Vernissagerede für  die Genfer Künstlerin Eva Saro anlässlich ihrer Ausstellung in der Galerie Schedler in Warth

  1. August 1994

Von Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Galeristen, liebe Eva

Im Mai 1993 ist die Galerie Schedler hier in Warth eröffnet worden. 1993 eine Galerie eröffnen – für die, welche mit Haut und Haar im Kunstbusiness stecken, nur etwas zum Kopf schütteln. In einer Zeit, da viele Kunststätten mangels Finanzen, mangels Interesse, mangels neuen Impulsen in der Kunst ihre Tätigkeit reduzieren oder gar ihre Tore schliessen – was war im Thurgau, der doch so wenig mit zeitgenössischer Kunst zu tun haben schien, nur passiert? Und dann erst noch eine Galerie auf dem Lande – wo die Kunst der 90er Jahre nun doch wirklich etwas Urbanes ist. So in etwa mögen manche Zürcher und andere Städter reagiert haben als sie erstmals von der Galerie Schedler in Warth hörten, vielleicht sogar den ersten Katalog – zum Schaffen von Rahel Müller – in Händen hielten.

Es ist nun aber ein – vielfach zu wenig beachtetes –  Phänomen, dass es immer wieder der „hungrigen“ Regionen, der terrae incognitae, bedarf, um Neues werden zu lassen. Denn die Begeisterungsfähigkeit, man kann auch sagen der Idealismus, wächst nicht aus einem Gefühl der Sattheit, sondern aus dem Bedürfnis nach Nahrung. Und ich denke, soweit ich das aufgrund meiner Beobachtungen und meines Gespürs beurteilen kann, stehe ich hier auf einer kleinen terra incognita, zusammen mit Menschen, die etwas entstehen lassen wollen. Ein schönes Gefühl, gepaart mit dem Wunsch, es möge gelingen, aus den Anfängen etwas Dauerndes zu formen. Die bisherigen Ausstellungen galten primär Kunstschaffenden aus der weiteren Region – das ist richtig, denn man muss in konzentrischen Kreisen aufbauen und im Thurgau fehlt ja offensichtlich eine Galerie, die diese Funktion aus dem Lokalen heraus wahrnimmt.

Nun werden sie vielleicht unsicher und denken, ja halt, die Künstlerin, die heute hier ihre erste Ausstellung im Thurgau eröffnet, stammt ja gar nicht aus der Region. Richtig, aber  da gibt es noch ein weiteres Moment. Im Thurgau gibt es zur Zeit – einmal abgesehen vom Wolfsberg mit seiner eigenen Struktur  –  im Bereich der zeitgenössischen Kunst eigentlich nur zwei Institutionen mit überregionaler Ausstrahlung: Das kantonale Kunstmuseum in der Karthause und  – in bescheidenerem Rahmen – die Shed im Eisenwerk in Frauenfeld. Und da ist es für eine Galerie wichtig, sich in dieses Energienetz einzuschleusen. Sei es, dass Kunstschaffende, die zuvor da oder dort ausstellten, hier wieder erscheinen – Sie wissen wie wichtig die Verdoppelung einer Wahrnehmung ist, um sie als Erinnerung einzuschreiben – oder – und nun sind wir endlich bei der Ausstellung von Eva Saro – es werden Kunstschaffende eingeladen, die da oder dort während längerer Zeit weilten und so die Region zu einem Impulsfeld für das eigene Schaffen machten.

Die Genferin Eva Saro – fast exakt 10 Jahre jünger als ich – (jetzt können sie spekulieren) weilte von Januar bis April dieses Jahres im Kunst-Atelier der Karthause und hat hier ihr Werk weiterentwickelt und gleichzeitig neue Projekte entworfen. Man soll nicht erwarten, dass sich ein in den USA und in Genf vorangetriebenes Werk innerhalb von 3 Monaten thurgauisch färbt. Zwar nehmen zwei Projekte, welche im unteren Stockwerk als Ideen präsentiert werden, direkt Bezug zu einem Haus in Weinfelden respektive – auf anderer Ebene – zum Lebensinhalt der Karthause ( auf dieses Konzept komme ich noch zurück). Die Aufenthalte, welche die Karthause anbietet, haben  aber vielmehr im alten Sinn der Gebäude etwas mit „Klausur“ zu tun, mit Stille und mit Denken.

Entsprechend nennt Eva Saro ihre Ausstellung hier in der Galerie Schedler „Zeichen aus der Stille“. Vielleicht denken Sie nun, wenn Sie in die Runde schauen – und mir ging es eigentlich zunächst ähnlich – dass die hellsten, reduziertesten Werke der Ausstellung in der Karthause entstanden sind, zum Beispiele diese schattig-weiss strukturierten, doch das stimmt nicht, im Gegenteil, die farbigsten und auch kompositorisch grosszügigsten haben ihre Gestalt in der „Klause VI“ erhalten. Eva Saro sagt mit Recht: In der Stille kann man ausatmen und es ist viel mehr Farbe möglich. Es sind nicht Zeichen der Stille, welche Eva Saro uns zeigt, sondern Zeichen aus der Stille. Ich will nun aber nicht das im Thurgau Entstandene gegen das im Laufe der letzten Jahre Geschaffene ausspielen, das scheint mir unter künstlerischen Auspizien nicht sinnvoll.

Eva Saro hat ihr künstlerisches Werk als Malerin und als Zeichnerin begonnen; gleichzeitig hat sie sich als weltgereiste Frau intensiv mit dem Leben, insbesondere den gesellschaftlichen Strukturen befasst. Das Frühwerk hat in gewissem Sinn fröhlichen Charakter, von den Formen und Farben her klingt es nach in dem, was wir hier sehen, aber da sind von der Aussage und dem Gestaltungsprozess her entscheidende Unterschiede. Eva Saro hat mir das nicht erzählt, aber ich denke – unbewusst – sei sie Mitte der 80er Jahre an einen Punkt gekommen, da ihre Lebenserfahrung und ihre Lebensbeobachtungen mit der aus der Kindheit gewachsenen Fröhlichkeit nicht mehr zu vereinbaren waren. Im Werk findet um 1987 eine rigorose Reduzierung statt und an die Stelle der Kreide, des Pinsels tritt das Papier als Werkstoff. Wir müssen uns überlegen, was das grundsätzlich heisst: Wenn wir einen Stift, einen Pinsel in der Hand haben, ist das wie ein Vermittlungsinstrument, eine Mal-Maschine. Der Kontakt mit der künstlerischen Arbeit bleibt bei allem Lenken durch Körper und Geist immer ein indirekter.

Wenn aber der Bildträger, das Papier, zum Werkstoff wird, dann hält die Künstlerin die „Kunst“ zunächst unmittelbar in den Händen. Sie reisst das Papier, sie knautscht es, sie glättet es, sie tränkt es, klebt es usw. Anfänglich trug die bearbeitete Papierschicht immer noch klare Zeichen, die letztlich die Werke bestimmten. In den neueren Arbeiten aber, ist das  Malen und das Modellieren mit dem Papier Methode und Gestalt zugleich. Inhaltlich kommt allerdings noch ein wichtiger Faktor dazu. Nämlich die Tatsache, dass die Papiere alle aus Zeitungen oder Zeitschriften stammen, eventuell auch einmal Plakate waren. Das ist nicht einfach praktischer, und es geht nicht darum, über das unter der distanzierenden, weissen Acryl-Deck-Schicht gerade noch Lesbare etwas mitzuteilen, sondern es hat ganz essentiell damit zu tun, dass wir alle und eine Künstlerin, die Bilder schaffen will, vielleicht noch stärker, sich von der Bilderflut unserer Zeit überrannt, bedroht fühlen. Wie ist ein eigenes Bild zu schaffen, wenn täglich Tausende an einem vorbeiflimmern oder als Druckerzeugnisse auf den Tischen liegen? Wie vor lauter Infiltration und Beeinflussung das Persönliche finden?

Saro ist nicht die einzige Kunstschaffende, die das Bedürfnis hat hier einzugreifen. Grundsätzlich fasziniert das Einbringen von gedruckt Vorgegebenen die Kunstschaffenden seit dem Kubismus – man denke an die Buchstaben und Wörter die Braque und Picasso anfangs Jahrhundert in ihre „Stilleben“ eingefügt haben, dann an die Dada-Zeit und wieder an die 60er Jahre als die Collage eine Vielzahl von Künstler und Künstlerinnen faszinierte. Aber eben, faszinierte, während es heute vielmehr die Abwehr ist, die zum Verarbeiten drängt, Eva Saro und andere. Ich habe letztes Jahr einen Katalogtext für einen jüngeren Zürcher Künstler, namens Lukas Salzmann, geschrieben, der über lange Zeit Bilder aus Zeitschriften herausschnitt und dann so lange mit dem Pinsel bearbeitete, bis sich aus dem vorgegebenen Bild ein eigenes herausformte. Oder da ist die Bernerin Heidi Gassner, welche Reproduktionen aller Art in schmale Bänder reisst und sie dann wieder in neue Bilder einwebt. Es gäbe der Beispiele mehr.

Da ist aber noch die Frage der Wahl der Bilder, die bearbeitet oder verarbeitet werden sollen. Sie könnte rein zufällig sein. Bei Eva Saro und den zwei anderen genannten Beispielen findet aber ein mehr oder weniger bewusstes Greifen statt. Damit sie das Bild nehmen und zum Fundus zukünftiger Gestaltung legen, muss ein energetischer Impuls aktiv werden. Eva Saro sagt, anfänglich habe sie mit Genuss japanische Zeitungen verarbeitet – wir sehen das noch in diesem interessanten Buch-Objekt – damit das Lesen wegfalle, das Wissen um Information aber bleibe. Später wurden dann die Farben zu starken Attraktoren, wobei wir als Kunstbetrachtende hier nur selten mehr eruieren können, in welchem Zusammenhang diese Rot, Grün, Blau, diese Muster einst standen.

Wichtiger ist, dass wir die Arbeit des Entstehens spüren, dass wir die zwangsläufig mit etwas Aggression herausgerissenen oder zerrissenen Papiere – in der Vorstellung –  in den Händen tragen, mitsamt der klebrigen Fischleim-Masse. Und damit nachvollziehen können, wie Eva Saro mit diesen Papieren „malt“, Bilder gestaltet, seien sie dicht gedrängt und intensiv wie die „Heart-Beats“ ( die Serie, die sie Herz-Schläge nennt), oder still und zurückgenommen wie die fast monochrom weissen, die stärker über die Struktur sprechen. Seien es die fragmentarischen, in den die Farbzonen aus dem Weiss auftauchen oder die neueren, in denen deutlicher als zuvor kompositorische Momente aufscheinen.

Es bleibt die Frage nach dem Ziel. Das Warum haben wir schon angedeutet, wohin aber führt die Reise. Sie führt zunächst einmal zu ungegenständlichen Bildern, die durch Anlage und Reliefierung respektive Materialausstrahlung wirken. Und was bewirken sie? Ich denke, so genau kann man das nicht benennen. Es sind Felder mit einem prägnanten Enstehungsprozess, die sich – auf der Basis ihrer Geschichte –  als Tummelplatz für die Augen, den Tast- oder Materialsinn anbieten. Bei welchen Werken Lust da ist, zu verweilen, hängt sehr stark von individuellen Strukturen ab, vom Zusammentreffen der Schwingungsfelder von Bild und Person. Machen Sie es sich zur Aufgabe, sich zu fragen, warum sie da lieber schauen als dort! Das kann ganz spannend sein. Ich für mich weiss schon, wo ich am liebsten bin und ich ahne auch warum, doch das führt hier zu weit.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch ein Zurückkommen auf Eva Saros Karthause-Projekt „Begegnung“. Die Idee ist, den Menschen, die durch die Anlage gehen, mit Fragen und Statements zu konfrontieren, um sie anzuspornen, das, was sie umgibt, denkend in sich hineinzunehmen. „Que ressentez-vous dans ce lieu?“ heisst es da etwa, oder „Qu’est-ce qui rend une rencontre possible?“ oder „Qu’est-ce qui ma fait regarder ici?“ oder „C’était quand mon dernier téléphone amoureux?“ oder „Qu’est-ce-qui me donne envie de partir ou de rester?“ Eigentlich sind das Fragen, die sich die Künstlerin selbst während ihres Aufenthaltes in Ittingen gestellt hat. Sie können unten die Liste einsehen, französisch und deutsch. Und eigentlich können Sie sie in Gedanken mitnehmen und damit den Bildern von Eva Saro und darin sich selbst begegnen. Das ist das eine. Das andere ist, dass die GSBK Schweiz in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum des Kantons Thurgau für 10./11. Juni 1995 in der Karthause ein Symposium unter dem Titel „Künstlerinnen heute“ veranstalten will – noch ist das Projekt nicht ganz gesichert. Doch wenn es grünes Licht gibt  – und nachdem ich dieses zweitägige Symposium massgeblich mitgestalten werde, kann ich hier versprechen, dass ich mich – zumindest in meinen Möglichkeiten – dafür einsetzen werde, dass sich  Eva Saros Projekt – die Lust der Künstlerin vorausgesetzt – in diesem Rahmen verwirklichen lässt.

Für heute danke ich fürs Zuhören und wünsche einen schönen Samstagabend.