt. Hier wird Grösse geschaffen mit Hohl- und Zwischenräumen, hier wird mit Licht „gemalt“, die materielle Eigenschaft des Reflektierens ausgenutzt – das gab es nicht bei Rehmann, bei Müller, bei Luginbühl. Nicht die „Macht“ des Materials ist angedacht, sondern die Kombination von Stabilität und Leichtigkeit.

Es ist zweifellos der Faktor Frau, der andere kollektive Arbeitsweisen – zum Beispiel das Nähen – als Automatismus mitbringt, der hier wirkt, aber es ist auch die technische Entwicklung, die ganz andere Bildfelder geschaffen hat und damit indirekt auch die Kunst beeinflusst.

Ich bin überzeugt, Sie haben Lust die künstlerischen Dialoge nun beim Apéro in Wort-Dialoge zu übersetzen und beende darum meine Ansprache mit einem Dankeschön fürs Zuhören.

Bildlegenden (alle Bilder: azw)

Erwin Rehmann und Zeitgenossen: v.l.n.r. Skulpturen von Erwin Rehmann, Robert Müller, Bernhard Luginbühl

Skulpturen von Eduard Spörri (links) und Erwin Rehmann (rechts) von 1947/48 im Dialog.

Féminité, Bronze-Skulptur von Erwin Rehmann, 1951

Blick in den Raum mit Werken von Barbara Jäggi (geb. 1956 in Luzern)