„Über die Grenzen“ Fotoausstellung Pro Helvetia Photoforum Biel 2001

Schicksale zwischen Angst, Hoffnung und Tod

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 02.06.2001

Nie waren so viele Menschen unterwegs. Manche aus Abenteuerlust; viele auf der Flucht. Von den Grenzen, die sie dabei erleben, erzählt eine Wanderausstellung der Pro Helvetia, in Zusammenarbeit mit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Kurator ist Daniel Schwartz. Start ist am 9. Juni 2001 im Photoforum PasquArt in Biel.

Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr tritt die Schweizerische Kulturstiftung Pro Helvetia als Veranstalterin einer Ausstellung im Centre PasquArt in Biel auf. Diesmal im Photoforum. Biel und das PasquArt scheinen in Zürich, dem Sitz der Pro Helvetia, positiv besetzte Begriffe zu sein. Die Expo.02? Vielleicht. Aber nur in dem Sinne, als die Eigenart Biels als Viel-Kultur-Ort durch die Expo-Aufmerksamkeit heute gesamtschweizerisch bekannter ist als vor Jahren. Für die Première der Wanderausstellung „Über die Grenze“ mit Foto-Essays zum Welt-Phänomen der Migration, veranstaltet von der Pro Helvetia mit Hilfe der „Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit“ (DEZA), schien Biel/Bienne, wo sich zwei Kulturen begegnen und Menschen mit 70 verschiedenen Muttersprachen leben, geradezu prädestiniert. Die Stadt wäre allerdings nicht zum Zug gekommen, gäbe es daselbst nicht das Photoforum als eine der ältesten Institutionen in der Schweiz, die sich ausschliesslich der Fotografie (mit Schwerpunkt Reportage) widmet. Der Kurator der Ausstellung „Über die Grenze“, der Zürcher „du“-Fotograf Daniel Schwartz, war vor Jahren mit seinem Projekt „The China Wall“ selbst Gast des Photoforums.

Die Ausstellung zeigt zehn fotografische Essays, die von Transnistrien über die Schweiz bis nach Mexico vom Unterwegssein zwischen Verzweiflung und Hoffnung erzählen, von Ein- und Ausgrenzungen, von Leben und Tod. Es sind Essays, die für die Ausstellung entstanden, aber auch Bildzyklen, die zeigen, dass die Aktualität nichts als die Wiederholung des Gestern ist. 1995 zum Beispiel folgte der Zürcher Fotograf Manuel Bauer (35) einem Vater und seiner sechsjährigen Tochter auf der Flucht von Tibet über das Himalaya-Gebirge nach Indien. Die Tochter sollte die tibetische Kultur erlernen und bewahren dürfen. Dafür musste er aus dem chinesisch besetzten Tibet fliehen und ihr und sein Leben aufs Spiel setzen. Die Bilder zeigen die Grenzen, welche die Natur dem Menschen setzt, aber auch den Willen zum Überleben und schliesslich die Freude, wobei man ahnt, dass das Ende auch Tod hätte heissen können. Fast will man nicht glauben, dass der Fotograf dabei gewesen sein musste, dass das alles nicht inszeniert ist, kein Drehbuch für einen Film, sondern Realität zeigt.

Die Ausstellung zeigt Geschichten – von den Migrationsbewegungen zwischen Mozamik und Süd-Afrika, vom neuen Leben in San Franciscos „China Town“, von unbekannten Militär-Regimes im fernen Bessarabien (ex UdSSR), von der palästinensischen „Heimat als Gefängnis“, vom Grenz-Fluss, der im kosovarischen Mitrovica Serben und Albaner trennt. „Über die Grenzen“ ist eine Ausstellung mit politischen Dimensionen. Die Fotografien beziehen zum Teil sehr direkt, zuweilen zwischen den Zeilen Position. Sie zeigen keine austarierte Diplomatie, sondern spiegeln Parteinahme … für die Menschen, die, warum auch immer, aufbrechen müssen, wollen und oft an Grenzen scheitern. Bilder von Pufferzonen zwischen Macht und Mensch; Erfolgsgeschichten und Todesdokumente. Emotionen begleiten das Schauen. Mitbestimmend ist überdies die Wechselwirkung zwischen der Herkunft der Fotografen und ihren Themen. Der Mexikaner Julián Cardona (41) fotografiert die Wege über die grüne Grenze nach den USA anders der Schweizer Roger Wehrli (36) die Situation von Gibraltar als Drehscheibe zwischen den Magreb-Staaten und Europa.

„Über die Grenze“ ist aber auch eine Ausstellung mit und über Fotografie, wie sie in den Medien täglich auftaucht. Sie macht die Bedeutung von Bildsprachen sichtbar. Sie lässt die Persönlichkeit von Fotografen und Fotografinnen erkennen. Sie macht indes auch bewusst, wie schwierig der Umgang mit Fotografie heute geworden ist. Was soll man glauben, was ist, weniger durch die Technik, als durch gezieltes Zeigen und Weglassen, Manipulation, Mittel um die Emotionalität und damit die Parteinahme der Bildbetrachtenden zu lenken. Der innere Widerstand ist grösser als noch vor 10 Jahren. Die Fotografie wird nicht mehr objektives Dokument erlebt, sondern als meinungslenkende Sprache.

Das ist nicht eine Kritik am Projekt, aber ein Teil davon. Was die Ausstellung in ihrer globalen Ausrichtung vermag, ist Bewusstsein zu entwickeln für ein Phänomen, das nicht die nur die Gegenwart in Atem hält, sondern eine Neuformulierung der Weltvölker zur Folge haben wird. In diesem bewusstseinsbildenden Sinn liegt denn auch das Konzept der Ausstellung, das innerhalb der Pro Helvetia eine Zusammenarbeit zwischen der Gruppe „Nord-Süd“ und der „visuellen Künste“ darstellt und – analog – auf schweizerischer Ebene eine Koproduktion zwischen der Kulturstiftung und dem Departement des Äusseren ist. Unter diesen vielfältigen Aspekten ist die Ausstellung ein gelungenes Projekt, umsomehr als alle Foto-Essays von kurzen, informativen Texten begleitet sind und die einzelnen Fotos klar und exakt umschreiben, wann und in welchem Kontext sie aufgenommen wurden.

Als Ausstellung stellen die Fotografien aber auch die Frage nach der Qualität der Bilder an sich. Es geht nicht nur um dokumentarische Werte, sondern auch um Bildgestaltung, denn in der Bilderflut unserer Zeit bleiben nur die aussergewöhnlichen Eindrücke haften. Und da sind die Unterschiede in der Ausstellung doch gross. Zu den bildnerisch herausragenden Beispielen gehören unter anderem die Aufnahmen des Dänen Joachim Ladefoged; er weiss Dokumentation und Bildkomposition eindrücklich zu überlagern. Ausserordentlich sind aber auch die Aufnahmen der Südafrikanerin Jodi Bieber (36), die Situationen mit Bildrhyhtmen und ornamentalen Strukturen zu verbinden vermag.

Weitere Schweizer Stationen: Chiasso, Basel, Martigny. 2002 reist die Ausstellung ins Ausland. Sie ist begleitet von einem Buch-Katalog, der die Ausstellung resümiert und zusätzliche Textessays enthält.