30 Jahre Galerie Elisabeth Staffelbach

Ansprache vom 19. August 2006

Sehr geehrte Damen und Herren
Liebe Elisabeth

Elisabeth Staffelbach und ich selbst, wir haben etwas gemeinsam – die liebe zur Kunst, klar, das ist offensichtlich, aber das meine ich jetzt nicht. Sondern vielmehr: Wir sind beide Fossile. Das heisst wir strampeln beide in einer Zeit, die nicht mehr derjenigen entspricht, die uns primär geprägt hat. Die 1970er- und 80er-Jahre gehören klar ins 20. Jahrhundert, 2006 aber ist bereits nachdrücklich frühes 21. Jahrhundert.

Das kann köstlich sein. Zum Beispiel, wenn man begeistert von einer Ausstellung erzählt und dann plötzlich in den Augen des Vis-à-Vis ein Flackern bemerkt und realisiert, dass die Person jetzt wohl gerade rechnet, ob sie damals schon zur Schule ging. Klar ist auf alle Fälle, dass man von etwas erzählt, das im Vis-à-Vis kein unmittelbares Echo auslöst. Man kann das mit Gefühlen von Traurigkeit, ja sogar Einsamkeit quittieren, man kann es aber auch als köstlichen Schatz betrachten, als gelebtes Leben.

Ein 30-Jahr-Jubiläum ist ein solcher Schatz. Erlauben Sie mir darum , dass ich kurz zurückblende in die 1970er-Jahre. Es ist für die Kunstschaffenden in der Schweiz ein überaus wichtiges Jahrzehnt, denn die Gesellschaft, die sich im Nachgang zu den 1968er-Jahren entwickelt, hält Kreativität hoch und ist damit ein Nährboden für künstlerische Experimente und deren Rezeption. Die Zahl der Kunstschaffenden nimmt exponentiell zu und zugleich schiessen an allen Enden und Ecken Galerien aus dem Boden und in den Zeitungen wird die bildende Kunst zum Thema. Es sind also drei Ebenen, die interaktiv der Kunst eine gesellschaftliche Bedeutung geben, die sie nie zuvor hatte. Und dies bei uns nicht nur in den Städten, sondern auch ganz intensiv in den Regionen.

Im Aargau zieht zum Beispiel die Volkshochschule mit und engagiert den seit 1970 amtenden Direktor des Aargauer Kunsthauses, Heiny Widmer, für einen Kurs. In den Bänken sitzen unter anderem Elisabeth Staffelbach und Madeleine Thomann. Und schwups krallt sich der Virus fest. Ideen, Träume werden formuliert und … realisiert. Am 5. November 1976 eröffnen die beiden Lenzburgerinnen im „Brättligäu“ einen Kunstladen und zeigen daselbst Arbeiten von Ernst Häusermann, Arnold Ammann, Regine Eichenberger, Maya Horvath, Verena Schmid, Ueli Schneider, Margrit Haemmerli und Ernst Jordi.

Ich spüre wie sie die Stirne runzeln, weil ihnen nur wenige Namen bekannt sind und sie – an die Ziegelrain-Ausstellung im Aargauer Kunsthaus denkend – vielleicht erwartet haben, dass zur Eröffnung Künstler wie Christian Rothacher, Hugo Suter, Max Matter etc. ausgestellt hätten. Doch da verkennen sie die Situation. Es gab damals (noch) keine Galerie im Aargau, welche die Ziegelrain-Künstler zeigte – das war ein Prozess, der sich damals abspielte, ein sich sukzessive von der Tradition in die Gegenwartskunst entwickelnder Prozess. Und zwar nicht nur seitens der Galerien, sondern auch seitens der jungen Künstlergeneration, die sich in alternativen Räumen wohler fühlte als in Galerien.

Elisabeth Staffelbach und Madeleine Thomann nannten ihr noch kleines Unternehmen anfänglich „Kunstladen“ und öffneten ihre Räume auch regelmässig
zum Wochenmarkt, in der Vorstellung, dass Kunst und Leben, Kunsthandwerk und Kunst sich durchdringen müssten und in eine Gesamtlebens-Gestaltung einfliessen. Eigentlich ein Bauhaus-Gedanke, der interessanterweise gerade heute, da sich Kunst facettenweise zum Design und Design zur Kunst hin entwickelt, neue Bedeutung hat. Damals am Brättligäu zeigte sich indes bald, dass dies eine Utopie ist und dass nicht die örtliche Bevölkerung das Publikum bildet, sondern spezifisch Kunstinteressierte kommen, schauen und eventuell – sehr eventuell – kaufen. Sehr schnell wird der Kunstladen zur Galerie im heutigen Sinn.

Das Bekanntwerden wurde nicht zuletzt von den Zeitungen unterstützt. Es gab damals im Aargau vier Tageszeitungen (das Aargauer, das Badener und das Zofinger Tagblatt und das Aargauer Volksblatt) und ich schrieb – das wäre heute undenkbar – für alle vier. Eingebunden in die damalige Situation junger Frauen – auch die neue Präsenz der Frauen in der Öffentlichkeit gehört als Entwicklung mit in die zahlreichen Galeriegründungen der Zeit und das Gefühl, man müsse es als Frau doppelt gut machen, obendrein. Ich schrieb also für die vier Tageszeitungen vier verschiedene Artikel zu jeder Ausstellung von Elisabeth und Madeleine in Lenzburg. Es war eine spannende Zeit, in der sich etwas formte, dessen Tragweite eigentlich erst im Rückblick so richtig erfasst werden kann.

Schon 1980 kann man das Konzept der Galerie, wie es bis heute gilt, ablesen, nämlich gute Kunst aus dem Aargau zeigen und darob die Schweiz nicht aus den Augen lassen. In einer Gruppenausstellung unter dem Stichwort „Aargauer Künstler“ fanden damals Werke von Hans Anliker, Kurt Ehrler, Stefan Gritsch, Ernst Häusermann, Bruno Landis, Max Matter, Guido Nussbaum, Christian Rothacher, Martin Ruf, Jürg Stehlin, Hugo Suter, Ilse Weber und Heidi Widmer zusammen. Im Jahresprogramm tauchen aber auch Franz Bucher, Marianne Grunder, Heidi Künzler, Michel Engel, Ruth Kruysse, Margaretha Dubach u.a.m. auf.

Schon die Entwicklung in den ersten drei Jahren zeigt, mit welchem Drive Elisabeth Staffelbach loszieht. Doch das war erst der Anfang. 1982 geht sie mit Ernst Häusermann, Kurth Häfeli, Ernst Jordi und Beatrix Sitter-Liver an die Kunstmesse nach Basel. Die Erfahrung war zwar schon etwas ernüchternd, doch nach dem Motto „Was mich nicht umbringt, macht mich stark“ verfolgt sie ihr Ziel unbeirrt weiter. Im selben Jahr realisiert sie mit „Natur und Kunst“ eine der ersten Freilichtausstellungen mit ortsspezifischen Arbeiten in der Schweiz. Diese Ausstellung mit Arbeiten von Bernhard Luginbühl bis Erica Pedretti, von Ueli Berger bis Gillian White, von Jean Tinguely bis Beat Zoderer macht die Galerie auf einen Schlag schweizweit bekannt.

Dass das hochgradig Kuratoren- und nicht Galeriearbeit war, die Elisabeth Staffelbach leistete, zeigt erstmals ein Dilemma auf, dass viele Galeristinnen und Galeristen dieser Generation kennen. Sie verstehen sich als Kunstvermittelnde, nicht als Kunstverkäufer. Ihre Ausstellungen wollen künstlerische Inhalte und Motivationen verbildlichen. Die eigene Begeisterung mit der künstlerischen Kraft der Künstler und Künstlerinnen paaren. Gleichzeitig werden die Galerien aber als sogenannt kommerzielle Orte im Vergleich mit öffentlichen Institutionen hintangestellt. Auch die Kunstschaffenden sind im Clinch; sie wollen – ganz im Sinne der Galeristin – gute Ausstellungen machen, erwarten aber gleichzeitig Kunstverkäufe, obgleich davon nach aussen nicht gesprochen wird.

Hier den richtigen Weg zu finden ist für alle Beteiligten schwierig und keine Galeriegeschichte, und sei sie noch so erfolgreich, enthält diesbezüglich nicht Wermutstropfen. Denn was heisst Loyalität, was heisst, einer Galerie den Auftrag geben, Werke zu verkaufen, welche Arbeit, welches Engagement hat welchen (finanziellen) Wert? Was heisst, einen jungen Künstler fördern, seine Werke ausstellen, um ihn dann, wenn sich der Erfolg einstellt, an eine grössere Galerie mit Vertragsansprüchen zu verlieren? Was kann man als Galerie leisten und was nicht? Welche Ansprüche sind berechtigt, welche nicht?

Wenn Sie die beeindruckende Einladungskarte zur Jubiläumsausstellung anschauen, können sie aus den vielen Namen indirekt herauslesen, dass es
auch hier solche Geschichten gibt, aber wie quittiert doch Elisabeth Staffelbach Unerfreuliches: „Jeder, der geht, macht einem neuen Platz“. Ganz im Sinne der Redewendung: Übergib das Negative dem Wind und halte die schönen Erinnerungen.

Die Jubiläumsausstellung ist in gewissem Sinn Ausdruck davon, versammelt sie doch Künstlerinnen und Künstler, die in einer Beziehung zur Galerie, zu Elisabeth Staffelbach, stehen, aber nicht oder nicht mehr im engeren Sinn ins Galerieprogramm gehören, weil sie – zum Beispiel – bei einer international tätigen Galerie unter Vertrag stehen und damit nicht mehr selber entscheiden können, wo sie ausstellen und wo nicht. Man spürt darin die komplexe Entwicklung, welche die Galerienszene durchlaufen hat in den letzten 30 Jahren.

Die 1980er-Jahre waren nicht nur „wild“, sie waren auch die Zeit, da die Schweizer Kunst im eigenen Land eine Hochblüte erlebte, regionale Enge zumindest durch nationale Weite ersetzt wurde. Gleichzeitig herrschte Hochkonjunktur, die es ermöglichte, dass sich eine neue Sammler-Generation etablieren konnte. Ich behaupte: Es wurde in der Schweiz nie so viel Kunst gesammelt wie in den 1980er-Jahren. Das heisst für die Künstler und Künstlerinnen war es möglich, mal hier, mal dort auszustellen und meist einige Werke zu verkaufen. Goldig waren die Zeiten für viele nicht, aber die Künstler konnten – wie es Eric Hattan einmal formulierte – immerhin davon träumen, einmal das grosse Los zu ziehen.

Elisabeth Staffelbach zieht 1984 vom Brättligäu in die Räume des alten Stadtbahnhofs und arbeitet auf der geschaffenen Grundlage mit den wichtigsten Aargauer Künstlerinnen und Künstlern sowie einer wechselnden Palette von Schweizer Kunstschaffenden zusammen. Ausdruck davon ist nicht nur die zweite Freilichtausstellung „Schloss, Schlösser, Luftschlösser“ von 1985, sondern auch die Lust, das erwartete Feld immer wieder zu sprengen, sei es mit einer Ausstellung zu Künstlerschmuck, sei es mit einer witzigen Ausstellung zum 100. Geburtstag von Sherlock Holmes. Noch Jahre danach konnte man in der Galerie Spuren davon finden.

In den 1990er-Jahren wird vieles schwieriger. Warum? Zum einen scheren zahlreiche Kunstschaffende aus der traditionell verkäuflichen Kunst aus. Weil sich neue Medien wie Fotografie und Video anbieten, aber auch, weil sie ganz bewusst aus dem kommerziellen Kreislauf ausscheren wollen. Es etablieren sich mehr und mehr sogenannt „unabhängige Kunsträume“, die jungen Multimedia-Kunstschaffen-den eine Plattform bieten. Dass sich die Kunstschaffenden damit in eine finanziell noch schwierigere Situation katapultierten, ist eine andere Geschichte.

Für die Galerien hiess das jedoch, dass sie nicht mehr den vor allem auch in den Medien diskutierten Mainstream zeigen konnten. Wer hätte 1995 bei Elisabeth Staffelbach eine Videoinstallation gekauft? Zur Verunsicherung der Sammler kam ein wirtschaftlicher Einbruch, der die Lust am Kunst kaufen zusätzlich dämpfte. Ferner brachte die Internationalisierung der Szene eine derartige Vielzahl von Kunst-schaffenden ins Spiel, dass die Orientierung immer schwieriger wurde und es bis heute ist. Kommt hinzu, dass die Globalisierung der Kunstszene eine enorme Konzentration auf die Städte brachte. Viele Galerien, insbesondere in kleineren Städten, gingen in dieser Zeit ein. Andere, in den Zentren, kontern die Situation indem sie eine ausgewählte Gruppe von Kunstschaffenden eng an sich binden und professionelle Marketing-Strategien einsetzen, um „ihre“ Künstlerinnen und Künstler international zu vermarkten. Dadurch entsteht in gewissem Sinn eine Zwei-Klassen-Kunstszene. Von den alten, idealistischen Galeriestrukturen bleibt da, wo es um Geld, um Karriere, um Ruhm geht, kaum mehr etwas übrig.

Elisabeth Staffelbach hält mit dem ihr eigenen Engagement durch und sucht in ihrem Programm und in ihrer Haltung als Galeristin die Gratwanderung zwischen den alten Visionen und den Forderungen der Gegenwart. Kein einfacher Weg, umso mehr als er nicht eigentlich einer Wunsch-Entwicklung entspricht (denken Sie, was ich anfangs zum Thema „Fossil“ gesagt habe). Zum einen fühlt sich Elisabeth Staffelbach „ihren“ Künstlerinnen und Künstlern mit ganzem Herzen verbunden, will sie weiter zeigen und fördern, gerade weil die Zeiten schwierig sind, doch andererseits drängt es sie, weiterhin an den Entwicklungen der Gegenwart teilzuhaben und überdies müssen auch noch die Finanzen im Gleichgewicht bleiben, eine Galerie führen ist ja schliesslich nicht gratis!

Nicht unbedingt medial, aber inhaltlich neue Impulse gibt die Galerie zum Beispiel mit den jährlichen Paar-Ausstellungen, die nicht längste bekannte Duos wie Silvie und Chérif Défraoui etc. zeigen, sondern Paare, die meist noch nie gemeinsam ausgestellt haben und damit auch selbst Neuland beschreiten. Erinnert sei an Hans und Marion Schärer, an Luigi Archetti und Federica Gärtner, an Ruedi Blättler und Marie-Theres Amici. Es finden aber auch Fotoarbeiten und Installationen den Weg in die Galerie – ich denke da zum Beispiel an Ausstellungen von Irene Naef respektive von Pia Gisler, von Luigi Archetti oder auch an die herrliche Körper-Kleider-Figuration von Maya Rikli im vergangenen Jahr. Zentral ist aber, so denke ich, dass Elisabeth Staffelbach versucht, Werke von Künstlern und Künstlerinnen zu zeigen, die in ihrem Ausdruck ganz spezifisch Bezug nehmen auf die Gegenwart. Dass sie nicht „alt“ wird mit ihren Kunstschaffenden, sondern immer wieder neue Namen hinzufügt. Ich denke etwa an Elisabeth Heller, an Hanspeter Hofmann, Josef Felix Müller, Kotscha Reist, Lisa Hoever u.a.m.

Ich merke, dass meine inneren Bilder unverhofft von Lenzburg nach Aarau umgezogen sind.
Ja, das war ein grosser und ein mutiger Schritt, 2000 – vom alten Stadtbahnhof in Lenzburg an die Laurenzentorstrasse in Aarau. Die Galerie hier hat nicht den Werkstattcharakter des Umgenutzten, man muss auch nicht frieren hier im Winter, die Bilder werden gewissermassen getragen von der Wohnlichkeit der Räume.
Ich kann mich gut erinnern an Gespräche mit der Galeristin im Vorfeld des geplanten und nun realisierten Strassenbaus, ob sie in Lenzburg nach Räumen Ausschau halten, gar nach Zürich ziehen oder nach Aarau zügeln solle. Ich denke, der Entscheid für Aarau war für die Region ausserordentlich wichtig, denn stellen sie sich einmal vor, es gäbe die Galerie nicht – was wäre dann noch? Wo fänden dann Ausstellungen mit Christian Rothacher, Marianne Kuhn, Valentin Hauri, Urs Aeschbach, Ruth Maria Obrist und vielen anderen statt? Wer würde ihre Werke mitnehmen an die Kunstmesse in Zürich und sie da in einem internationalen Kontext zeigen?

Seit die Kunst extrem urban geworden ist, gibt es in vielen mit Aarau vergleichbaren Städten – etwa Olten oder Solothurn – keine Galerien vom Rang der GESA mehr (die Wechsel des Galerienamens sind auch so ein Spiegel) und das bedeutet eine enorme Verarmung für die regionalen Kunstszenen, aber auch für die Präsenz von Kunst im städtischen Alltag ganz allgemein. Die Präsenz einer Galerie von nationaler Bedeutung in einer Stadt ist umso wichtiger als sie Gegensteuer gibt zum latent abflachenden Interesse der jüngeren Bevölkerung an zeitgenössischer Kunst.
Schauen sie doch in die Runde – Gritsch, Lichtsteiner, Strba, Disler, Sandoz, Zoderer, Signer, Schnyder – lauter klingende Namen. Dass ihre Werke hier zu sehen sind, ist einzig und allein das Verdienst von Elisabeth Staffelbach, denn in Aarau eine Galerie führen heisst nicht romantisch, sich den schönen Künsten widmen sondern sich mit Haut und Haar für eine Sache engagieren. Dankeschön Elisabeth!