Eidgenössische Kunstpreisträger in der Kunsthalle Zürich 1999

Kunst der Film- und Fernsehgeneration

Annelise Zwez, 30.12.1999

Zum 100sten Mal hat die Eidgenossenschaft 1999 Preise für freie Kunst vergeben. Werke der 30 Ausgezeichneten sind als spannendes Panoptikum zeitgenössischer Kunst im Löwenbräuareal in Zürich zu sehen. Zur Ausstellung ist das Buch „Ueber Preise lässt sich reden“ – 100 Jahre Eidgenössische Stipendien erschienen.

Ein Rundgang durch die dichtgedrängte, multimediale Ausstellung in der Kunsthalle Zürich macht es klar: Die Natur hat ihre jahrhundertelange Stellung als Inspirationsquelle für die bildende Kunst fast ganz eingebüsst. Als Zimmerpflanzen-Szenario für die exotischen Lifestyle-Fotos des Jungstars Olaf Breuning mag sie noch herhalten. Doch die Bilder, welche die jungen Kunstschaffenden heute faszinieren, stammen primär aus der Film-, TV- und Internetwelt oder recyclen die Geschichte der Kunst selbst. Costa Veces „Bomb #4“ – ein mit Elektronik und „Dynamit“ ausgestattetes Militärzelt – wirkt wie eine Hardware-Inszenierung für fiktive Filmaufnahmen. Veces Arbeit politisch zu interpretieren, wäre falsch – die junge Kunst ist in fast erschreckendem Mass apolitisch. Gefragt ist vielmehr die Extase, gesponsert von Mc Donalds (Susann Walder).

Die Eidgenössische Kunstkommission (EKK) ist eines der wenigen Kunstgremien in der Schweiz, in dem die Künstler dominieren. In der neunköpfigen Jury wirken zur Zeit John Armleder, Silvie Défraoui, Alex Hanimann, Claudio Moser, Flavio Paolucci und Claude Sandoz. Die stark erneuerte Künstlerpräsenz mag ein Grund dafür sein, dass die Vielfalt des im eigentlichen Sinne Bildhaften in der Ausstellung sehr gross ist. Die Modellinstallation „Die erste Ausstellung“ von Anders Guggisberg/Andres Lutz zeigt es quasi als pars pro toto: Ihr üppigst ausgestattes Museumsszenario mit überquellender Kunst im Kleinstformat bereitet gleich die Kunstgeschichte des ganzen Jahrhunderts auf. Auf die 30 Künstler und Künstlergruppen bezogen heisst es, dass keine Arbeit einer anderen gleicht.

674 haben sich beworben

Aufgrund einer Reglementsänderung – neu können sich alle Künstler bis zum 40.Altersjahr nach eigener Zeitwahl insgesamt sieben Mal bewerben – war die Zahl der von der Kommission zu sichtenden Dokumentationen so gross wie noch nie, nämlich 674. Rund 80 Kunstschaffende kamen im Sommer in die zweite Runde, 30 erhielten einen Preis. Das heisst nicht nur, dass die Zahl der Kunstschaffenden in der Schweiz zur Zeit enorm gross ist, sondern auch, dass die Auswahl sehr viele Zufälligkeiten einschliesst. Sei es, dass die Vergabe an den erst 23jährigen Jonathan Delachaux eine Eintagsfliege ist, die Laubsäge-Welt von Reto Leibundgut nur der letzte Versuch, die Skulptur als Gattung im Wettbewerb zu halten. Andererseits ist unbestreitbar, dass die Eidgenössischen Preise für freie Kunst ein Markenzeichen sind. „Niemand kann es sich leisten, nicht dabei zu sein“, sagt ein junger Künstler in der soziologisch ausgerichteten Arbeit von Christian Philipp Müller, die als Auftragsarbeit zum 100-Jahr-Jubiläum entstanden ist. Die Qualität der Fotografien von Hubbard/Birchler, die spannende Mischung von Realität und Fiktion in den Videos von Moser/Schwinger und Emanuelle Antille, der unkonventionelle Umgang mit Bild, Licht und Gesang in „Pace, Pace mio Dio!“ von Laurent Goei zeigen indes, dass sich in den Eidgenössischen Preisen trotz Unwägbarkeiten Essenzielles der äusserst heterogenen jungen Schweizer Kunst trifft.

Seit jeher werden im Rahmen der freien Kunst auch Architekten ausgezeichnet, wobei man, so Jacqueline Burckhardt, Präsidentin der EKK, bewusst Akzente bei experimentellen und utopischen Projekten setze. Einen Architektur-Preis erhielten dieses Jahr unter anderem die Verfasser der Expo-Artplage von Yverdon, Mateja Vehovar und Stefan Jauslin.
Deutlich bringt die Ausstellung auch die aktuelle Konzentration der Kunst auf die Städte Genf und Zürich zum Ausdruck. Fast alle Preistragenden arbeiten da oder dort. Das kritisch-lebendige Basel steht zur Zeit im Hintergrund. Ein Thomas Popp aus Waldstadt (AR) wirkt in diesem Kontext schon fast wie von einem fremden Stern. Sein Fotoessay, das Gleichförmigkeit rund um den Globus zeigt, ist bezeichnenderweise eine der wenigen Arbeiten, die unmittelbar mit der äusseren Realität arbeiten. Die Achse Zürich – Genf heisst nicht, dass die Regionen inexistent sind; man muss sie indes über die individuellen Biographien suchen. Da wird der Genfer zum Berner, der Zürcher zum Appenzeller usw.

Ueber Preise lässt sich reden

Vor exakt 100 Jahren wurden die ersten vier eidgenössischen Stipendien vergeben. Inzwischen haben sich rund 15’000 Künstler und Künstlerinnen um einen Preis beworben und rund 1400 Kunstschaffende wurden ausgezeichnet. Das Bundesamt für Kultur nahm das 100-Jahr- Jubiläum zum Anlass, diese „andere Schweizer Kunstgeschichte“ aufzuarbeiten (was bisher nie getan wurde). Enstanden ist ein vierhundert Seiten starkes, spannendes Buch, das in Bildern und Texten von zahlreichen Autoren und Autorinnen detailreich über wann und wie oft Gefördertes respektive Verweigertes berichtet. Dabei geht es nicht nur um Statistiken, im Sinne von „wer hat im Lotto gewonnen und wer nicht“. Daniel Kurjacovic zum Beispiel weist in seinem analytischen Text auf die komplexen Wechselwirkungen von Gesellschaft, Zeitgeschichte, Politik und Bundesstipendien hin. Insofern kann es nicht erstaunen, dass es in diesen staatlichen Strukturen den Künstlerinnen, obwohl in der jüngeren Szene zahlenmässig stark vertreten, bisher nicht gelungen ist, das eingefuchste Patriarchat zu knacken; Pipilotti Rist zum Trotz. Das vorliegende Buch ist ein Paradebeispiel dafür. Der konsequent mehrsprachige Rückblick ist nichtsdestoweniger eine kritische Aufarbeitung der Situation der Schweizer Kunst einst und jetzt; an der Wende von der demokratisch geförderten Kunst zum Künstler im Netzwerk globaler Marktkunst. „Das Buch“, so Redaktorin Catrin Künzi,“ist die Plattform, um über die Zukunft der Kunstförderung in der Schweiz nachzudenken“.

Über Preise lässt sich reden kann in der Kunsthalle Zürich oder im Buchhandel (ISBN 3-280-02403-X) erworben werden.