Vernissagerede für Rosmarie Vogt anlässlich Ihrer Ausstellung im Zimmermannshaus in Brugg, 23. November 2001

Von Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Rosmarie

Sie stehen hier unter dem Dach in einem Raum, der einerseits neue, überraschende Arbeiten von Rosmarie Vogt zeigt und andererseits anhand von sechs dokumentarischen Foto-Arbeiten eine Art Fenster zu einem wichtigen Aspekt im Schaffen der Künstlerin, den installativen Arbeiten im Rahmen von Freillichtausstellungen, öffnet. Ich bitte Sie, ihr Augenmerk einen Moment auf die Lothar-Baumstämme am Rheinufer bei Kaiserstuhl zu richten. Da sehen wir – nicht auf den ersten Blick als eine Arbeit von Rosmarie Vogt erkennbar – längsgerichtete Baumstämme in leichtem Winkel vom Weg weg zum Wasser, mit wenigen klaren Form-Eingriffen, welche einen konstruktiven Charakter der Arbeit betonen. Sie liegen so da, dass wohl nicht nur Kinder die Lust packt, darauf zu balancieren, sondern auch viele Erwachsene mit Kindererinnerungen. Oder dann könnte es gerade Rast-Zeit sein, und die Baumstämme könnten als Sitzgelegenheiten, mit Sicht aufs Land oder auf das vorbeiziehende Wasser, dienen.

Das auf den Ort Ausgerichtete, das auf das Material eingehende Moment des Konstruktiven, das theoretische oder praktische Nutzungsangebot….so analysiert, wird klar, da handelt es sich um eine Arbeit von Rosmarie Vogt. Gehen Sie nun mit mir in Gedanken in den Galerie-Raum im 1. Stock und überlegen sich, warum mir die Künstlerin am Dienstag sagte: „Ich wollte mal wissen, wie lang etwas sein muss, damit wir es als lang empfinden“ und dann „setzen“ sie sich auf die langen, gitterartigen Gestelle, Bänke, Kuben und schauen entweder zur Wand – was langweilig sein dürfte – oder ins Zentrum auf die farbig, wellend, vorbeiziehenden Papiere und hinüber zum anderen Ufer – pardon – auf die andere Seite, wo sich die Form und die Farbe der konstruktiven Bänke im Wechsel mit ihrem Blickwinkel zeigen. Tun sie das gebührend, spüren sie spätestens jetzt – theoretisch ist das zwar etwas schwierig – dass das Sitzen eigentlich gar nicht so bequem ist, dass sich da gewisse Knochen unangenehm an den Zwischenräumen reiben. Ach ja, es sind ja gar keine Bänke, sondern Skulpturen, vielleicht würde man sie besser als vertikale Säulen nutzen oder übereinanderstapeln, doch halt – das ist wohl bereits das Thema der nächsten Ausstellung von Rosmarie Vogt. Vermutlich ist das alles ja viel bewusster gerade so angelegt, als es unser erster Blick vermuten lässt.

Wer Rosmarie Vogt aber just danach frägt, erhält sehr wahrscheinlich keine analytische Antwort. „Ich weiss einfach nicht, warum Kunst immer so viel Theorie braucht“ hat sie einmal in ihr Tagebuch geschrieben. Und den inneren Zusammenhang zwischen der Kaiserstuhler Arbeit und der Installation hier, ich weiss gar nicht, ob die Künstlerin den jemals so gedacht hat, jedenfalls hat sie ihn mir nicht für heute abend diktiert. Ihr Denken ist ein anderes. Und die Klammer, die ich eben machte, das möchte ich betonen, ist natürlich nur ein Aspekt unter mehreren.

Schauen wir uns etwas Zweites an: Vor vier Jahren, als Rosmarie Vogt letztmals hier ausstellte, zeigte sie – Sie erinnern sich vielleicht – eine Installation mit „Vorräten“ – Bündel aus roten, gelben, blauen, grünen, langen Latten, durch eine Innenkonstruktion leicht bauchig gehalten und oben und unten etwas verdreht durch Bänder zusammengehalten. Sie werden staunen, diese Ausstellung ist auch hier heute. Nur, nicht mehr als „Vorräte“, sondern als kompakte, dichte, vielfarbige und immer wieder anders strukturierte, geometrische Gitter-Pakete. Das heisst, die Künstlerin hat den Titel in die Tat umgesetzt, sie hat die Vorräte in Kunst umgearbeitet. Das Recycling-Moment, das Rosmarie Vogts Schaffen seit langem begleitet, hat hier in neuer Form Ausdruck gefunden. Und zwar mit jener Konsequenz, die mich immer so verblüfft. Wenn Sie sich die kompakten Latten-Pakete anschauen, stellen Sie fest, dass die Schnittstellen einmal das rohe Holz zeigen, ein ander mal farbig sind, ohne sichtbare, formale Logik. Ganz einfach: Dort, wo es sich um Endstücke der einstigen Bündel-Latten handelt, ist Farbe, und wo es sich um neue Schnittstellen handelt, ist es roh. Die Perfektionisten denken jetzt sicher, aber man hätte doch und es wäre doch ….Doch die Antwort ist:…. eben nicht. Denn die Konsequenz des vogtschen Schaffens ist, dass man das eine ins andere verwandelt, so wie es ist. Es kommt hinzu, dass der Farbaspekt im Schaffen von Rosmarie Vogt, ein sekundärer ist. Das heisst, die Folge heisst: Ich habe, nämlich lange farbige Latten, was mache ich damit, was ist möglich, wozu habe ich Lust, wie kann ich und dann folgt die Umsetzung, ausgehend vom Material, seinen Gegebenheiten, seinen Farben und den eigenen Möglichkeiten.

Diese eigenen Möglichkeiten sind etwas ganz Wichtiges. Rosmarie Vogt – vergessen wir nicht ihre Generation als Frau, die in den prägenden Jahren ganz wesentlich davon ausging, und als Struktur immer noch geht, was kann ich selbst, wie drehe ich etwas, dass ich es selbst kann. Das Ausschöpfen und das sich Beschränken auf das, was möglich ist, was man kann und will und Lust hat – das zeigt Rosmarie Vogts vielschichtiges und in seiner Einfachheit immer und immer wieder überraschendes Werk tausend-fach. So auch in diesen kompakten Lattenarbeiten, die so einfach scheinen und dabei so viele verschiedene innere Strukturen aufweisen und sich von jeder Seite und Höhe anders zeigen.

Rosmarie Vogt geht nicht zum Schreiner und sagt ihm, ich möchte diese Latten hochexakt und präzise in Stücke von 30 Zentimeter geschnitten haben, sondern sie schneidet sie selbst, so präzise wie möglich. Nicht, dass sie die kleinen Unebenheiten, die der Finger beim Betasten spürt, lieben würde, nein, sie sind sogar ein Ärgernis, aber sie sind das, was – so wunderschön ehrlich, realistisch und persönlich – möglich ist. Ich mag das, weil es ein Ausdruck von „Mass“ ist und damit von Mensch. Auch die intuitive Setzung der Farben gehört hierhin. Und in all dem liegt nun längst auf dem Tisch, dass oberflächliche Vergleiche – etwa mit den Arbeiten eines Beat Zoderer (die übrigens auch nicht perfekt sind) von Äusserem ausgehen, das im Inneren keinen Rückhalt hat.

Ich will damit nicht sagen, dass Rosmarie Vogts Schaffen ein solitäres sei, das nichts mit Kunstgeschichte zu tun hat. Oh ein, dafür ist die Künstlerin viel zu bewandert in all dem, was sich in diesem Jahrhundert getan hat. Wir haben gelacht am Dienstag. Ich habe Rosmarie erzählt, dass ich wenige Tage zuvor Carl Andre in Neuenburg getroffen und das mich das fast ein wenig aus der Fassung gebracht habe. Und da sagt Rosmarie, sie erinnere sich noch gut an seine Arbeit im Wenkenpark damals – das war 1980 oder 1981 – und dann, so die Künstlerin weiter, natürlich die Arbeiten in den Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen. Jetzt war das Staunen wieder bei mir, hatte ich doch Carl Andre erzählt, die erste Arbeit, die mir bei seinem Namen in den Sinne komme, sei der Wenkenpark und dann natürlich die rund ums Jahr zugänglichen Werke in Schaffhausen. Diese Anekdote heisst nichts anders als dass dieselben Generationen eben von denselben Einflüssen geprägt sind. Eine Binsenwahrheit, aber auch die muss man zwischendurch mal wieder erleben, um sich ihrer bewusst zu sein. Und hier geht es weiterdenkend natürlich auch um den Einfluss der Minimal Art auf das Schaffen von Rosmarie Vogt, in Kreuzbeige mit den Konkreten, den kritischen Leitgedanken der 68er Generation und, und, und… und schliesslich sind die Arbeiten, die wir hier und heute sehen, doch nichts anderes als, eben, Rosmarie Vogts Mass und Sicht und Umsetzung.

Zurück zur Ausstellung – sonst überziehe ich die vorgegebene Redezeit. Gerne erzähle ich Ihnen nämlich noch etwas zu den Arbeiten hier in diesem Raum. Zwei Sachen vorweg: Vergegenwärtigen sie sich hiezu kurz die Latten in den „Paketen“ draussen und dann auch noch gleich die Künstlerhefte, die, Tagebüchern gleich, immer bei der Ankunft im Atelier neue Farbseiten erhalten – in den Tonwerten des Tages. Und dann erinnern Sie sich noch der verschiedenste Formen umschreibenden Leinwand-Streifen-Bündel, die 1997 in diesem Raum auf einem niedrigen Podest lagen. Ich denke damit dürfte der ersten Reaktion: Was, jetzt malt auch Rosmarie Vogt noch Streifenbilder, der Wind aus den Segeln genommen sein.

Es geht, wie immer, um etwas anderes:

Ich habe vorhin gesagt, zu Rosmarie Vogts Generation gehöre das selber machen. In der Vertikalen ist das richtig. Nicht aber in der Horizontalen. Da hat Rosmarie Vogt schon immer und mit viel Lust mit anderen zusammengearbeitet. Man denke an den Auf- und Abbau der Latten-Mauern, -Tunnel und -Brücken – ähnlich einer der einzigen bleibenden Werke dieser Epoche beim Kindergarten in Brugg. Dieses Zusammen spiegelt sich in ganz anderer Form in diesen Streifenbildern. Da erhielten also eine Reihe von Bekannten der Künstlerin eines Tages einen Brief mit der Bitte, ihr 24 Farbbegriffe zu nennen, die sie dann in Bilder umsetzen würde. Solche Briefe sind nichts grundsätzlich Neues – ich habe schon manche beantwortet. Ich weiss noch, Roman Buxbaum musste man mal in 10 Zeilen aufschreiben, wie man im Alltag mit seiner eigenen Macht umgehe und wie ich schrieb dann etwas von meiner Mühe beim Jäten im Garten oder beim Pikieren von Salatsetzlingen. Da war ich noch in der Selbstversorgerphase, lang, lang ist’s her. Anders als in Projekten, die dann in Statistiken oder Aneinanderreihungen ausmünden, geht es in diesem Farbenprojekt um Dialog oder, typischer für Rosmarie Vogt, darum, einen Auftrag zu schaffen, wenn er nicht von aussen kommt, so halt sich selbst. Allerdings ahnte sie beim Aufruf noch nicht, wie schwer wir es ihr machen würden. Niemand beschränkte sich auf himmelblau, rosarot und gibeligelb, alle wollten etwas mehr, Liebesrot zum Beispiel oder den blauen Dunst einer Zigarre oder „zaubersteinfunkelndes Marineblau“ oder, es kommt noch viel schlimmer, „Platzhirschsilber“ und „Hirnlosbraun“ oder, es ist immer noch Steigerung möglich, „Himmel, Hammel, Huhn“ und schliesslich –  eigene Gedichte auf Farben prüfend – „Panzergarten granaten schilf“ oder „die um nereiden gewickelten augenlider mäander“. Uff, aber auch „Kick“. Rosmarie Vogt kaufte grundierte Leinwände auf Chassis und unterteilte sie in 24 Latten, pardon, Streifen und begann zu streichen. Sie liebt es ja, das Streichen, das Tun, das Nageln, das Nieten, das Spüren wie etwas aus der Hand heraus entsteht, sich zeigt. Als ich im Sommer im Vorfeld des für die Neujahrsblätter zu schreibenden Textes bei Rosmarie Vogt im Atelier im Kiff in Aarau war, lagen die Chassis mit den Streifen auf den Tischen und die Künstlerin äusserte sich ziemlich zurückhaltend und, ehrlich gesagt, ich war mir auch noch nicht so sicher. Das ist jetzt anders. Aus zwei Gründen: Zum einen merkte ich am Dienstag bei längerem Verweilen in diesem Raum, und erst dann, dass tatsächlich jedes Bild seinen Charakter hat, seine Frequenz, seine Identität und dass diese – man geht sich selbst ja bekanntlich immer auf den Leim – wohl in irgendeiner Form ein Spiegel derjenigen sind, welche die Farben notierten. Ich erspare ihnen die Analyse meiner eigenen Farbrhythmen, denn es wäre absolut falsch, die Bilder auf die Ebene der Psychoanalyse einzuengen. Es sind vielmehr Klänge, die einen Bildraum charakterisieren, immer wieder neu – so wie in den Gitter-Kuben auch. Aber da ist noch etwas anderes, das mich so verblüfft hat. Im Sommer waren die Bilder auf Chassis gespannt – so wie tausend andere Bilder, die hier schon hingen. Und jetzt hängen sie da, knapp von der Wand distanziert als Leinwand-Rechtecke mit Streifen. Punkt. Man kann sie blättern wie die Seiten in den Büchern und auf der Rückwand die Farbbegriffe lesen, so man will. So einfach, konzis und damit zugleich so vernetzt mit den übrigen Arbeiten hier in der Ausstellung und im Schaffen der Künstlerin ganz allgemein. Dass sie spürte und herausfand wie die „Bilder“ in Objekte zu verwandeln sind, wie sie ihnen dieselbe Einfachheit geben kann, die ihr Werk charakterisiert, das überraschte und überzeugt mich. Zeigt es doch eindrücklich wie sehr der latente Vorwurf, Rosmarie Vogt mache immer wieder etwas anderes, ein nicht durchdachter ist, wie – von der inneren Struktur, vom Verknüpfen aktueller Arbeiten mit mehr oder weniger weit zurückliegenden – ein rollen der adäquate Begriff, der rote Faden ist oder – wie Rosmarie Vogt selbst sagt – ein sternförmiges Ausloten und Einholen.

Bevor ich Ihnen fürs Zuhören danke, möchte ich noch darauf hinweisen, dass man auch sehr viel hintergründiger an Rosmarie Vogts Schaffen herangehen kann als dass ich das hier und heute gemacht habe, doch ich wollte Sie nicht davon dispensieren, meinen, nein, unseren, Text in den Brugger Neujahrsblättern oder dem dazugehörenden Separata zu lesen. Und nun also doch, der Spruch, mit dem ich jede Vernissagerede beende:

Ich danke fürs Zuhören.