Roman Signer, Aktion Biel

Requiem für die Vereinigten Drahtwerke

Annelise Zwez, Bieler Tagblatt, 22. Dezember 2007

Seit Peter Liechtis Film «Der Koffer» ist der Aktionskünstler Roman Signer auch Nichtkunstfreaks ein Begriff. Heute Abend setzt er in Biel Zeichen für das Verschwinden der Vereinigten Drahtwerke.

Naturverbunden: Viele Aktionen von Roman Signer finden direkt in der Natur statt, so auch «Sand» von 1999. / Bild: Katalog Biennale Venedig Seiten-Raketen schwärzen die Wände (1993) / Foto: azwEs ist ein schöner Gedanke des Architekturforums, dass nicht nur Menschen ein Requiem verdienten, sondern unter Umständen auch Gebäude, die Geschichte geschrieben haben. Wohl niemand bezweifelt, dass die Vereinigten Drahtwerke Biel Bözingen ein gewichtiges Stück Bieler Industriegeschichte sind. Doch ihre Zeit ist vorbei und demnächst werden die Gebäulichkeiten am Ausgang der Taubenlochschlucht verschwinden, um Neuem Platz zu machen. Zeit, ein Zeichen zu setzen.

Zeit-Skulpturen

Dass dem Bieler Architekturforumdie Idee kam, den Appenzeller Künstler Roman Signer (geb. 1938) einzuladen, in den leeren Räumen eine seiner «Zeit-Skulpturen» zu inszenieren, liegt fast auf der Hand. Denn das Wasser der Schlucht, das einst mit seiner Kraft die Generatoren antrieb, um die Draht-Produktion in den Farbrikhallen anzukurbeln, ist als System fast schon eine Signer-Skulptur. Das realisierte wohl auch der Künstler, als er zur Besichtigung kam und Isabel Strehle, die das Projekt leitet, spontan zusagte.

Eine längst gehegte Idee, so Signer, könne er an diesem Ort ideal realisieren. Was er konkret damit meint, wird erst heute Abend klar werden. Dann nämlich, wenn die drei Aktionen live auf Leinwand übertragen werden. Die unmittelbare Teilnahme vor Ort ist gemäss Veranstaltern nur Eingeschränkt möglich.

Was dennoch klar ist: Es werden «Ereignisse» sein, welche Feuer, Wasser oder Luft als Hauptakteure einsetzen. Denn seit den 1970er-Jahren geht es Roman Signer darum, die Kräfte der Elemente in Szene zu setzen. Wasserfälle, Raketen, Helikopter, Velos und Windkanäle sind dabei seine Lieblings-«Spielzeuge»,Kajaks, Stiefel, Fässer und Eimer viel genutzte Utensilien. Die Grenzen des Möglichen wurden im Laufe der Zeit stetig ausgeweitet, aber dennoch blieb Signer immer der «Poet des Einfachen» und verlor die Nähe zu den elementaren Kräften der Natur nie.
Er sei schon als Kind ein Pyromane gewesen, sagte er uns einmal und verwies auf seinen Grossvater, der Feuerwehrmann gewesen sei. Und: «Das Haus meiner Eltern lag direkt an der Sitter; bei Hochwasser schlug das Wasser des Flusses so laut an die Kellerwand, dass das ganze Haus vibrierte.» Ferner: Als Sohn eines Musikdirektors habe er früh gelernt, den Widerhall im Wald von Stimmen in einer Höhle zu unterscheiden.

Das sei – Kind vom Lande in den 1940er-Jahren – seine Welt gewesen. In Kunstkreisen spürte man die Brisanz seiner physikalischen Kunst-Experimente schonfrüh–1973erhielt er das erste Eidgenössische Stipendium – doch als er 1987 zur Eröffnung des Kunstmuseums St. Gallen ein pinkelndes Fass zum Brunnen erklärte, kam der Bevölkerung die Galle hoch.

Internationale Karriere

Das wäre heute nicht mehr so, denn unsere Zeit, die Ephemeres dem Bleibenden vielfach vorzieht, hat den «Ereignis»-Künstler eingeholt und ihn zum international gefragten Künstler-Star gemacht. Die Zeiten, da er Projekte nur skizzieren, aber niemals umsetzen konnte, sind vorbei. Mehrfach war er an der «documenta» in Kassel dabei und 1999 vertrat er die Schweiz in Venedig. Und vor allem: Durch die Zusammenarbeit mit der Galerie Hauser&Wirth in Zürich übernahm ein Professioneller die Vermarktung der flüchtigen Aktionen, die heute über Fotos, Videos und Video-Stills, meist von Signers Frau Alexandra Mir aufgenommen, internationalen Marktwert haben. Gleichwohl ist Signer unabhängig geblieben. So konnte zum Beispiel das Architekturforum direkt mit dem Künstler verhandeln und musste keinem Manager eine Gage bezahlen.

Wer weiss: Vielleicht dachte Signer beim Stichwort Biel an seine früheren Auftritte vor Ort. 1975 nahm er – zusammen mit Bernhard Tagwerker – erstmals an der Bieler Plastikausstellung teil. Der Katalog berichtet von einem Transfer der Cheops-Pyramide nach Biel. Ein mit Wasserstoffgas gefüllter Fesselballon sollte an vier Stangen im Seebecken befestigte Nylonseile zur Pyramide formen. Eigenartigerweise kann sich aber niemand – nicht einmal der Kurator von damals – an das Projekt erinnern, was heisst, dass die Idee damals floppte. «Ich habe immer aus gescheiterten Experimenten gelernt», sagte Signer einmal. 1980 stellte er dann eine 2,40 Meter hohe Eisen-Schwenktür ein die Schüss, die sich je nach Wasserstandbewegte. Und 1986 nahm er den selben Gedanken nochmals auf: Er spannte eine Reihe farbiger Kajaks im Schüsskanal aus, so dass sie je nach Pegel entweder schwebten oder auf dem Wasser zu gleiten schienen. Ob er heute in den Drahtwerken an damals andocken wird?

4xsigner

Die Aktion 4xsigner wird vom Bieler Architekturforum veranstaltet. Sie findet heute Mittwoch um 19 Uhr im Kopfgebäude der ehemaligen Drahtwerke an der Solothurnerstrasse statt. Die drei Aktionen werden live auf Leinwand übertragen. Die unmittelbare Präsenz im Raum ist nur teilweise möglich und erfolgt auf eigene Verantwortung.

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