„Au centre, l’artiste“ – die Selbstbefragung des Künstlers 2000

Das neu/alte CentrePasquart in Biel vor der Eröffnung

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 29. Dezember 1999

Biel wird Kunststadt. Ab kommendem 1. Januar, 11 Uhr ist die Ausstellung „Au centre, l’artiste“ im neuen und im renovierten CentrePasquart für das Publikum offen. Die offizielle Eröffnungsfeier findet (aus baulichen Gründen) indes erst am 21. Januar statt.

„Au centre, l’artiste“ ist zugleich Thema der ersten Ausstellung wie Programm für die Zukunft. Man will in direkter Auseinandersetzung mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten. Vorerst ist „Au centre, l’artiste“ – der französische Titel umgeht die umständlich Nennung von „Künstler und Künstlerin“ elegant – nun aber eine Werkschau zum Thema Selbstbefragung und Selbstinszenierung in der Kunst seit dem Beginn des Jahrhunderts. Der Spannungsbogen führt – vereinfacht ausgedrückt – von den Selbstbildnissen Hodlers und Amiets zu Beginn des Jahrhunderts über den Aufbruch der Künstlerinnen zum eigenen Ich in den 70er und 80er Jahren bis hin zu den multimedialen Lifestyle-Inszenierungen der Jetzt-Zeit.

Oder anders formuliert: „Au centre, l’artiste“ zeichnet einen Weg vom attitüdenhaften Blick in den Spiegel über existentielle Fragen nach dem Selbst bis zur Inszenierung des eigenen Körpers, zum Rollenspiel, zur virtuellen Erscheinung. Einen Weg auch von der Malerei und der Zeichnung über die Fotografie bis zur Performance und zum Film. In Künstler-Namen ausgedrückt kann das zum Beispiel heissen von Felix Valloton über Dieter Roth bis zu Marina Abramovic, John Copland, die Bieler Gruppe „relax“ und die Französin Natacha Lesueur. Oder, noch einmal anders: Von Ernst Ludwig Kirchner, Robert Schürch und Ignaz Epper über Gian Pedretti, Martin Ziegelmüller und Lis Kocher bis Günter Förg, Christa Näher und Anna & Bernd Blume. Nationales, Internationales und Regionales werden bewusst, aber nicht konzeptuell, ineinander verschränkt. Die Gleichzeitigkeit des Lokalen und des Globalen zeigt sich – und analog das Nebeneinander von Bekanntem und Unbekanntem. Das ist eine spannende Grundanlage mit dem und zugleich abseits dessen, was die grossen Museen in zuweilen erschreckender Gleichförmigkeit abspulen. Dass dabei verschiedene Qualitätsebenen aufeinanderstossen, ist nicht a priori negativ.

Dem Konzept folgend wonach das CentrePasquart von verschiedenen Institutionen gleichzeitig bespielt wird, ist „Au centre, l’artiste“ sowohl eine Ausstellung des Museums wie – in Eigenregie – des Photoforums. Die überaus geschickte, architektonische Verzahnung von Alt- und Neubau bringt eine starke – und sinnvolle – Integration des Photoforums ins Ausstellungsgeschehen. So macht gerade die Parallele sichtbar, wie sehr die Fotografie – der Struktur ihrer Technik folgend – seit dem 19. Jahrhundert wesentlichen Anteil an der Bedeutung des Selbstporträts in der Kunst hat. Die Fotografie, die nicht als Kunst galt, war dem Maler „Spiegel“ und Inspiration zugleich. Eindrücklich zeigt dies in Kapitel eins der Ausstellung die bunte Reihe von Selbstbildnissen von Max Buri, Ernst Geiger, Giovanni Giacometti, Werner Neuhaus und Walter Kurt Wiemken. Nicht nur diesbezüglich, sondern in vielen Facetten erweist sich die klassische Fotografie als Basis für die Thematik der Ausstellung, deren zeitgenössischer Teil – im Neubau – neben einem reichen Video-Programm vor allem von der Fotografie eingekreist wird.

Das Centre Pasquart ist, obwohl mit seinen 1600 m2 Fläche nun eines der grösseren Ausstellungsinstitute der Schweiz, nicht ein schweizerisch bedeutendes Museum und somit für Leihgaben der grossen Häuser nicht interessant. Das mussten Andreas Meier und Hélène Cagnard in der Vorbereitungsphase immer und immer wieder schmerzlich erfahren. Weder Chur noch Zürich noch Basel waren bereit, Werke aus ihrer Sammlung nach Biel auszuleihen. Das Leihgabengeschäft beruht heute stark auf Austausch; ein Museum, das keine grosse, eigene Sammlung hat und nicht die finanziellen Möglichkeiten um eine „Miete“ zu bezahlen, ist a priori auf verlorenem Posten. Unter den Schweizer Museen gibt es offenbar nurmehr Konkurrenzdenken.

Eine Ausnahme hiezu bildet einzig das Kunstmuseum Bern (wohl um die Kantonsbehörden nicht zu vergraulen; schliesslich ist man ja von derselben Subventionsbehörde abhängig). Für die Ausstellung in Biel heisst das ganz klar – es fehlen wichtige Werke, insbesondere im Bereich der klassischen Moderne, des Expressionismus. „Es gab Momente, da meinten wir, die Ausstellung sei aus Mangel an relevanten Werken nicht realisierbar“, sagt Andreas Meier mit Wehmut. Für alle, welche die Idealvorstellung der Ausstellung nicht kennen, gibt es aber nichtsdestotrotz Wertvolles zu sehen. Was für die kunsthistorische Ebene richtig ist, gilt nicht für den zeitgenössischen Bereich. Im Markt tätige Galerien haben ein ganz anderes Interesse, ihre Künstlerinnen und Künstler in wichtigen Ausstellungen zu plazieren und sind somit zu bedeutenden Leihgaben bereit; erwähnt sei zum Beispiel die Zusammenarbeit mit der Galerie Barbara Grässlin, Frankfurt. Das führt zwangsläufig dazu, dass der zeitgenössische Teil der Ausstellung der prominenteste ist. Denn da liessen sich Ideen umsetzen – auf den eigenen Körper ausgerichtete Arbeiten bewusst inszenierten, spielerischen gegenüberstellen. Oder Körperliches und Gesellschaftliches sowie Geschlechterbezogenes aufeinander treffen zu lassen.

Gerade der zeitgenössische Teil lässt ahnen, was von den neuen „Diener & Diener“ -Räumlichkeiten her in Zukunft möglich sein wird. Ganz ausspielen kann die Ausstellung diese Trumpfkarte allerdings noch nicht, zu sehr wird überall bis in die letzte Minute gebaut. So dient die grosse, dem Stifter gewidmete „Salle Poma“ vorerst als Veranstaltungssaal und wird erst im Frühjahr mit einer eigenen Ausstellung zum eigentlichen Kunstort werden.