Jessica Stockholder Kunstmuseum St.Gallen 2000

Farbige Objekte als begehbare Malerei

www.annelisezwez.ch              Annelise Zwez in Aargauer Zeitung März 2000

St.Gallen ist es gelungen, die zu den internationalen Grössen zählende Amerikanerin Jessica Stockholder (1959) für eine installative Ausstellung zu gewinnen. Das Markenzeichen der Künstlerin: Farbige Objekte als begehbare Malerei.

„Jessica Stockholders Installationen sind eine Hommage und gleichzeitig eine Aneignung aller wichtigeren Strömungen amerikanischer Nachkriegskunst. Sie verfügt über einen &Mac226;Wortschatz‘ … mit dem sie in einer schwindelerregenden Geschwindigkeit durch den Abstrakten Expressionismus, die Pop Art, die Minimal Art und die Konzeptkunst segelt”, schreibt Anthony Ianacci im Schweizerischen Kunstbulletin 4/96. Das Verblüffende daran ist, dass Stockholder dabei gleichzeitig die skulpturalen wie die malerischen Positionen verquickt. Ihre raumfüllenden Installationen bestehen aus Baumaterialien, Stoffen, Lampen, Bänke, Spiegel und vielem mehr, die sie als begehbare Bühnen zwischen Architektur und Intérieur inszeniert.

Dabei spielen die Gegenstandszuordnungen wie Bank, Vorhang, Legobausteine, Ständerlampe, Leiter etc. nur eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht die ungegenständliche Malerei, das dreidimensionale Spielen mit Farbfeldern. Oft in Tönen, die eigentlich nicht kombinierbar sind; zum Beispiel drei verschiedene Hellgrün, gemischt mit Weiss respektive Gelb oder Umbra. Weil die Farben als Lackschichten auf Spiegel, als grüngelbe Glühlampen, als Acryl-Wandmalerei erscheinen, halten sie die Spannung aus. Mehr noch, sie sind ausschlaggebend dafür, dass die Farben ins Zentrum der Wahrnehmung rücken und nicht Design und Funktion der Gegenstände.

Die Hauptinstallation im Oberlichtsaal lässt durch einen violettroten Vorhang, eine Gartenbank und einen Theaterscheinwerfer die Assoziation „Bühne” zu. Im Stück geht es zunächst um eine hausähnliche Konstruktion aus Lego-Duplo-Steinen in blau, rot, gelb, grün, weiss und schwarz. Diese erhebt sich daraufhin über farbige Baucontainer vom Modell in die Vorstellung von etwas unermesslich Grossem. Eine kreisrunde, altrosa-farbige Wandmalerei, die sich mit Stoff über die Stukkaturen wölbt und schliesst in eine Deckenmalerei ausfranst, bricht das scheinbar Lesbare. Unterstützt vom Lichtkegel des Scheinwerfers bringt der Farb-Ball Form und Raum ins Geschehen und evoziert das faszinierende Gefühl, tatsächlich im Theater der Malerei zu stehen. Konzeptuelle „Malerei” von solcher Sinnlichkeit und solchem Reichtum an Präzision und Lust zugleich, ist einmalig.

Die zweite für St.Gallen entstandene Installation lässt die Dinge, aus der sie geschaffen sind, nicht im selben Mass vergessen. Die Spannung baut auf die Gleichzeitigkeit des Eindrucks von miefen Brockenstuben-lampen und ihrer Verwendung als Farbquellen. Entscheidend ist aber auch hier das Brechen der Linearität; diesmal durch eine scheinbar kontext-lose „Figur” aus Papiermaché, die auf einer Leiter und den raum-begrenzenden Gittern liegt. Die dritte Raumarbeit ist ein Wiederaufbau von 1991. Obwohl die Zitronen auf der Farblade frisch sind, zeigt sich daran die Krux der Arbeitsweise von Stockholder (und vieler anderer Kunstschaffender). Vor 10 Jahren geknautschtes respektive in Plastiksäcke abgefülltes Papier wirkt schlicht und einfach abgestanden und ausdruckslos. Vielleicht gibt es für Rauminstallationen halt wirklich nur Sol LeWitts Rezept: Das Werk als Anleitung zur erneuerbaren Konstruktion.

Über sechs Jahre hinweg haben die St.Galler Museumsleute die Künstlerin „bearbeitet” – Ausstellungen sind zuweilen Resultate aufwendiger Diplomatie. Dabei ist es dem Team Roland Wäspe/ Konrad Bitterli nicht zu verargen, dass sie ihr konzeptuell ausgerichtetes Programm als Grund angeben für die Zusage der Künstlerin. Zumindest mitdenken muss man aber die Freundschaft von Jessica Stockholder mit Mary Heilmann, die in der St.Galler Kunstsammlung der weit über die Schweiz hinaus tonangebenden Galerie Hauser & Wirth breit vertreten ist. Eine Werkgruppe der malerisch konstruktiv arbeitenden Künstlerin aus dem Fundus der Sammlung von Hauser & Wirth ergänzt denn auch die stockholdersche Ausstellung. Nie vergessen, die Dinge zu vernetzen, sagt der Kunstmarkt.