Mireille Gros Kunstmuseum Bern 2001

Kunst im „Gleichgefühl“ mit der Natur

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 6. Juni 2001

Ein „Gleichgefühl” von Natur und Kunst zu finden ist Ziel der Papier- und Fotoarbeiten von Mireille Gros (47). Anfangeinfangen nennt sie es und „Emergences“ ihre Ausstellung im Kunstmuseum Bern.

Nach dem hektischen Siegeszug der Neuen Medien quer durch Museen und Kunsthallen, bricht sich da und dort das Bedürfnis nach Langsamkeit wieder Bahn. „Emergences“ von Mireille Gros ist ein Beispiel dafür. Vieldeutigerweise stellt ihr das Kunstmuseum Bern dafür einen Teil der Klee-Räume zur Verfügung. Und sie wirken da, so klein und unscheinbar die Zeichnungen, Objekte, Fotografien, Bilder und Videotapes sind. Die in Basel lebende Künstlerin liess die sechs Räume in ein lichtbündelndes, „schwebendes“ Hellgrau tauchen; um Distanz zum Alltag und ein Klima zu schaffen, in dem auch feine Vibrationen spürbar sind. Und in den vier Sälen mit neuen Arbeiten beschränkt sie sich auf zwei Bild- respektive Rahmenformate. Um die Konzentration auf die Gleichklänge und Wechselwirkungen in den verschiedenen Medien zu lenken.

Das Recherchierfeld, in dem sich Mireille Gros bewegt, ist die Natur zwischen Wasser und Vegetation, wobei Abbildhaftes, Mikrokosmisches und Fragmentiertes frei zwischen naturwissenschaftlicher Beobachtung und in der Imagination Gefundenem flottieren. Die feinen Formen erinnern an Vertrautes aus der Pflanzenwelt und sind bei näherem Betrachten doch immer anders als das Bekannte. Die Essenz liegt nicht im Gegenständlichen, sondern im spürbar Machen eines Gefühls von Nähe jenseits von Sprache und Definition. Die Künstlerin spricht von ihrer Suche nach dem „Gleichgefühl“ des in der Natur Sichtbaren und im Körper Erinnerten. Und gerade da ist wohl die vom Ort der Ausstellung her suggerierte Nähe zu Aspekten im Werk von Paul Klee. Wie Charles W. Haxthausen belegt, forschte Klee in seinen „auratischen“ Bildern nach der Gleichzeitigkeit von Erinnerung und Präsenz. Das gilt auch für Mireille Gros, wenn auch der Appell deutlich naturbezogener ist.

Und die Schichten erscheinen bei Gros anders als bei Klee als Überlagerungen, sondern als Nebeneinander von Analogem in verschiedenen Medien. Zum Beispiel durch Gegenüberstellungen von Zeichnungen, Aquarellen und Fotografien. Schöpfte Mireille Gros ihre vegetabilen und fossilen Formen lange Jahre aus Beobachtung, Verinnerlichung und Neukreation auf dem Papier, entdeckte sie eines Tages, dass die auf Naturdetails gerichtete Kamera ähnliche Bilder zu Tage fördert wie sie ihr „aus dem Papier wachsen“ (MG). Der Gefahr des banal Illustrativen entgeht die Künstlerin indem sie die Nachbarschaften intuitiv wählt, das heisst Wechsel-Aspekte zwischen Fotografie und Zeichnung sind sichtbar, sondern nur als mögliche Annäherungen spürbar. Dieses offene System zwischen Mikro und Makro überträgt die Künstlerin im Sinne der Vereinzelung auch in Malerei und im Sinne von „Erdung“ in Druckgrafik, in welcher Linien, Formen und Texturen Spuren in der Materialität des Papiers zu sein scheinen. Bearbeitete Videotapes aus der Kindheit der Künstlerin verquicken schliesslich Kunst und Leben.

Der Titel der Ausstellung, der sich im Laufe der Vorbereitungen von „Anfangeinfangen“ zu „Emergences“ wandelte, verdeutlicht die Position der Künstlerin, die das immer Komplexere unserer Zeit abzustreifen sucht, um den schöpferischen Anfang wieder zu finden. Trotz Querverbindungen zur Naturwissenschaft – im Katalog lässt sie unter anderem einen Astrophysiker zu Wort kommen – nimmt sie sich die künstlerische Freiheit einer romantisch-spirituellen Vision der Welt. Kunstgeschichtlich wächst ihr Werk aus den 70er Jahren als „Natur und Kunst“ sowohl spirituell wie umweltkritisch ein wichtiges Thema waren. Es gibt aber auch Verbindungen zur Welle des intuitiv Zeichnerischen, wie es in den 80er Jahren insbesondere von Frauen, vorab im Kontext von Körperwahrnehmung, gepflegt wurde (Silvia Bächli, Rosmarie Trockel, Ilona Rüegg u.a.m.). Mireille Gros hat sich, nach Anfängen in tänzerisch-bewegter Figürlichkeit, Mitte der 80er Jahre auf Paracelsus‘ Wandlungskraft des Schöpferischen in der Natur konzentriert und dies – wie sich nun zeigt – in erstaunlicher Konsequenz vertieft, so dass sie es heute der Hektik der Zeit mit konzeptueller Entschiedenheit entgegen setzen kann. Nicht zuletzt weil sie sich ganz bewusst mit den Konstitutiven der jeweiligen Medien auseinandersetzt. So wie die Schöpfung aus den Vibrationen von Wasser, Luft und Erde entstanden sei, sagt sie, so formten sich auch ihre Bilder aus Wasser, Farbe und Papier.

Es gilt allerdings festzuhalten, dass die von Marc Fehlmann, dem Leiter des Graphischen Kabinettes kuratierte Berner Ausstellung das Werk von Mireille Gros selektiv zeigt, das heisst der zeichnerische Strang wird gegenüber dem Malerischen, den es durchaus auch gibt, in den Vordergrund gerückt. Dass dadurch die schwerelose Seite ihres Schaffens betont wird, widerspricht indes der grundsätzlichen Suche der Künstlerin nicht. Dass das Kunstmuseum Bern, das schon vor einigen Jahren einen ersten Zeichenzyklus ankaufte, der bisher vor allem von Dieter Koepplin vom Graphischen Kabinett des Kunstmuseums Basel und dem Kunsthaus ihres Heimatkantons Aargau geförderten Künstlerin so viel Raum gibt, zeugt von erstaunlichem Mut zu (scheinbar) unspektakulären Gegenpositionen. Die Ausstellung zeigt sich aber gleichzeitig in einer Linie mit früheren Kabinett-Ausstellungen, etwa von Bethan Huws oder auch von Luc Tuymans.

Katalog.