Jenny Holzer im Kunsthaus Bregenz 2004

Appell an die Wachsamkeit

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt 16.07.2004

„Truth before power“ (Wahrheit vor Macht) nennt die US-Künstlerin Jenny Holzer (54) ihren Auftritt in Bregenz; es ist ein Leitsatz der CIA von 1968. In elektronischen Textbändern hinterfragt sie ihn, im Dialog mit der zumthorschen Architektur.

Jenny Holzer ist eine der politischsten Künstlerinnen der Gegenwart. Und sie ist Amerikanerin. Und – schon fast logisch – eine kritische Beobachterin der US-Politik. Aber sie ist nicht Michael Moore. Sie drescht nicht auf die Aktualität ein. Sie ist Künstlerin. Und sie fragt nicht die Politiker, sondern uns. Seit 25 Jahren richten sich ihre Hinterfragungen, ihre Appelle an die Menschen, scharf und schonungslos. Und nicht nur an jene, die ins Kunsthaus gehen. Bekannt wurde Jenny Holzer durch Leuchtschriften am Times Square in New York („Protect me from what I want“ zum Beispiel). Wachrütteln ist ihre Botschaft.

Den Auftakt zu ihrer Ausstellung in Bregenz sind/waren acht Nächte mit acht von weit her einsehbaren Xenon-Projektionen auf Gebäude, Berge, Kulissen an verschiedenen Orten in Vorarlberg. „Später….geh zur Regierung und sag denen da oben, du willst selbst entscheiden“, leuchtete es am 18. Juni auf den West-Side-Story-Kulissen der Bregenzer Festspiele. Ein Satz aus freigegebenen Geheim-Dokumenten der US-Regierung. Ein Kunst-Polit-Event sozusagen. Und ein Aufwand sondergleichen. Jenny Holzer ist längst ein Polit-Kunst-Star – ohne jegliche Allüren. Am Tag nach der Vernissage zum Beispiel lud sie die Bevölkerung zu Kaffee und Kuchen ins Kunsthaus zum Gespräch. Nicht zuletzt diese Nähe macht ihr Werk kraftvoll.

Jenny Holzer arbeitet fast ausschliesslich mit Sprache. Das ist nichts Ungewöhnliches; man denke an Lawrence Weiner, an Ben Vautier, an Christian Robert-Tissot usw. Aber niemand verknüpft Sprache und Emotion so eindringlich, dass stets der ganze Mensch (nicht nur der Kopf) angesprochen ist. Und dies immer wieder anders. War in „Lustmord“ (Kartause Ittingen 1996) das Thema an sich hochemotionell, ist es in Bregenz einerseits brisant, andererseits ziemlich trocken. Holzer beleuchtet anhand von Texten aus US-Regierungs-Dokumenten, die dank dem legendären „Freedom of Information Act“ (1966) zugänglich sind (wenn auch teils zensuriert), Themen rund um den Nahen Osten seit späten 60er-Jahren. Es geht dabei um Waffen, um Erdöl-Geschäfte, um den „Krieg gegen den Terrorismus“ usw. Allerdings nicht mit Blick auf Enthüllungen, sondern auf die Wechselwirkung von Information von innen und nach aussen, auf Geheimhaltung und Öffentlichkeit, auf Ethik und Manipulation.

Die Texte sind nicht auf Schlagworte reduziert und in der konkreten Begegnung in der Ausstellung auch nur schwer fassbar (englisch und vorbeifliessend). Die Emotionalität, die sich dennoch einstellt, kommt aus der Präsentation. Holzer arbeitet ganz mit der Architektur des ausserordentlichen Glas-Lamellen-Baus des Schweizer Architekten Peter Zumthor. Im ersten und zweiten Stock platziert Holzer die in wechselnden Rhythmen laufenden Leuchtschriften – hier blau und vertikal, dort rot und horizontal – in Nischen. Das heisst, die Haupträume sind leer, die Arbeiten verweisen zunächst nur im indirekten Flimmern auf ihre Präsenz; das ist formal spannend aber auch metaphorisch bedeutsam. „My favorite position is next to the door“, sagt die Künstlerin und antwortet auf den Einwand, von da aus könne man doch die Schrift nicht lesen: „You are right, it is probabely the old abstract artist, that says so“. Das zeigt nicht, dass der Inhalt nicht wichtig ist, wohl aber den durch und durch künstlerischen Ansatz in der Präsentation.

Noch weiter geht Holzer im dritten Stock, wo sie die 13 parallel getexteten – hier bernsteingelben – Schriftbänder zur Ethik des CIA auf dem Boden hin und her laufen lässt, sodass sie quasi aus der Wand kommen und in die gegenüberliegende wieder verschwinden, mal langsamer, mal schneller, mal von links nach rechts, gegeneinander verschoben oder zur Hälfte rechts nach links usw. In dem Moment, da man auch hier das Raum-Erlebnis und dessen gleichzeitige inhaltliche Stringenz spürt, stockt einem der Atem.

Charakteristisch für Jenny Holzer ist, dass sie nicht einseitig ihre Optik einbringt, sondern differenzierend verschiedene Standpunkte verschmilzt. Hier das CIA, den Aussenminister, Informaten, den Präsidenten usw. aber auch einen Lyriker namens Henry Cole, der im Gedicht „For the forty-third president“ (das ist der aktuelle), einfühlsam fragt, zu verstehen sucht und doch nur heuchlerische Rethorik findet. Seine Gedicht liegt in deutsch den Texten im 1. Stock zugrunde und ist auch in einen mächtigen Baumstamm, der einem Damokles-Schwert gleich im Foyer hängt, eingebrannt. Das Einbrennen, Einmeisseln, Einritzen von Schrift gehört parallel zum digitalen Schriftfluss zu den Konstanten in Holzers Werk.