Eric Lanz Centre PasquArt Biel 2005

Video oder die Lust auf Fleisch

www.annelisezwez.ch                    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 2. Juni 2005

 

Das Sommerprogramm 2005 des Centre PasquArt in Biel ist auf Kontrast angelegt. Steht für Konzeptuelles, appellieren die Videoarbeiten von Eric Lanz an unsere Sinne.

Eric Lanz ist 1962 in Biel geboren. Mit einem Super-8-Film zum Thema „Blau“ bewarb sich der Absolvent des französischen Gymnasiums 1981 um die Aufnahme an die Ecole supérieure d’arts visuels in Genf. Und wird aufgenommen. Die Lust auf Film haben ihm die parallel zum Unterricht erteilten Kurse des Lateinlehrers und Filmemachers Jacques Dutoit vermittelt. Genauso wie seiner späteren Mitstudentin, der Bielerin Marie José Burki (geb.1961). Beide leben heute im Ausland – er in Düsseldorf, sie in Brüssel – und beiden ist der Sprung in die internationale Videokunst-Szene gelungen.

Die Kunstakademie Genf war damals die erste in der Schweiz, die ein Mixed Media-Atelier führte. Aus der Klasse von Chérif und Silvie Défraoui kamen dementsprechend die ersten Schweizer Video-Künstler und –künstlerinnen. Darunter Eric Lanz und Marie-José Burki.

Zum Vergleich: Die Schule für Gestaltung in Basel startete 1986 mit der ersten Video-Klasse (darin Pipilotti Rist, Muda Mathis, Käthe Walser und andere).

Eric Lanz wechselte 1985/86 von Genf an die Kunstakademie Düsseldorf, in die Klasse von Nam June Paik, dem Koreaner, der als Vater der Video-Kunst schlechthin gilt. Übernahm er von ihm möglicherweise die Lust auf Fülle und schnelle Wechsel, behielt er von den Défraouis die Mahnung, die Systeme nie zu vergessen. Üppigkeit, Sinnlichkeit einerseits und systemanalytisches Vorgehen andererseits prägen Eric Lanz‘ Videoarbeiten bis heute.

In der aktuellen Ausstellung im Centre PasquArt zeigt Eric Lanz Videoarbeiten seit 1999. Das heisst zum einen die letzten Videos, die zum Kapitel Tastsinn, Materialien, Werkzeuge gehören, zum anderen die ersten Videos, die narrativen und zugleich interaktiven Charakter haben (alle von 2005). Das älteste Video in der Ausstellung, „les choses“ von 1999, ist so etwas wie der Inbegriff der Arbeitsweise des Künstlers seit den frühen 1990er-Jahren. Es zeigt in relativ schnellen Wechseln die Finger seiner Hand, die Materialien befühlen – Teig, Haut, Haare, Blätter, Schinken, Schwämme, Folien usw. Die Wechsel sind so angelegt, dass man knapp genügend Zeit hat, die Dinge zu erkennen und sich ihrer Beschaffenheit in der Hand zu erinnern.

Der Sog im Buch der Sinne zu „lesen“ ist so gross, dass man schliesslich fast erschöpft wegtritt. Und sich bewusst wird, wie „sprachlos“ das Video wäre, erinnerte man sich nicht der realen, der materiellen Begegnung mit dem, was das Video filmisch zeigt. Mit anderen Worten: Eric Lanz zieht uns den Speck durch den Mund und macht uns so – aller videastischer Sinnlichkeit zum Trotz – indirekt auf die Gefahr des Verlustes an Fleisch und Blut aufmerksam.

In den folgenden Jahren treibt er die Idee weiter. Zum einen auf der Ebene der Werkzeuge – statt der Hand sind später Miniatur-Zangen, -Schaber, -Messer, -Rechen, -schäler die Handelnden. Zum andern konzentriert er sich entweder auf ein einziges Material – Teig zum Beispiel – oder vermischt aus einer vielteiligen Auswahl scheinbar zufällig das eine mit dem andern. Langsam krallt sich das Gefühl Zeuge von wissenschatlichen Laborprozessen zu sein im Bauch fest. Bis schliesslich eine ganz gewöhnliche Raffel, die einen Pfirsich in Scheiben schneidet, zum „Folterinstrument“ zu werden scheint.

Die Steigerung des Themas ist faszinierend und zeigt Eric Lanz als Meister seines Mediums. Umsomehr als die Systematik der Abläufe immer einen am Computer Handelnden suggeriert; vielfach wählt eine kleine PC-Hand den nächsten Schritt.

Die drei dieses Jahr enstandenen Video-Arbeiten zeigen ein neues Kapitel. Bereits die Ausstellung im Centre d’art contemporain in Genf im März 2005 wies auf eine Neuorientierung hin. Die Lücke bei den Einzelausstellungen zwischen 2002 und 2005 deutet darauf hin, dass diese für den Künstler nicht so einfach war. Die drei in Biel präsentierten Arbeiten zeigen eine Art Auslegeordnung. Das Wichtigste: In allen treten Menschen als Akteure auf und ein grünes Licht auf einem Stab im Raum appelliert an die Betrachtenden, per Knopfdruck in die Geschichte einzugreifen.

Die drei Videos haben jedoch drei Perspektiven. Die erste – am nächsten bei den früheren Arbeiten – zeigt Nahsicht: Männer und Frauen, die, einem Muster folgend, Dinge wegwerfen oder Fundstücke – so sie ein Signal erhalten – näher betrachten Die zweite hat die Optik einer Überwachungskamera und zeigt einen sisyphosartig auf einer Brücke hin- und her Rennenden; so lange bis es ihm (dank Intervention) gelingt, den Mechanismus an eine zweite Figur weiterzugeben. Die dritte Arbeit verbindet Badende und Zeitebenen in realer und verzögerten Zeitabläufen.

Auch im neuen Kapitel sind somit systematische Elemente – jetzt klar softwareabhängige – mit eminent menschlichen und emotionalen Momenten verbunden. Ob es dem Künstler gelingen wird, die Perspektiven und die Menschen zwischen Freiheit und Programm so zu verzahnen, dass er dieselbe Intensität erreicht wie in den „choses“?