Ausstellung Stefan Sulzberger Museum Allerheiligen Schaffhausen 2002

Wenn Malerei wieder zum Experiment wird

www.annelisezwez.ch        Annelise Zwez in Schaffhauser Nachrichten 19. März 2002

 

Manor-Preisträger Stefan Sulzberger (33) macht die uralte Tradition der Malerei wieder zum Experiment. Er malt und wir meinen Fotografie, er malt und wir gehen durch den Raum. Zu sehen und zu ergehen in der Kunstabteilung des Museums Allerheiligen.

Hand aufs Herz: Wer sich im Rahmen der „Ernten“ von 2000 und 2001 den Namen „Stefan Sulzberger“ aufgrund installativer Raumarbeiten rund um Traktoren und Heuhaufen merkte, zweifelt angesichts der aktuellen Manor-Preisträger-Ausstellung im Museum Allerheiligen einen Moment an seiner Erinnerung. Können die schwarzen Spiegel und die vorhangähnlichen Raumteiler vom selben Künstler sein? Kann ein und derselbe Künstler einmal gesellschaftsbezogen, erzählerisch arbeiten und sich dann wieder gänzlich abstrakt auf Malerei als mediales Experiment einlassen?

Wer in kunstgeschichtlichen Werk-Kategorien denkt, muss die Frage verneinen. Doch viele der jungen Generation foutieren sich ähnlich um Linie und Stil, wenn auch selten so extrem wie hier. Das Schlüsselwort: Zappen. Den Kontrasten Bild geben um die Verschiedenartigkeit des Lebens sichtbar zu machen. Einmal gegenständlich, einmal abstrakt. Vielleicht auch: Einmal auswärts und einmal einwärts. Der Manorpreis-Jury hat Sulzberger strategisch richtig die stille Seite eingereicht: rhythmisch-abstrakte, durch und durch heutige Malerei. Und hat gewonnen.

Was die beiden Stränge, man glaubt es kaum, miteinander verbindet, ist die Schuhwichse. Sie gehört definitiv zum Alltag. Sulzberger erkannte beim Schuhe putzen (im Militär?) indes wie geschmeidig sie ist, wie sinnlich sie sich einreiben lässt, wie man ihr mit den Fingern Form geben kann, wie schön das Schwarz – später auch das Dunkelblau und das Bordeaux-Rot – ist. Und er beginnt – in der Zeit des „anything goes“ – damit zu malen. Auf Papier. Doch warum nur auf Papier? Alles lässt sich bemalen und das, was sich dagegen sträubt, wie Plastik zum Beispiel, reizt ganz besonders. Je länger der Künstler experimentiert, desto mehr öffnete sich das Un-Material „Baufolie“. Reiben, ziehen, formen, warten und wieder reiben, ziehen, formen und warten. Quadratmeter um Quadratmeter.

Sulzberger kommt ausbildungsmässig von der „F+F“ (Farbe+Form) in Zürich, die heute multimedial ausgerichtet ist. Sie ist nicht mehr so aufmüpfig wie in den Nach-68er-Jahren, aber immer noch ausgesprochen frei und experimentell. Sie bereitete den Boden für den Künstler, der mit einer abgeschlossenen Gärtner-Lehre zur Kunst aufbrach. Sie schärfte sein Auge für die Wahrnehmung der Gegenwart. So weit weg vom Alltag einem der Gang durch den „Bilderwald“, wie Markus Stegmann die Installation im Hauptsaal nennt, auch führen mag, so heutig ist er doch. Jeder Bildschirm hat eine Semitransparenz ähnlich den an feinen Nylonfäden hängenden Bildern. Und tagtäglich verschieben wir auf dem PC „Windows“ gegeneinander oder erzeugen virtuelle Räumlichkeiten. Vorne, hinten und zwischendurch – Computer-Alltag. Nicht, dass die Installation 1:1 so zu interpretieren wäre, aber sie spiegelt heutige Seh-Gewohnheiten und überträgt sie in ein neues, malerisches Raum-Gefühl.

Bezeichnenderweise ist Sulzberger auch nicht der einzige in der Kunstzene der mit Baufolie arbeitet. Und auch die Schuhwichse als Malmittel hat nicht er erfunden. Wohl aber die Kombination. Und er fügt die „Vorhänge“ nicht zuletzt durch die Verkleidung der Wände mit derselben Folie zur bühnenhaften und dem natürlichen Lichteinfall folgenden Inszenierung.

Und da ist noch etwas: Wer in den Zwischenräumen einhält, hört von ferne die Klanginstallation des Künstlers aus dem Pfalzhof hinauf. Der Reisbesen mit dem er (ab Band) unablässig den Hof wischt, wird plötzlich zum malerischen Rhythmus in Parallele zu den Bewegungen des Künstlers auf der Folie. Obwohl die Arbeit ebenso als ironische Anspielung auf gewisse kulturpolitische Entscheide im Zusammenhang mit dem Museum interpretiert werden kann. Ist hier ein Ansatz, die beiden Spurverläufe im Werk zusammenzuführen?

Das Spannende im Schaffen Sulzbergers zeigt sich in der Steigerung der Raum-Malerei durch die ähnliche und doch ganz andere Wirkung erzielenden dunklen, die Schuhwichse mit Acrylfarbe kombinierenden, Hinter-Plexiglas-Arbeiten. Da ist erkennbar wie der Künstler mit seiner Technik zu spielen vermag. Und wie er wieder durch die Hintertüre Aktualität spiegelt: Kaum eine Kunstausstellung ohne Fotografie, doch Sulzberger täuscht sie nur vor und nicht Bezug nehmend auf reale Abbilder, sondern indem er Bilder erfindet, die wir, aufgrund der Präsenz von Makro-Fotografien zum Beispiel, zu kennen meinen. Doch wir scheitern mit jedem Versuch der Verortung, auch jenem der Landschaft. Die glänzende Oberfläche führt nur in Scheinwelten. Auch hier ist Sulzberger nicht Erfinder – die Hinterglas- respektive -plexiglasmalerei fasziniert auch andere – doch er setzt sie gekonnt, stimmig und mehrdeutig ein.

Es gelingt Sulzberger in den dunklen Plexiglas-Arbeiten wie in der Installation Bezugsfelder anzutippen, die Bögen über Tausende von Jahren schlagen. So gegenwärtig die Malerei auf Baufolie ist, sie erinnert mit ihren rhythmischen Spitzformen gleichzeitig auch an Darstellungen von Bergen und Wäldern in der altchinesischen Malerei. Und das Spiel mit dem Glanz in den Plexiglas-Arbeiten lässt unter vielem die Erinnerung an uralte Hinterglas-Ikonen aufblitzen. Mit dieser Fülle von Ist und Ist-Nicht zeigt sich Sulzberger in hohem Mass als Künstler unserer Zeit und das ist Qualität.

Lorbeer-Extrakt – 20 Jahre Manor-Preise
Schaffhausen kam 1987 im Vergleich zu anderen Kantonen relativ früh zu einem Manor-Preis. Durch die Kontinuität und die Präsenz in vielen Regionen gehört der Preis heute zu den bekanntesten in der Schweiz. Die Ausstellung „Lorbeer-Extrakt“, die alle Schaffhauser Preisträger vereint, zeigt eine ähnliche Struktur wie in anderen Regionen. Wurde anfänglich die Region als Kunstlandschaft betrachtet, so wird seit Mitte der 90er Jahre versucht nationale und internationale Fäden mit den einzelnen Regionen zu verspinnen. Die Preise an Yves Netzhammer und Olaf Breuning (1998 und 2000) sprechen hier eine deutliche Sprache im Vergleich zu Auszeichnungen von Carlo Domeniconi, Daniele Bünzli und Thomas Grandy in den Jahren zuvor. Was irritiert, und dies gilt für Schaffhausen ebenso wie für St. Gallen und andere Regionen, ist die kleine Zahl von Künstlerinnen, die bisher einen Manor-Preis erhalten haben. Da dies in keiner Weise der Präsenz von Künstlerinnen in der heutigen Kunstszene entspricht, muss in altfeministischem Ton von Diskriminierung gesprochen werden. Sowohl in St.Gallen, wo zur Zeit eine analoge Ausstellung zu „Lorbeer-Extrakt“ stattfindet, wie in Schaffhausen hat in all den Jahren nur je eine Künstlerin den Manor-Preis erhalten. In St.Gallen ist es Pipilotti Rist, in Schaffhausen Katharina Bürgin. Kann es sich eine Warenhaus-Kette wie Manor, die in ihrem Verkaufs-Sortiment in hohem Masse Frauen anspricht, wirklich leisten in ihrem Kunst-Sponsoring frauenfeindlich zu sein?