Klaus Lutz im Helmhaus in Zürich.2000

Performance, Zeichnung und Film in einem

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Aargauer Zeitung 22. Dezember 1999

Marie-Louise Lienhard sucht im Helmhaus in Zürich immer wieder den Spagat zwischen Zurückliegendem und Gegenwärtigem. Die erste grosse Ausstellung des 59jährigen, in New York lebenden Ostschweizers Klaus Lutz ist hierbei ein Glanzstück.

Der erste Blick ist Staunen: Da präsentiert ein hierzulande weitgehend unbekannter Künstler namens Klaus Lutz ein filmisches Universum, das den experimentellen und monomanen Forschergeist der 60er/70er Jahre verrät und parallel dazu den Vergleich mit jüngsten, digitalen Produktionen im Stil eines Yves Netzhammer herausfordert. Der seit 1990 in einer winzigen Wohnung in Manhattan lebende Hüne appenzellischer Herkunft ist zwar in den 70er Jahren mit streifenbetonten Kaltnadel-Leporellos zu Robert Walser Berliner Stücken in Erscheinung getreten, doch zu verhalten, um national wahrgenommen zu werden. Blickt man von heute zurück, hat man den Eindruck, der Bergdorf-Schullehrer habe ein halbes Leben darauf verwendet, sich lesend und denkend eine Weltstruktur zu schaffen, um diese dann ab 1987 als alchemistische Bildfelder in Zeit und Raum aufzuzeichnen. Ein Einzelgänger, der Duchamp gleich die komplexesten Vernetzungen in zeichenhafte Bilder wandelt, die scheinbar nichts als eine Grammatik der Bewegung repräsentieren.

Zu sehen sind 16mm-Filme, deren jeweilige Loop-Länge an den im Raum ausgespannten Streifen ablesbar sind. Projiziert werden die Filme auf flache Leinwände oder – häufiger – auf riesige weltkugelförmige, Luftkissen. Die zwischen drei und zwanzig Minuten dauernden Sequenzen zeigen unter anderem extraterrestrisch wirkende Laborsituationen – die Assoziation Weltraumspaziergang stellt sich ein, zerfällt aber so schnell wieder wie alle anderen Versuche, das Sichtbare erzählerisch zu greifen.Immer wieder tauchen eine oder mehrere Figuren (stets der Künstler selbst) auf, die sich in verschiedensten Tempi und Rhythmen durch das filmische Universum bewegen oder auch nur darin rotieren. Das Lebendige steht dabei in Spannung zu einer trickfilmartig eingesetzen Strichfigur. Für den filmischen Fortgang scheint ein roter resp. weisser „Stichel“ zu zeichnen, der in Knotenpunkte einsticht und damit Bildwandel auslöst. Eine wichtige Rolle spielt auch eine Zeichentafel, welche die Figuren mit sich tragen, besetzen oder Gesetztes löschen.

Ebenso spannend wie die zwischen Renaissance, Aufklärung und Gegenwart flottierende Bildwelt an sich ist die paradoxe Produktionsweise. Die gesamten Filme entstehen in einem „Filmstudio“ von neun Quadratmetern – einem Zimmer der New Yorker Wohnung des Künstlers. Durch raffinierte Kamerasetzungen und sekundengenaue Abläufe und mannigfaltige Tricks gelingt es ihm, seine filmische Welt völlig allein zu produzieren. Ueber ein Gummibällchen im Mund zum Beispiel vermag er die Kamera ein- und auszuschalten, ein Art Metronom zählt die Sekunden. Bis zehnmal überlagert er – einer komplexen Druckgrafik gleich – dieselbe Bildsequenz.

Klaus Lutz kennt weder die aktuelle Szene noch die Kunstgeschichte à fonds. Dennoch, so allein ist er nicht. Vom Aspekt des monoman entwickelten, hermetischen Weltentwurfs her ist er durchaus ein Vertreter seiner Generation – man denke an Künstler von André Thomkins über Roman Signer bis Hugo Suter. Man kann angesichts des im positiven Sinn „Knorzigen“ sogar von einem typisch schweizerischen Werk sprechen. Auch wenn Vergleiche immer hinken, so ist Lutz doch ähnlich wie Signer immer auch der Performer, der sich selbst als Körper in seine Welt einbringt, somit Kreator, Darsteller und Dargestelltes in einem ist. Was bei Signer indes auf die Natur Bezug nimmt, konzentriert sich bei Lutz auf den Schreibtisch, auf die Zeichnung, die Erfindung, die Täuschung, deren Gesetzmässigkeiten im Denk- und Vorstellungsprozess sowie der filmischen Technik ruhen. Gerade über das Medium Film katapuliert sich Lutz indes stärker als die anderen in die junge Kunst, für welche der Experimentalfilm der 70er Jahre eine wichtige Quelle ist. Nur, was die Jungen recyclieren, erfindet Lutz immer noch selbst.

Perfomances zu den Filmen: Do 23. und 30. Dezember, 18 Uhr. So 2. und 9. Januar, 11 Uhr. Donnerstag, 20. Januar, 18 Uhr: „The Beauty of my Island“ (Video von Frank Matter zur Arbeitweise von Klaus Lutz).