Bieler Fototagen 2000

Das Eigene im Blick auf die Anderen

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt September 2000

 

Warteschlangen vor dem Centre PasquArt in Biel: Seit der Eröffnung der Fototage kann das an Sonntagen schon mal vorkommen. Besonderer Anziehungspunkt: Der Franzose Paul Almasy. Doch auch in den vielen kleinen Ausstellungen in der Altstadt herrscht reger Fototage-Verkehr.

Die Bilder von 8 Künstlerinnen und Künstlern umfassende Hauptausstellung der 4. Bieler Fototage steht unter dem Motto „objektiv/subjektiv“. Miguel Rio Branco, Cristobal Hara und Dolores Marat treiben den subjektiven Aspekt bis an die Grenze barocker Inszenierung voran oder nehmen sich so stark zurück, dass nur ein Hauch des Sichtbaren bleibt. Die schwarz-weissen Bildsprachen von Paul Almasy, Koji Inoue und Katerina Kalogeraki hingegen wurzeln in der „anteilnehmenden Fotografie“ wie sie sich – gerade auch in der Schweiz – nach dem 2. Weltkrieg als Aspekt der „Subjektiven Fotografie“ formierte. Sie unterscheidet sich von der Dokumentarfotografie der 30er Jahre durch die emotionale Beziehung, welche die Fotograf/-innen zu ihren Motiven aufbauen und sichtbar machen. Der in Frankreich lebende Ungare Paul Almasy (geb. 1906), der über längere Zeit für das Haus Ringier arbeitete, ist einer ihrer Pioniere. Dass die Fototage das Schaffen Almasys erstmals in der Schweiz im Überblick zeigen können, ist ausserordentlich. Chronologisch setzt die Ausstellung im Photoforum im Centre PasquArt mit einer Foto der „Rückkehr der ersten Familie“ ins zerstörte Vologne in der Normandie (1944) ein. Der Schwerpunkt liegt jedoch bei Bildern der 50er und 60er Jahre, entstanden auf Reportagereisen rund um die Welt. Die Qualität ist eindringlich.

Charakteristisch ist die Gleichzeitigkeit von strukturellem Schauen und menschlicher Wärme. Zum Beispiel der Blick auf eine „Briqueterie“ unter freiem Himmel, aufgenommen 1950 in Pakistan. Zu sehen sind zum einen die in der Sonne trocknenden Backsteine; sie geben dem Bild die konstruktive Struktur. Zum anderen ist da – in seitlicher Rückenansicht – eine kauernde Frau, die mit dem Pressen des Lehms in die Holzform beschäftigt ist. Die Komplexität, die Almasy dem Thema Arbeit und Leben hier und in vielen andern Bildern zu geben vermag, ist eindrücklich. Zu den Highlights gehört, etwas am Rande, ein Porträt von Alberto Giacometti, aufgenommen 1960 in Paris. Giacometti schliesst eben die Türe zu seinem schäbigen Atelier. Er sieht den Fotografen und würde sich am liebsten unsichtbar machen. In seiner Haltung und seinem Gesichtsausdruck ist jedoch gerade dadurch der Künstler und sein Werk gespiegelt.

Zu den Höhepunkten zählt ohne Zweifel auch die Ausstellung des 1993 verstorbenen Japaners Koji Inoue (Burgplatz 16). Seine Subjektivität ist geprägt von seinem Schicksal. Für den Taubstummen ist das Schauen die einzige Kommunikationsmöglichkeit. Wer sich in seine Bilder ärmlichen japanischen Alltags einsieht und sich die Bedeutung des Schauens vergegenwärtigt und spürt wie sehr der Fotograf immer auf den Moment wartet, da er den Augen der Menschen – vielfach Kindern – begegnet, ist berührt vom Reichtum, der in diesen Dialogen liegt. Das kleine Mädchen zum Beispiel, das mit einem grossen Regenschirm über den Marktplatz geht und dann den Kopf für einen Moment, so scheint es, nach rechts zum Fotografen lenkt. Oder der Fischer am Meer, in dessen Augen sich – von woher auch immer – ein feines Licht spiegelt. Oder der Hund, der in der Mitte einer menschenleeren Strasse sitzt und in die Ferne schaut. Im zweiten Weltkrieg ging Inoues Frühwerk verloren, doch ab den 50er Jahren werden seine Bilder einem breiteren Publikum bekannt. In Frankreich fanden in den 90er Jahren zwei Ausstellungen statt. In der Schweiz ist sein Werk erstmals zu sehen.

1982 wanderte die griechische Fotografin Katerina Kalogeraki (geb. 1960) nach England aus. Die Distanz zur Familie ermöglichte in den 90er Jahren die Rückkehr auf Zeit und ein fotografisches Porträt von „My father’s land“ (Boîte à images, Obergässli 6). Es ist das extrem Karge, das Nackte von Stühlen und Tischen, einem Holzherd, einem Schulzimmer, das sie (wohl als Kontrast zu London) fasziniert. Sie zeigt es nicht als Ausdruck ländlicher Armut, sondern lässt es – auch in den Gesichtern der Olivien aussortierenden Menschen oder der alten Frau bei der Käseherstellung – als selbstbestimmte Bescheidenheit erscheinen. Manchmal verklärt der subjektive Blick zurück.

Die von Zonen blauen Neonlichts in städtischen Quartieren bestimmten Farbaufnahmen der jungen Zürcher Fotografin Françoise Caraco (geb. 1972) fallen aus dem Konzept von „objektiv/subjektiv“ (Schnetzler Design, Obergasse 22). Oder sie sind gar dessen Umkehrung. Denn anonyme Kälte städtischer Hinterhöfe und Mehrfamilienhausquartiere bestimmen das Klima der architekturbetonten Aufnahmen. Mehr noch: Durch die Wiederkehr von blauen Anti-Drogen-Licht-Zonen wird es geradezu aggressiv. Subjektivität im Sinne von Menschlichkeit, wie sie in den anderen Ausstellungen aufscheint, fehlt. Die Bildgruppe überzeugt jedoch durch konzeptuelle Geschlossenheit. Umso irritierender sind die unzusammenhängend wirkenden Finnland-Aufnahmen, welche die Künstlerin bei Oro Verde vis-à-vis (Obergasse 27) zeigt.

Zu den Fototagen gehört auch eine „Carte blanche“. Wie 1999 erhielt sie Kunstvermittlungsort der ersten Stunde: Das Nikon Image House in Zürich. Es gab die „Carte Blanche“ dem jungen, in London lebenden Schweizer Fotografen Stefan Walter weiter. Dieser zeigt in der Kasbar eine Vielzahl von schwarz-weissen Kleinformaten, welche vor allem die Unschärfe und auch die Zufälligkeit beiläufigen Sehens thema-tisieren. Mal ist der Moment ein „Bild“, mal nur ein Fragment. Bewegungsun-schärfe fängt die Zeit, die Reise ein. Nicht Bildvermittlung steht im Zentrum, sondern eine Form des Sehens wie sie nur die Fotografie zeigen kann.

Überraschend ist schliesslich das „Junge Talent“ (Magietheater Arcanum, Obergasse 11). Nicht die Dias, welche Christophe Brunet – räumlich völlig verquer und inhaltlich wenig überzeugend – als Prozess einer Bildzerstörung durch Lichtwärme zeigt. Sondern die auf zeichnerische Wirkung reduzierte und gezielt beleuchte Grossaufnahme im Dunkel des Theaters. Sie zeigt eine männliche Figur mit eregiertem Glied in Christus-am-Kreuz-Pose. Es ist keine Pornographie, sondern wohl der emanzipatorische Versuch eines jungen Mannes, das katholische Dogma der Trennung von Geist und Körper zu durchbrechen.