Projektionsfelder zwischen Wirklichkeit und Vorstellung
Tim Eitel im Museum Allerheiligen in Schaffhausen. Schaffhauser Nachrichten 10_07_2004
Er ist 33 und die Bilder, die er seit 2000 ausstellt, sind alle verkauft. Was im Museum Allerheiligen zu sehen ist, sind Leihgaben. Mit was verführt Tim Eitel die Kunstsammler?
Man kommt ins Foyer und dann in den Wechselausstellungsraum und denkt: nanu, Fotorealismus, das hatten wir doch schon. Doch mit dem Faktor „vertraut“ saugen uns die Bilder auf Anhieb ein. Was ist und was ist nicht? So offensichtlich fotorealistische Elemente sind, so klar ist schnell, dass es sich hier nicht um Plagiate aus den 60er/70er-Jahren handelt. Der junge deutsche Maler Tim Eitel stellt die „fotografischen“ Figuren in Umfelder, die zwar als Museumsarchitektur, als Strand, als Wiese als Waldrand definiert werden können, doch in der malerischen Reduzierung macht er sie primär zu „Niemandsland“. Es kommt hinzu, dass die Figuren wohl Individuen sind, aber in ihrer Abgewandtheit, ihrer Selbstvergessenheit nicht die Betrachtenden im Visier haben, sondern mit sich selbst im „Niemandsland“ bleiben.
Und genau da reagieren wir, genau da öffnen sich uns Eitels Bilder als mögliche Projektionsflächen. Sie sind heutig, aber nicht mit expressivem Ausdruck besetzt, wir können mit Leichtigkeit in die wandernden, stehenden, in die Weite schauenden Figuren schlüpfen, mit ihnen stehen oder gehen und „zuhören“ was sie denken. Wobei das, was wir hören (man beachte die malerische Präsenz der Ohren!) selbstverständlich unsere eigenen Gedanken und Vorstellungen sind. Und das schafft emotionale Nähe. Da ist der Kick zum Kaufen.
Nun klingt das sehr romantisch und die Romantik ist zweifellos ein wichtiges Bezugsfeld, speziell da, wo Eitel mit Horizonten arbeitet. Aber das reicht nicht als Verweis; das zeigt schon die künstlerische Entwicklung innerhalb der schmalen zeitlichen Bandbreite der Ausstellung. Und noch viel mehr die durch die grosszügige Buchpublikation möglichen Vergleiche mit Bildern seit 2000.
Interessant ist, wie Eitel zu seinen Bildern kam. Und dann auch die Frage, warum sie jetzt in Schaffhausen sind. Der in Baden-Würtemberg geborene Künstler studierte zunächst Phil. 1, angezogen von Literatur und Philosophie. Um ihr Bild zu geben, geht er nach Halle und später nach Leipzig. An Kunstakademien, denen es, ebenso wie Dresden, gelungen ist, das Plus der DDR-Kunst (ihre handwerkliche Substanz, ihr Umgang mit Realismus) mit neuer Weltoffenheit zu potenzieren. Kein Wunder gilt insbesondere die Leipziger Akademie zur Zeit als „Goldsmith College“ Deutschlands.
So kommt es, dass Eitel drei ganz verschiedene Momente kombiniert. Kunstgeschichte inklusive Philosophie, klassische Malerei und künstlerische Fotografie. In der Zeit als Eitel seine Museumsbilder mit Werken ausstattet (2001), benennt er in den Titeln unter anderem Mondrian und Struth; somit geometrische Abstraktion mitsamt Spiritualität und betont figürliche Fotografie. Das ist gewiss nicht Zufall, sind es doch gerade diese Elemente, die sich in Eitels Bilder mit dem Faktor Malerei multiplizieren. Wenn Eitel in „Plattform“ die bühnenartige Vorstadtkulisse mit der leicht abgedrehten, scheinbar auf jemanden wartenden Figur auf eine monochrome graue Fläche, eine Art Sockel, stellt, so schafft er damit einen Grad an geometrischer Abstraktion, der selbst die gegenständliche „Kulisse“ aus ihrer Realität zu kippen droht und dabei in etwas Unbekanntes öffnet. Möglich, dass dies eines der besten Bilder der Ausstellung ist. Denn in der Komplexität zeigt sich nicht nur die Intelligenz Eitels, sondern auch das Potenzial kommender Entwicklungen. Denn noch ist längst nicht klar, ob Eitel den fulminanten Start up-Erfolg in eine dauernde Karriere wird umsetzen können.
Dass Eitel seine erste Museums-Einzelausstellung in Schaffhausen bestreitet, hat auf einer ersten Ebene mit der noch nicht allzu alten Tradition des Museums zu tun, den süddeutschen Raum mitzudenken. Dann mit Kurator Markus Stegmann, der Eitel 2003 an der Kunstmesse in Basel begegnet und fasziniert ist (was sein Katalogtext dokumentiert). So selbstverständlich ist es aber dennoch nicht, denn als Museum von der Grösse Schaffhausens kann man nicht einfach einen Künstler einladen und damit das „ja“ im Sack wähnen. Künstler und Galeristen denken in der Regel strategisch. Doch der Galerist Eitels, Gerd Harry Lybke von „eigen + art“ Leipzig/Berlin, hat ein ganz besonderes, vielleicht sogar sentimentales, Verhältnis zu Schaffhausen. Vor exakt 10 Jahren gab Tina Grütter, die ehemalige Direktorin der Kunstabteilung, dem jungen, noch um jeden Franken ringenden Ost-Galeristen die Chance, sein auch Schweizer Positionen umfassendes, internationales Programm in Schaffhausen auszustellen. So kombiniert sich in Eitels Ausstellung persönliche Sympathie mit einem Stück Schaffhauser Kulturpolitik.